Stefan Kuhn: Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass nachhaltig ausgerichtete Anlagestrategien nicht Renditeverzicht bedeuten, sondern im Gegenteil häufig sogar höhere Erträge bringen. Das ist natürlich eine Win-win-Situation für Anleger. Sie können ihren Teil beitragen, um unsere Welt zu verbessern, und werden dafür auch noch mit höherer Rendite belohnt.
Sophia Wurm: Interessant war zu beobachten, dass viele Investoren während der Corona-Krise im Frühjahr an Nachhaltigkeitsstrategien festgehalten haben. Die ESG-Ansätze haben sich in der Krise übrigens meistens auch besser geschlagen als der Gesamtmarkt. Diese Stabilität ist natürlich auch ein Anreiz.
Kuhn: Dazu kommt, dass der Druck durch die Regulierung ständig zunimmt. So orientieren sich vor allem professionelle Anleger immer stärker in Richtung ESG-Investments. Die Regulierung wirkt ja nicht nur auf der Anlegerseite, sondern auch bei den Unternehmen: Durch neue politische Vorgaben entstehen in einigen Branchen neue Risiken. Diese Risiken will man als Anleger doch eher nicht im Portfolio haben.
TiAM: Sind ESG-ETFs eigentlich teurer als ETFs für Standardindizes? Der Aufwand für das Portfoliomanagement dürfte bei einem ESG-ETF ja um einiges höher liegen?
Kuhn: In einem ESG-ETF steckt tatsächlich sehr viel mehr Arbeit, weil man nicht einfach einen Index aus dem Regal nehmen kann. Trotzdem werden die meisten neuen ESG-ETFs zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen angeboten. Dafür sorgt schon der Wettbewerb. Unsere neuen ESG-Renten-ETFs haben beispielsweise eine Gesamtkostenquote von nur 15 Basispunkten.
TiAM: Damit liegen die Kosten Ihrer ESG-ETFs ziemlich genau auf dem Niveau der meisten Standard-Renten-ETFs.
Kuhn: Richtig. Aber noch wichtiger als möglichst niedrige Kosten ist es, einen intelligenten Index zu konstruieren, der den Investoren hilft, das zu verwirklichen, was sie gerne machen möchten.
TiAM: Können ESG-ETFs eigentlich ein ausgewogenes Portfolio haben? Schließlich werden ja oft ganze Branchen ausgeschlossen?
Wurm: Theoretisch könnte sich aufgrund der Ausschlusskriterien vielleicht ein etwas weniger ausbalanciertes Portfolio ergeben. Andererseits spielen Unternehmen mit kontroversen Geschäftsfeldern, also beispielsweise Waffenhersteller oder Kohleproduzenten, in Indizes wie dem S & P 500 ohnehin keine dominante Rolle. Deshalb ist beispielsweise unser S & P-500-ESG-ETF sehr hoch mit dem Originalindex korreliert. Dennoch arbeiten vor allem die jüngeren ESG-ETFs mit Konzepten, die solche Ungleichgewichte begrenzen sollen.
TiAM: Welche Konzepte gibt es?
Wurm: Ein ETF kann Unternehmen besonders hoch gewichten, die in ihrer Branche die besten Nachhaltigkeitsratings bekommen haben, ohne bestimmte Branchen komplett auszuschließen. Ein anderer Ansatz ist, Unternehmen höher zu gewichten, die sich kontinuierlich verbessern, die also beispielsweise große Fortschritte bei der Transformation zu einer CO2-neutralen Produktion machen.
TiAM: Welchen Ansatz verwenden Sie bei Ihren ESG-ETFs?
Wurm: Bei unseren Aktien-ESG-ETFs, die bereits seit über einem Jahr am Markt sind, konzentrieren wir uns auf den Ausschluss bestimmter Branchen. Bei unseren neuen Anleihe-ETFs mit nachhaltiger Ausrichtung kombinieren wir die verschiedenen Ansätze. Zuerst werden bestimmte Branchen ausgeschlossen. Die verbliebenen Titel werden dann so optimiert, dass ein möglichst hoher ESG-Score erreicht wird. Unternehmen, die unter Nachhaltigkeitsaspekten besonders gut abschneiden oder sich kontinuierlich verbessern, werden also übergewichtet. Je höher ihr ESG-Rating, desto höher das Gewicht.
TiAM: Entsteht durch diesen Prozess nicht ein Portfolio, das sich deutlich von einem traditionellen Rentenindex unterscheidet?
