Möglicherweise müssen sich Bankkunden schon bald auf breiterer Front auf sogenannte "Strafzinsen" gefasst machen. Die ersten Geldhäuser haben jetzt damit begonnen, für Neukunden Negativzinsen aufs Tagesgeld zu erheben - und zwar vom ersten Euro an. Viele Geldhäuser geben zwar bereits seit Längerem die negativen Einlagenzinsen der EZB in dieser Form an ihre Kundschaft weiter, betroffen waren davon jedoch bislang überwiegend Firmenkunden. Bei Privatkunden galten bis dato Freibeträge von mindestens 100 000 Euro.
Doch nun kommt Bewegung in den Markt: Das Finanzportal Biallo.de fand heraus, dass inzwischen mit der Volks- und Raiffeisenbank Niederschlesien, der Kreissparkasse Stendal und der Volks- und Raiffeisenbank Fürstenfeldbruck bereits drei Institute Negativzinsen für Neukunden ohne Freibetrag berechnen. Für Schlagzeilen hatte in der vergangenen Woche insbesondere das oberbayerische Institut gesorgt, das von Neukunden beim Tagesgeld 0,5 Prozent Strafzinsen vom ersten Euro an verlangt.
Abschreckung als Motiv
Das Finanzportal Verivox sieht darin den schon länger erwarteten "Dammbruch". Auch Biallo.de-Gründer Horst Biallo rechnet damit, dass künftig deutlich mehr Banken Strafzinsen ohne Freibetrag erheben werden. "Die Banken wollen Leute abschrecken, die nur zu ihnen kommen, weil sie woanders diese Zinsen schon zahlen müssen." Laut Biallo geben derzeit mehr als 150 Banken Negativzinsen an Privat- und Geschäftskunden weiter. 52 Institute erheben sie im Privatkundengeschäft, bislang allerdings nur für vermögende Kunden. Dazu zählen neben Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken auch die Deutsche Bank und die Commerzbank, die für vermögende Kunden individuelle Vereinbarungen treffen. Die Verwahrentgelte liegen meist zwischen 0,4 und 0,5 Prozent, die Volksbank Bayreuth-Hof nimmt 0,6 Prozent.
Die Geldhäuser stehen noch stärker unter Druck, ihre Gebühren anzupassen, seit die Europäische Zentralbank (EZB) vor Kurzem den Einlagenzins für Geschäftsbanken von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent gesenkt hat. Viele Geldhäuser prüfen schon seit Längerem die Einführung von Negativzinsen ohne Freibetrag auch für Privatkunden. Bislang warteten sie damit aber noch ab, bis sich ein Wettbewerber aus der Deckung wagt. Diese Schwelle könnte nun überschritten sein.
Wie stark sich die Negativzinsen bereits im Markt durchgesetzt haben, zeigen auch Zahlen der Deutschen Bundesbank. Demnach meldeten im September 23 Prozent der Banken im Durchschnitt negative Zinsen auf Sichteinlagen privater Haushalte. Der Negativzins trifft zwar nicht alle von diesen Instituten verwalteten Einlagen, sondern nur die Kunden mit besonders hohen Einlagen. Trotzdem zeigt die Statistik, wie schnell die negative Verzinsung um sich greift.
Die jüngste Entwicklung treibt auch die politische Diskussion über das Thema voran. Auf Skepsis im Berliner Finanzministerium stieß der Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), Sparern einen steuerlichen Ausgleich für die Negativzinsen zu gewähren. Nötig sei ein Masterplan, wie man Sparer schützt und von Negativzinsen befreit, sagte Söder der "Passauer Neuen Presse". Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling ergänzte, die Banken bräuchten Gestaltungsspielräume, um ihr Geschäft in schwierigem Umfeld zu steuern. Steuererleichterungen seien vor diesem Hintergrund "charmanter", als den Banken Negativzinsen zu verbieten.
Unterdessen glaubt man bei Biallo.de nicht an eine Eskalation der Lage. Schließlich seien die Banken bei ihrer Refinanzierung auch auf ein stabiles Einlagengeschäft angewiesen. "Keine Bank hat Interesse daran, die eigenen Kunden zu vergraulen." Ebenso wenig sehe man eine Gefahr, dass Anleger das Vertrauen in das Geldsystem verlieren.