Experten fürchten, dass EU-Kritiker wie das spanische Linksbündnis Podemos bei der Entscheidung am Sonntag noch mehr Zulauf bekommen und Investoren auf den Austritt weiterer Länder spekulieren könnten. Anleger müssen sich in jedem Fall auf weiter hohe Kursschwankungen und Verluste an den Aktienmärkten einstellen.
Der Dax brach am Freitag nach dem Referendum bis zu zehn Prozent auf 9226 Punkte ein - der größte Kurssturz seit 2008. Auf Wochensicht gab der Leitindex mehr als vier Prozent ab. Auch in Großbritannien, Frankreich, anderen Ländern der Europäischen Union (EU) und in der Schweiz rutschten die Leitindizes massiv ab. Die Unsicherheit nach dem Ja der Briten zum EU-Ausstieg werde schrittweise wieder sinken, aber noch eine längere Zeit ungewöhnlich hoch bleiben, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Das könnte der Realwirtschaft nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Kontinentaleuropa schaden."
FLAMMEN ÄNGSTE VOR NEUER PERIPHERIE-SCHULDENKRISE NEU AUF?
Vor allem die Wahlen am Sonntag in Spanien könnten die Nervosität der Anleger noch verstärken. Das überraschend deutliche Votum der Briten werde den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben, meint Krämer. Jüngsten Umfragen zufolge droht eine Hängepartie wie bei den Wahlen im Dezember, als der amtierende Ministerpräsident Mariano Rajoy keinen Koalitionspartner fand und König Felipe das Parlament auflöste. Experten befürchten Kursturbulenzen, wenn das linke Lager mehr Anhänger finden sollte. Risikoaufschläge von Staatsanleihen aus Spanien und anderen Peripheriestaaten wie Portugal und Italien dürften dann in die Höhe schießen, die Aktienkurse an den südeuropäischen Börsen tief fallen.
Das größte Risiko für die Finanzmärkte nach dem Brexit sei, wenn auf den Austritt weiterer Länder spekuliert würde, sagt Targobank-Chefvolkswirt Otmar Lang. NordLB-Stratege Tobias Basse hält beim Dax einen Rutsch unter die psychologisch wichtige Marke von 9000 Punkten in nächster Zeit für möglich. Die DZ Bank ist nach dem heftigen Absturz zum Wochenschluss sogar noch pessimistischer und rechnet mit Verlusten bis in den Bereich von 8000 bis 8500 Punkten.
Mittelfristig könnte nach Meinung von Volkswirt Krämer aber eine Erholung drin sein, sollte sich eine saubere Scheidung von Großbritannien und ein Verbleib des Landes im Binnenmarkt abzeichnen. Doch noch belastet nach Meinung von Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank, die Unsicherheit über die Modalitäten des Austritts die Kapitalmärkte zu sehr.
FED DÜRFTE BEI ZINSERHÖHUNGEN WEITER ZÖGERN
Das wird Analysten zufolge auch die US-Notenbank Fed davon abhalten, die Zinsen weiter anzuheben. Die Fed hatte im Juni die Zinsen nicht angetastet und ihr Stillhalten vor allem mit dem Brexit-Referendum begründet. Die Folgen eines britischen EU-Austritts könnten auch die US-Wirtschaft treffen, hieß es von der Notenbank. Die Währungshüter hatten Mitte Juni dennoch signalisiert, dass sie 2016 noch zwei Zinsschritte nach oben wagen wollen. "Das dürfte jetzt vom Tisch sein", sagt Basse.
Bei den US-Konjunkturdaten dürften am Dienstag die Daten zum Verbrauchervertrauen im Juni die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Am Donnerstag gibt der Einkaufsmanager-Index Aufschluss über das Wachstum im Großraum Chicago. Zudem werden Anleger bei einer Rede des Fed-Mitglieds auf weitere Zinssignale lauern.
Bei Volkswagen wird es am Dienstag in Sachen Dieselskandal wieder spannend. Dann läuft die verlängerte First für den Vergleich mit den US-Behörden aus. Anleger könnten also Aufschluss darüber bekommen, wie viel der Skandal VW in den USA kosten wird.
Am Mittwoch legt der US-Saatgutkonzern Monsanto seine Geschäftszahlen für das dritte Quartal vor. Investoren warten auf Bewegung im Übernahmepoker mit Bayer.