Wurm: Bei unseren neuen ESG-Renten-ETFs wirkt noch ein zusätzlicher Risikooptimierungsalgorithmus, der verhindert, dass sich der ESG-ETF vollkommen anders verhält als der Mutterindex. Diese Optimierung trägt unter anderem dafür Sorge, dass die Durationen und Bonitäten der Anleihen im ESG-ETF ähnlich sind wie im klassischen Index ohne ESG-Optimierung.
TiAM: Welche ESG-Ratings nutzen Sie für die Selektion und Gewichtung der Wertpapiere in Ihren ESG-ETFs?
Kuhn: Bei State Street führen wir die Analyseergebnisse verschiedener Ratingagenturen in unserem R-Faktor zusammen. Der Faktor ist aber nicht einfach nur der Durchschnitt der verschiedenen Ratings, sondern es werden noch weitere Adjustierungen vorgenommen. Unter anderem wird berücksichtigt, welche Kennzahlen für die jeweilige Branche besonders aussagekräftig sind und welche branchenspezifischen Risiken zum Tragen kommen.
TiAM: Dieses Finetuning machen Ihre ESG-Analysten in Boston?
Wurm: Nein, der R-Faktor wird von einer unabhängigen, neutralen Stiftung für uns zusammengestellt. Und der Faktor wird auch nicht nur bei den neuen ESG-Renten-ETFs verwendet, sondern ebenso bei anderen SSGA-Fonds mit nachhaltiger Ausrichtung.
TiAM: Wie häufig wird die Zusammensetzung des ETF-Portfolios verändert?
Kuhn: Beim ETF-Index gibt es ein monatliches Rebalancing. Aber nicht jede Indexänderung führt automatisch zu einer Veränderung des ETF-Portfolios. Das ist ja die Kunst des Portfoliomanagements bei ETFs - den Index so genau wie möglich abzubilden, aber nur die Veränderungen nachzuvollziehen, die dafür nötig sind. Gerade im Rentenbereich umfassen die Indizes oft viele Tausend Titel. Da ist es nicht sinnvoll und notwendig, immer jeden Titel zu handeln.
Wurm: Jede Umstrukturierung verursacht schließlich Kosten. Die sollen möglichst niedrig gehalten werden. Deshalb arbeiten wir bei unseren Renten-ETFs meistens mit der Methode des Indexsampling, auch bei den beiden neuen ESG-Renten-ETFs. Der Indexanbieter legt bei diesem Prinzip zwar fest, welche Anleihen in den Index gehören, aber unsere Portfoliomanager entscheiden, welche Titel der ETF tatsächlich im Portfolio halten muss, um den Index möglichst genau abzubilden.
TiAM: Abschließend gefragt, lassen sich nachhaltige Strategien mit passiven Fonds genauso gut umsetzen wie mit aktiv gesteuerten Fonds?
Kuhn: Eher besser, schon aufgrund des Kostenvorteils. Und so passiv sind ESG-ETFs gar nicht, denn sie sind in Bezug auf Titelselektion und Gewichtung sehr aktiv. Die Portfoliozusammensetzung wird ja fortlaufend überprüft und angepasst.
Wurm: Wenn ein Unternehmen bei einem Ausschlusskriterium die ESG-Bedingungen nicht mehr erfüllt, wird es ausgeschlossen, bei einigen unserer ETFs sogar sehr schnell und nicht erst beim nächsten Index-Rebalancing.
Kuhn: Umgekehrt werden Unternehmen höher gewichtet, wenn sich ihr ESG-Score verbessert. ESG-ETFs funktionieren nicht wie ein DAX-ETF. In ESG-ETFs steckt sehr viel mehr Dynamik.
Die neuen ESG-Renten-ETFs
Dieser Artikel erschien am 21.12.2020 auf TiAM FundResearch.de
Über die Interview-Partner
Stefan Kuhn, Head of SPDR ETFs Deutschland State Street Global Advisors (SSGA)
Seit September 2018 verantwortet Stefan Kuhn bei SSGA die Leitung des ETF-Geschäfts in Deutschland und Österreich. Zuvor war der Diplom-Kaufmann unter anderem ETF-Sales-Chef bei Lyxor und besetzte leitende Positionen im Bereich Flow Rates bei BNP und Morgan Stanley.
Sophia Wurm, Senior ETF Sales, State Street Global Advisors (SSGA)
Die ETF-Expertin verantwortet bei SSGA seit 2019 den Vertrieb an Asset-Manager und Privatbanken in Deutschland und Österreich. Zuvor war sie 15 Jahre für die Commerzbank tätig. Dort leitete sie zuletzt die ETF-Beratung. Davor war sie für technische Analyse und Index-Research zuständig.