Die Corona-Pandemie sorgt rund um den Globus für Konzertausfälle und Absagen großer Festivals - für die Musikindustrie ist 2020 ein Jahr für die Tonne. In einem Branchenreport rechnet das US-Investmenthaus Goldman Sachs mit einem Umsatzrückgang für die Branche um 25 Prozent auf 57,5 Milliarden US-Dollar.

Katastrophale Folgen hat Covid-19 vor allem für die Liveveranstaltungen, deren Erlöse 2020 gegenüber dem Vorjahr um 75 Prozent auf gerade noch sieben Milliarden US-Dollar einbrechen dürften. Dabei fällt die Pandemie in eine Zeit, in der die Musikindustrie gerade wieder auf den Wachstumspfad zurückgefunden hat. Absolute Rekordumsätze verzeichnete die Branche zuletzt vor 20 Jahren, bevor technologische Innovationen die Art und Weise des Musikkonsums dramatisch veränderten - nicht immer zum Vorteil der jeweiligen Rechteinhaber.

Lange Zeit blieb die Industrie den neuen Herausforderungen eine Antwort schuldig. Das Umsatzvolumen der Branche bröckelte zwischen dem Rekordjahr 1999 und 2014 um durchschnittlich fünf Prozent pro Jahr ab, bevor der Sektor auf den Wachstumspfad zurückkehren und in den vergangenen fünf Jahren um 7,5 Prozent pro Jahr zulegen konnte. Bis die Pandemie die Erholung in diesem Jahr jäh ausbremste. Über die aktuelle Krise hinausgedacht, sind die Perspektiven der Musikindustrie aber so gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Neue Streamingangebote haben Musikliebhaber endlich wieder dazu gebracht, für das Musikangebot zu bezahlen.

Abozahlen steigen


Einer Auswertung des Bundesverband Musikindustrie (BVMI) zufolge lag der Marktanteil von Musik-Streamingdiensten allein in Deutschland zuletzt bereits bei fast 50 Prozent, weltweit legen die Abozahlen rasant zu. 2019 zogen die verkauften Abonnements der Musik-Streaming-plattformen laut dem Marktforschungsunternehmen Counterpoint um 32 Prozent auf 358 Millionen an. Sie haben sich binnen drei Jahren mehr als verdreifacht. Die Nummer 1 der Branche ist Spotify. Mit einem Marktanteil von aktuell 35 Prozent wird derzeit jedes dritte zahlungspflichtige Abonnement bei dem schwedischen Unternehmen abgeschlossen. 90 Prozent der Umsätze erwirtschaftet Spotify mit zahlungspflichtigen Premiumangeboten. Zehn Prozent der Erlöse stammen aus dem Werbegeschäft, mit dem Spotify seine kostenlose Basisvariante mit limitiertem Angebot finanziert.

Über das gesamte Freemium-Geschäfts-modell hinweg kommt die Gesellschaft auf 286 Millionen monatliche Nutzer der Plattform. Auf den Plätzen hinter Spotify folgen derzeit mit Apple Music (19 Prozent Marktanteil) und Amazon Music (15 Prozent Marktanteil) die Musikdienste der beiden US-Technologieriesen Apple und Amazon. Auch sie haben das mittel- bis langfristige Potenzial erkannt.

Strammes Wachstum voraus


Im Branchenreport "Music in the Air" rechnet die US-Investmentbank Goldman Sachs für die Audio-Streamingangebote mit einem jährlichen Wachstum von zwölf Prozent in den kommenden zehn Jahren. 2030 sollen 1,2 Milliarden Menschen über einen zahlungspflichtigen Musikaccount verfügen und das Marktvolumen bei 75 Milliarden US-Dollar liegen. Mit Streaming würde damit mehr als die Hälfte der Gesamterlöse der Musikindustrie erwirtschaftet werden. Diese sollen sich im gleichen Zeitraum auf geschätzt 142 Milliarden US-Dollar gegenüber 2019 knapp verdoppeln.

Den Schweden räumt Goldman Sachs beste Chancen ein, ihren Platz an der Sonne zu verteidigen - auch weil Spotify sein Angebot konsequent erweitert. Die Schweden haben für mehr als 600 Millionen US-Dollar gleich vier Podcaststudios übernommen und exklusive Deals mit prominenten Namen wie Kim Kardashian oder dem populären amerikanischen Comedian Joe Rogan geschlossen. Rund ein Fünftel der User nutzt inzwischen das Angebot von Wortbeiträgen aus Unterhaltung, Politik und Wirtschaft.

