Bilder täuschen besonders leicht. Liegt im Kühlregal eine Packung Fleisch, von der ein Schwein auf einer grünen Wiese grüßt, entsteht schnell der Eindruck, es stamme von einem Bio-Bauernhof. Wirbt daneben noch ein Siegel mit einem umweltfreundlichen Slogan, ist die Illusion fast perfekt. Es braucht schon einen Blick auf die Güteklasse, um festzustellen, dass das Schwein aus Massentierhaltung stammt - und die bunten Aufdrucke nicht mehr sind als ein Versuch, die Ware in ein besseres Licht zu rücken.
Auch die Fondsindustrie arbeitet gern mit starken Bildern, um Verbraucher von der Nachhaltigkeit ihrer Produkte zu überzeugen. In Image-Filmen sieht der Kunde riesige Wellen brechen, fliegt an Bord einer Drohne über Regenwälder oder schaut den Kleinbauern Südamerikas beim Kaffeerösten zu. Eine Stimme aus dem Off erklärt dazu, wie das eigene Geld die Welt besser macht und nur in gute und saubere Firmen fließt.
Nachhaltiges Investieren galt lange als Domäne aktiver Fondsmanager, die neben Finanzkennzahlen auch die Ökobilanzen und das Geschäftsgebaren einzelner Firmen sezieren. ESG nennt man das im Fachjargon. Nun sind aber immer mehr Öko-ETFs am Markt, die Indizes abbilden, die solche Kriterien ebenfalls berücksichtigen. 2019 waren deutschlandweit 145 ETFs zum Vertrieb zugelassen, die das Geld der Anleger umweltfreundlich, ethisch oder sozial korrekt investieren wollen, zeigen Daten der Fondsratingagentur Scope. Die Hälfte davon entstand in den vergangenen drei Jahren.
Geht ESG jetzt auch passiv? Klar ist: Die neuen Spieler mischen den Markt für nachhaltige Geldanlagen kräftig auf. Das liegt daran, dass ETFs günstiger sind, weil sie nur einen Index abbilden. Derzeit zahlen ESG-Investoren im Schnitt nur 0,24 Prozent für ihren Indexfonds, zeigen Daten der Ratingagentur Scope. Für aktive ESG-Fonds müssen sie teils ein Vielfaches berappen. Dabei bieten ESG- ETFs oft sogar gleiche oder höhere Renditen als vergleichbare aktive Fonds.
Probleme im Detail. Bei Kosten und Rendite müssen sich grüne ETFs also nicht verstecken. Doch wie steht es mit dem guten Gewissen? Kann ein Fonds, der blind einem auf starren Kriterien basierenden Index folgt, statt jedes einzelne Investment zu hinterfragen, überhaupt Gewissensentscheidungen über "gute" und "schlechte" Firmen treffen?
Wer genau in die Portfolios der großen Anbieter schaut, bekommt Zweifel. Im vermeintlich kohlefreien ETF von State Street Global Advisors, dem SPDR MSCI EAFE Fossil Fuel Reserves Free ETF, steckten beispielsweise bis vor Kurzem gut 3000 Aktien des weltgrößten Kohleproduzenten RWE. Der MSCI EMU Socially Responsible ETF der Schweizer Bank UBS investiert fünf Prozent des Kapitals in den Erdölkonzern Total. Und der Dow Jones Global Sustainability Screened UCITS ETF der Blackrock-Tochter iShares hat den Lebensmittelkonzern Nestlé unter den größten Positionen. Greenpeace hält Nestlé wegen seiner exzessiven Nutzung von Einwegverpackungen für einen der weltweit größten Verursacher von Plastikmüll. Und nicht nur deshalb wird der Konzern immer wieder von Umweltschützern und Nichtregierungsorganisationen kritisiert.
Das Ärgerliche: Es handelt sich dabei nicht mal um Etikettenschwindel. Denn es gibt gar kein einheitliches Etikett, keine strenge Definition darüber, wie ein nachhaltiger Index aussehen darf und wie nicht. Weil jeder Investor unter diesem Begriff etwas anderes versteht, kann quasi jedes Portfolio für nachhaltig erklärt werden, wenn der Anbieter nur eine in sich stimmige Erklärung liefert. Das gilt auch für aktive Fonds. Dort müssen sich aber die Anbieter für Fehlentscheidungen verantworten, ETF-Häuser können Kritik jedoch an die Indexanbieter weiterreichen. Schließlich ist jeder ETF nur so gut wie der Index, den er abbildet.
