Yves Padrines, der seit März amtierende Chef des Münchner Entwicklers von Bau- und Mediensoftware Nemetschek, beschleunigt das Wachstum des Konzerns nun auch außerhalb Europas. Von Klaus Schachinger, Euro am Sonntag
Es läuft bei Nemetschek. Europas Marktführer bei Software für Architekten und Baufirmen liefert auch in dem wirtschaftlich schwierigen Umfeld weiter zweistellige Wachstumsraten und hohe Margen.
Die Programme des Münchner MDAX-Konzerns sind die digitale Zukunft des Bauens. So passen aufwendige Projekte, etwa ein Flughafen, nach Bauabschluss digital auf einen Stick, komplett mit allen Daten und Plänen. Die Betreiber nutzen den digitalen Zwilling dann für den Betrieb des Airports. Während des Projekts sind die Beteiligten via Software vom ersten Entwurf bis zum Ende des Bauens in alle Vorgänge eingebunden. Die werden digital in Echtzeit koordiniert.
Vollständig digitalisierte Großprojekte sind effizient und können fristgerecht, ohne große Überschreitungen des Budgets fertiggestellt werden. Allerdings sind digitale Großprojekte innerhalb der EU wegen der zögerlichen Nutzung des digitalen Standards BIM noch die Ausnahme. Dennoch bietet die Digitalisierung Nemetschek viel Potenzial. Yves Padrines ist seit März Chef des Münchner MDAX-Konzerns.
€uro am Sonntag: Herr Padrines, Nemetschek hat mit Ihnen erstmals, seit Firmengründer Georg Nemetschek 2001 in den Aufsichtsrat wechselte, einen Vorstandsvorsitzenden benannt. Sie haben damit mehr Einfluss als Ihre Vorgänger an der Spitze des Unternehmens. Was verändert sich nun in der Führung ?
Yves Padrines: Seit dem Börsengang vor mehr als 23 Jahren wurde die Firmengruppe von Vorstandssprechern geführt, die gleichzeitig auch Finanzvorstände waren. Nun wollen wir die nächste große Wachstumsphase einleiten. Dafür sind aus Sicht des Aufsichtsrats ein Vorstandsvorsitzender (CEO) sowie ein Finanzvorstand (CFO) sinnvoll.
Was bringen Sie als CEO mit?
Jahrelange internationale Erfahrung in Software- und Technologiekonzernen wie Cisco, Synamedia, Comcast/Sky und Medienunternehmen wie News Corporation und Vivendi. Mein Ziel ist es, die Strukturen und Prozesse der Nemetschek Group noch besser auf die stark gewachsene Größe des Konzerns anzupassen, sowohl im Bereich Bausoftware als auch in der Mediensparte Maxon, die inzwischen ein Zehntel des Umsatzes liefert. Wir haben hervorragende Lösungen, eine sehr gute Produktentwicklung und einen erfolgreichen Vertrieb. Einige Bereiche können jedoch noch verbessert werden.
Was ändert sich bei der Strategie?
Die Nemetschek Group muss als Marke viel bekannter werden. In Deutschland und am Kapitalmarkt ist die Marke etabliert. Weltweit sind unsere große Marken wie Bluebeam, Graphisoft, Vectorworks, Allplan, Solibri oder Maxon bei Kunden bekannter als der Konzern. Viele wissen nicht, dass die Marken, die sie kennen, zu Nemetschek gehören.
Die hohe Zahl und die Stärke der einzelnen Marken waren bisher das Erfolgsmodell von Nemetschek und die Alternative zur Strategie des US-Konkurrenten Autodesk, der alles seiner Marke unterordnet. Wird nun alles anders?
Nein, aber wir müssen die Strukturen bei Nemetschek der angestrebten Größe anpassen, um größere Kunden und die besten Köpfe der Branche zu gewinnen. Ein Unternehmen, das nach außen wie ein Mittelständler wirkt, kann es hier nicht mit Großkonzernen aufnehmen. Nemetschek muss deshalb stärker zeigen, was es als Gruppe leisten kann. Erste Schritte sind ja bereits erfolgt: Wir kombinieren Marken zu schlagkräftigen Einheiten, um größere Kunden besser anzusprechen. Große Marken wie Allplan, Graphisoft oder Bluebeam bleiben natürlich erhalten.
Wo will Nemetschek den Anteil großer Kunden deutlich erhöhen?