Zunehmend an Bedeutung gewinnen dürfte in den kommenden Jahren das chinesische Spotify-Pendant Tencent Music Entertainment. Mit mehr als 900 Millionen aktiven Usern monatlich und rund 90 Prozent aller Musikstreaming-Rechte ist das Unternehmen unangefochtener Marktführer in China, wo man exklusiven Zugang zu den drei großen US-Labels Universal Music, Warner Music und Sony bieten kann. Zwar liegt der Anteil der bezahlten Abonnements bislang noch bei weniger als zehn Prozent. Dennoch hat das Unternehmen im Gegensatz zur schwedischen Konkurrenz längst die Gewinnzone erreicht. Mit der Ausweitung des Angebots versucht Tencent Music Entertainment seine Nutzer an den zahlungspflichtigen Dienst heranzuführen. Zusatzdienste wie Kurzvideos, Onlinekaraoke und Live-streaming-Features haben zuletzt bereits für ein beschleunigtes Wachstum gesorgt und dürften Umsatz und Gewinn künftig weiter nach oben treiben. In den kommenden drei Jahren soll jedes vierte Nutzerkonto in einen zahlungspflichtigen Zugang übergegangen sein.

Die Branche steckt im Umbruch. Technologien wie Downloads oder illegales Kopieren und Weitergeben von Musik führten dazu, dass CDs, DVDs oder Platten kaum noch gefragt sind. Doch für Streamingangebote sind Musikfans inzwischen bereit, Geld zu bezahlen.

Musiklabels als Streaminggewinner


Für die Analysten des US-amerikanischen Researchhauses Everscore ISI ist derweil Warner Music Group "die beste Möglichkeit, um die Wachstumsstory der Musikstreaming-Industrie zu spielen". Das Musiklabel, das in den vergangenen Jahren seinen Marktanteil sowohl gemessen am Umsatz wie auch an der Dominanz in den amerikanischen Billboard-100-Charts ausbauen konnte, profitiert vom zunehmenden Erfolg der Streamingdienste ebenso wie von neuen Vermarktungsmöglichkeiten und Lizenzeinnahmeströmen durch populäre Apps wie Tiktok.

Anfang Juni feierte Warner Music, mit Künstlern, die bei ihnen unter Vertrag stehen wie Ed Sheeran, Bruno Mars oder Cardi B, den bislang größten Börsengang in den Vereinigten Staaten in diesem Jahr. Aktien im Wert von 1,9 Milliarden US-Dollar wurden zum Ausgabepreis von 25 US-Dollar platziert, womit der Börsenwert zum Börsenstart bei knapp 13 Milliarden US-Dollar lag.

Beim Medienkonzern Vivendi dürfte man das erfolgreiche Warner-IPO mit Interesse verfolgt haben. Schließlich arbeiten die Franzosen bereits an Plänen, ihre profitable Musiksparte Universal Music Group (UMG) bis zum Jahr 2023 an die Börse zu bringen.

Zwar wird bis dahin noch viel Wasser die Rhone hinunterfließen. Doch ein zu Jahresbeginn gemeldeter Deal liefert eine erste Indikation, welchen Schatz Vivendi im Rahmen eines IPOs heben könnte: Ein Konsortium um den chinesischen Internetkonzern Tencent sicherte sich zum Preis von drei Milliarden Euro einen Zehn-Prozent-Anteil an UMG sowie die Option zum Erwerb weiterer zehn Prozent zu gleichen Konditionen bis Mitte Januar 2021. Auf Basis des Deals wird die Sparte mit 30 Milliarden Euro bewertet - mehr als die aktuelle Marktkapitalisierung des gesamten Vivendi-Konzerns von knapp 27 Milliarden Euro. Dass sich die Musiksparte vom ehemaligen Sorgenkind zum Umsatztreiber von Vivendi entwickelt hat, zeigt das enorme Wachstum des Streaminggeschäfts.

Es sollte sein komplettes Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft haben. Die im vergangenen Jahr von den großen Plattformen erzielten Umsätze von rund 20 Milliarden US-Dollar entsprechen gerade einmal neun Prozent der globalen Pay-TV-Erlöse. Musikaktien dürften mittelfristig für gute Stimmung an der Börse sorgen.