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Und diese Indizes werden so erstellt: "Indexanbieter wie MSCI nehmen meist einen konventionellen Index und filtern nach einem bestimmten System aus den Aktien die nachhaltigsten 25 oder 50 Prozent jeder Branche heraus", erklärt der Scope-Analyst André Härtel. "Best in Class" nennt sich das dann. Weitverbreitet ist auch der Ansatz, Ausschlusskriterien zu definieren. Indexanbieter meiden dann beispielsweise Unternehmen, die Geld mit Waffen, Glücksspiel, Alkohol oder Pornografie verdienen. Nach dieser Definition können dann eben auch solche Indexfonds nachhaltig sein, die in Ölproduzenten investieren.
Zwar arbeiten auch viele aktive Fonds mit Ausschlusskriterien und dem Best-in-Class-Ansatz. Während sie aber Spielräume haben und im Zweifel Unternehmen meiden können, die ihren Ansprüchen nicht genügen, ist der Investmentprozess bei Indizes starr: Entweder ein Konzern schafft es zu einer bestimmten Zeit durch den ESG-Filter - oder eben nicht. Die Kennzahlen, die solche Filter nutzen, haben dabei manchmal begrenzte Aussagekraft. Denn Nachhaltigkeit ist nicht immer exakt messbar.
Das zeigt das Beispiel CO2-Fußabdruck: Im Amundi Index Equity Low Carbon ETF, der in Aktien von Firmen mit besonders niedrigem CO2-Ausstoß investieren will, findet sich zum Beispiel die Aktie von Amazon. Der Konzern verschickt 3,5 Milliarden Pakete im Jahr und kann nur deshalb relativ geringe Emissionen ausweisen, weil die Zustellung oft Firmen wie DHL oder Hermes für Amazon erledigen. Den dreckigen Teil des Geschäfts delegiert der Handelsriese also einfach weiter. Manager aktiver Fonds sollten solche Probleme erkennen - obwohl das leider nicht immer der Fall ist. Sie können auch besser als ein Index einschätzen, ob ein Unternehmen selbst gesetzte Kriterien und Ziele in absehbarer Zeit erfüllen kann oder nicht.
Grüner Mindeststandard. Das fehlende Augenmaß macht ETFs im Ökobereich deshalb gegenüber aktiven Fonds eher zur zweiten Wahl. Interessant sind sie vor allem für Anleger, die zumindest die dreckigsten Firmen aus ihren Portfolios tilgen wollen, dabei aber gut mit einem kleinen Schönheitsfehler leben können.
Allerdings können sich auch nachhaltige Indizes im Lauf der Zeit verbessern, Konzerne können etwa wieder aus ihnen getilgt werden. "Die meisten Indexanbieter überprüfen regelmäßig, ob alle Titel noch mit ihrer Philosophie vereinbar sind", erklärt Scope-Analyst Härtel. Sind wiederum die Anbieter passiver Produkte mit Titeln unzufrieden, die in den Indizes auftauchen, die ihre ETFs abbilden, können sie das Gespräch suchen. Das ist sozusagen aktives Passiv-Management.
Ein Beispiel lieferte jüngst State Street Global Advisors in der Causa RWE: Zum Zeitpunkt der Auflage möge es Gründe dafür gegeben haben, dass der Konzern durch den ESG-Filter von MSCI schlüpfte. Das Ergebnis früherer Überlegungen passe allerdings "nicht mehr in die heutige Zeit", erklärt Carlo Funk, Chefstratege für nachhaltige Investments bei State Street Global Advisors. So schickte das Fondshaus unlängst ein Team los, um dem Indexanbieter ins Gewissen zu reden. Mit Erfolg: MSCI passte die Methodik an. Im Herbst 2019 flog der Kohlekonzern aus den ESG-Indizes von MSCI.
Wenn Funk über den ESG-Ansatz von State Street spricht, klingt er fast wie ein aktiver Fondsmanager. Auch er redet vom "engen Dialog", von Stimmrechten, von denen sein Haus Gebrauch mache, um Konzerne zu besserem Geschäftsgebaren zu bewegen, und von Entscheidungen, die regelmäßig auf dem Prüfstand stehen. Scope-Analyst Härtel überrascht das wenig: "Der Wettbewerb ist knallhart. Die Anbieter können es sich nicht leisten, der Konkurrenz das Feld zu überlassen." So veröffentlichen nun auch viele ETF-Anbieter Berichte, in denen sie ihren Investmentansatz vorstellen und ihr Engagement gegenüber Unternehmen zeigen. Ob die ETFs dann auch wirklich die eigenen Ansprüche an nachhaltige Produkte erfüllen, muss jeder Anleger beim Blick in die Portfolios selbst entscheiden.