Wir arbeiten in allen Segmenten bereits mit sehr großen Kunden zusammen, zum Beispiel im Segment Build + Construct werden unsere Lösungen der Marken Bluebeam für Kollaboration und dRofus von einer überdurchschnittlichen hohen Anzahl großer Kunden genutzt. Aber auch hier ist noch Luft nach oben. In Märkten mit vielen großen Mittelständlern und Baukonzernen, zum Beispiel in Amerika, läuft diese Entwicklung schneller. Aber nicht jedes Segment ist aktuell für mehr Großkunden geeignet. Der Markt der BIM-Software für Bauplanung und für Design etwa besteht aus vielen kleinen Architekturbüros. Von den rund 45.000 Büros in Deutschland haben sehr viele weniger als fünf Arbeitsplätze.
Braucht Nemetschek zusätzliche Produkte für mehr große Kunden?
Nein. Unsere Lösungen sind bereits im Markt. So hat Allplan im Januar mit der Autobahn GmbH des Bundes einen Großauftrag über 2.850 Lizenzen zur Bearbeitung von 2-D- und 3-D-Modellen mit dem digitalen BIM-Standard unterschrieben. Dazu gehört auch ein vierjähriger Servicevertrag zur technischen Unterstützung sowie die BIM-Schulung der Mitarbeiter. Mit Frankreichs Energiebetreiber EDF haben wir einen ähnlichen Vertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren vereinbart. Japans Baukonzern Takenaka, der zu den größten der Welt gehört, nutzt Software unserer Marken dRofus, Graphisoft und Solibri. Bisher ist Nemetschek sehr stark auf Europa fokussiert, auch deshalb ist der Anteil kleiner und mittelständischer Kunden so hoch.
Amerika liefert 34 Prozent, Europa ohne Deutschland 33, die Region Asien- Pazifik erst rund neun Prozent des Umsatzes. Wie werden sich die Anteile in fünf bis zehn Jahren verändern?
Wir sehen in allen Regionen Potenzial. Aber unser Wunsch ist ganz klar, noch mehr Umsatz außerhalb von Europa zu generieren und uns weiter regional zu diversifizieren, besonders in den USA und im asiatisch-pazifischen Raum.
Analysten erwarten für 2025 erstmals mehr als eine Milliarde Euro Umsatz.
Ich bin zuversichtlich, dass wir früher mehr als eine Milliarde Euro umsetzen.
In welchem Nemetschek-Bereich sehen Sie das größte Wachstum?
Im Segment Build + Construct, weil der Digitalisierungsgrad hier noch sehr gering ist. Aber auch für das Segment Manage + Operate für Gebäudeverwalter und Pächter sehen wir viel Potenzial. Und nicht zuletzt im Media-Segment.
In allen Märkten für Nemetschek gibt es sehr große Bereiche, die noch nicht erschlossen wurden. Warum?
Der Hauptgrund ist die fehlende Bereitschaft zur Digitalisierung des gesamten Lebenszyklus von Bauwerken. In allen unseren Märkten gibt es damit viel Potenzial für starkes Wachstum - für die nächsten Jahrzehnte.
Wegen der Zinswende zur Bekämpfung der Inflation verteuern sich Baufinanzierungen. Die Preise für Rohstoffe sind deutlich gestiegen, sodass sich einige Projekte nicht mehr rechnen. Wie wirkt das auf Nemetscheks Geschäft?
Unser Geschäft ist während einer Rezession resistenter als andere Bereiche in der Wirtschaft. In schwierigen Phasen, zuletzt während der Pandemie, gab es sogar eine Beschleunigung der Digitalisierung und damit deutlich positive Effekte für uns. Bei 90 Prozent aller großen Bauprojekte gibt es zeitliche Verzögerungen oder deutliche Überschreitungen des Budgets. Um diese Kosten- und Zeitüberschreitungen stärker zu begrenzen, ist der Druck zur Digitalisierung in der Baubranche sehr hoch. Auch dass beim herkömmlichen Bauen ein Zehntel des Materials verschwendet wird, trägt dazu bei. Die Margen im Baugeschäft sind ohnehin nicht hoch, und Digitalisierung entlastet an dieser Stelle.
Digitalisierung erhöht also die Margen der Bauunternehmen?
Auf jeden Fall.
Wie sehen Sie die Mediensparte Maxon, die ein Zehntel des Umsatzes liefert?
