Nein, noch sind die Chinesen nicht massiv hier", sagt Maria Leenen, "aber lange wird es nicht mehr dauern." Davon ist die Chefin der auf die Bahnbranche spezialisierten Beratungsgesellschaft SCI Verkehr überzeugt. Hier, das ist Westeuropa, der zweitgrößte und am stärksten wachsende Eisenbahnmarkt der Welt. Laut SCI wird das hiesige Marktvolumen von aktuell 44,4 Milliarden Euro bis 2020 im Schnitt um 3,2 Prozent pro Jahr zulegen, besonders dank des anziehenden Service- und Wartungsgeschäfts.

Doch um die milliardenschweren Schienenprojekte buhlen längst nicht mehr nur westliche Firmen. "Der Wettbewerb, vor allem aus China, ist viel intensiver geworden." Das beobachtet Andreas Schwilling, Bahnexperte der Unternehmensberatung Roland Berger. Mit dem Verschmelzen zweier staatlicher Zughersteller zur China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC) besitzt das Reich der Mitte seit 2015 den größten Bahnkonzern der Welt. Der Jahresumsatz von 26,9 Milliarden Euro ist höher als die Einnahmen der drei nächstgrößten Bahntechniker zusammen.

Der Konkurrent aus Fernost bietet vom Schnellzug bis zur Straßenbahn alles, was auf der Schiene rollt, und hat technologisch aufgeschlossen. Mit dem bis zu 400 Stundenkilometer fahrenden Fuxing baut CRRC den schnellsten Schienenzug der Welt. Weil der Bahngigant deutlich mehr Loks produzieren kann, als bei ihm zu Hause benötigt werden, und China seine jährlichen Investitionen in Züge und Gleise um die 104 Milliarden Euro stabil hält, drängt der Konzern ins Ausland. Nach neun Prozent im vergangenen Jahr soll sich der Exportanteil bis 2020 auf 20  Prozent verdoppeln.

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Subventionierter Angreifer



Bei der Expansion fährt CRRC zweigleisig. Der Konzern bietet nicht nur sehr günstige Preise, er bringt die Finanzierung der Milliardenorders für ausländische Kunden gleich mit. Laut dem Verband der Bahnindustrie (VDB) versperren die billigen chinesischen Staatskredite besonders in den Schwellenländern einige Projekte dauerhaft für die deutsche Branche. "Die staatliche Finanzierungshilfe ist eine extreme Wettbewerbsverzerrung. Statt um das beste Produkt geht es um die besten Subventionen", so VDB-Hauptgeschäftsführer Ben Möbius zur Situation.

Nun nimmt CRRC die westlichen Länder ins Visier. In den vergangenen beiden Jahren wurden erste Milliardenprojekte in Amerika gewonnen. "Ausschreibungen, die sonst überwiegend an europäische Firmen gegangen wären", so Schwilling. Auf dem alten Kontinent aber ist der große Wurf noch nicht geglückt. Grund: fehlende Erfahrung mit den komplexen Zulassungs- und Ausschreibungsverfahren sowie keine Fertigung in Europa.

Statt sich nur um Projekte zu bewerben, setzt CRRC-Boss Liu Hualong daher auf den Markteintritt per Zukauf. "Die Chinesen haben bisher bei jeder Übernahme in Europa mitgeboten. Noch hat es nicht geklappt, weil CRRC nicht um jeden Preis kauft, sondern ein wirtschaftliches Geschäft machen will", sagt Maria Leenen. Gelingt eine Übernahme, so ist sich die SCI-Expertin sicher, hat der Konzern die entscheidende Hürde in Europa genommen. Anleger müssen bei CRRC trotz Expansionsfantasie und der Stellung als weltweite Nummer 1 die noch anhaltenden Überkapazitäten, Wechselkursrisiken und das geringe Handelsvolumen beachten. Nur risikobereite und langfristig orientierte Anleger steigen daher ein.

Risikoloser können Aktionäre in die neu geschaffene Nummer 2 des Sektors investieren. Um den Chinesen Paroli bieten zu können, haben Siemens und der TGV-Hersteller Alstom 2017 ihre Fusion beschlossen. Dazu bringt Siemens gegen neue Alstom-Aktien seine Mobility-Sparte bei den Franzosen ein und wird nach Abschluss der Fusion knapp die Mehrheit an dem Gemeinschaftsunternehmen halten. Ziel ist es, gemeinsam einen "Airbus auf Schienen" zu bauen, einen Hochgeschwindigkeitszug für den Weltmarkt.



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Siemens-Alstom wird mit einem Jahresumsatz von zuletzt 15,3 Milliarden Euro kleiner sein als CRRC. Während sich Produkte, Fertigungskapazitäten und globale Aufstellung beider Konzerne ergänzen, bezweifeln Branchenbeobachter, dass die geplanten Synergien von 470 Millionen Euro pro Jahr komplett gehoben werden. Grund: Doppelstrukturen und damit Einsparmöglichkeiten bestehen hauptsächlich in den Entwicklungs- und Zulassungsabteilungen. Dafür aber wachsen beide Unternehmen. Bei den Siemens-Quartalszahlen am 9. Mai etwa wird erwartet, dass die Zugsparte erneut ein gutes Ergebnis abliefert. Zudem geht Siemens-Alstom als Sieger aus dem Konsolidierungskampf der europäischen Bahnbranche hervor.

Verloren hat hingegen Bombardier Auch wenn die Restrukturierung des Zug- und Flugzeugbauers Fortschritte macht und sich der Kurs erholt, bezweifeln Branchenkenner, dass die Kanadier in der jetzigen Form lange gegen die neuen Konkurrenten bestehen werden. Für weitere Übernahmen scheint der Zug daher noch lange nicht abgefahren zu sein.



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Auf einen Blick: Bahnindustrie