Wir sehen Maxon als einen der Wachstumstreiber für die Nemetschek Group. Positiv ist, dass nach der Umstellung des Geschäftsmodells, die 2019 begonnen hatte, mittlerweile 95 Prozent der Erlöse bei Maxon Subskription sind. Der Umsatz legt jährlich deutlich zweistellig zu. Software aus Zukäufen wird in das neue Flaggschiff-Produkt Maxon ONE integriert - zuletzt sind die Programme der US-Firma Pixologic hinzugekommen. Sie nutzt eine Technologie, die 2-D- und 3-D-Darstellungen kombiniert. Das könnte auch die Digitalisierung im Bausektor, wo noch häufig mit 2-D gearbeitet wird, beschleunigen.
Maxons Abo-Software bringt Nemetschek also in der Cloud schnell voran?
Bei Abo-Software ja, aber nicht via Web, also in der Cloud. Maxons Kunden, das Who’s who der internationalen Medien- und Unterhaltungsbranche, legen großen Wert auf eine sehr schnelle Verarbeitung von großen Datenmengen. Deshalb wird die Abo-Software nicht in der Cloud genutzt, sondern auf den Rechnern der Kunden installiert.
Wo wird Maxon häufig eingesetzt?
Zum Beispiel für Spezialeffekte in der Werbung, bei Software für Videospiele, in Science-Fiction-Blockbustern wie "Star Wars" oder "Avatar" und künftig sicher auch im Metaverse.
In dem von Computern erschaffenen Metaverse sollen Nutzer mit digitalen Persönlichkeiten, Avataren, auftreten. Wie will Nemetschek diesen Markt für sich nutzen?
Maxon liefert Werkzeuge für Kreative, um Dinge zu erschaffen, auch im Metaverse. Wie überall bei Software sind für den Aufbau neuer Märkte Standards wichtig. Deshalb ist Nemetschek mit Unternehmen wie Adobe, Epic, Microsoft, Meta und Nvidia ein Gründungsmitglied des Metaverse Standards Forums.
Dennoch werden die Filmstudios, TV-Anbieter, Spieleentwickler und die Werbebranche auch langfristig Maxons wichtigste Stammkunden sein.
Sicher, und das Potenzial im Mediengeschäft ist ähnlich groß wie bei Bausoftware. Der Facebook-Konzern Meta Platforms ist einer unserer zahlreichen großen Kunden. Maxon wird zudem auch für 3-D-Visualisierungen im Gesundheitswesen verwendet.
Sind Renditen von über 40 Prozent bei Maxon auch ein langfristiges Ziel?
Nein. Innovation, die Weiterentwicklung der Produkte und der Ausbau des Geschäfts gehen vor. Wir investieren dafür rund ein Viertel des Umsatzes. Das bringt langfristige Wertsteigerungen.
Aktivistische Investoren könnten eine Abspaltung von Maxon fordern.
Mit der Aktionärsstruktur von Nemetschek, wo die Familie des Gründers und seine Stiftung mehr als 50 Prozent der Anteile halten, können wir unsere langfristige Strategie gut und ungestört umsetzen.
Vita:
Profi für Medien & Technologie
Vor Nemetschek war Yves Padrines (45) CEO von Synmedia, dem größten unabhängigen Entwickler von Software für Pay-TV-, Telekom- und Medienfirmen. Tech-Riese Cisco hatte die britische Firma, damals NDS Group, 2012 gekauft und sechs Jahr später an den britischen Finanzinvestor Permira verkauft. Padrines, der mit NDS zu Cisco gekommen war, wurde CEO der in Synamedia umbenannten Firma. Der gebürtige Franzose ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Nemetschek:
Europas Champion
Die Sparten Design, Build, Manage, Software zum digitalen Entwerfen, Bauen und Verwalten von Gebäuden und Infrastrukturen liefern rund 90 Prozent von 681,5 Milliarden Euro Umsatz für 2021. Von der seit 2019 stark ausgebauten Mediensparte Maxon kommt ein Zehntel der Erlöse. Bei Bausoftware ist Nemetschek weltweit die Nummer 2 und führend in Europa.
INVESTOR-INFO
Die Aktie
Wachstum und Qualität
Die Zahlen für das zweite Quartal bestätigen das starke Wachstum von Europas Primus für Bausoftware. Der Umsatz legte um knapp 23 Prozent auf 204 Millionen Euro zu, der Gewinn pro Aktie sogar um mehr als 40 Prozent. Die Mediensparte Maxon mit einem Zehntel der Erlöse liefert Impulse für das Wachstum und die Profitabilität. Für 2022 peilt Nemetschek zwölf bis 14 Prozent mehr Umsatz und 32 bis 33 Prozent Ebit-Marge an. Aussichtsreich.