Bei Nestle scheint es eine neue Tradition zu geben: Die eigene Prognose verfehlen. Der Lebensmittelkonzern reist mit den Zahlen für 2016 zum vierten Mal in Folge die eigenen Ziele. Ursprünglich wollte der Lebensmittelgigant organisch zwischen fünf und sechs Prozent wachsen. Dabei hatten die Schweizer die Messlatte im Laufe des vergangenen Jahres bereits gesenkt. Demnach planten die Eidgenossen aus eigener Kraft um 3,5 Prozent zuzulegen, heraus kam ein Plus von 3,2 Prozent. Mit dem Ergebnis lässt das Wachstumstempo bei Nestlé weiter nach, 2015 wurde noch ein Einnahmenplus von 4,2 Prozent erzielt. Das organische Wachstum des Konzerns sinkt damit zum vierten Mal in Folge, während sich das Tempo des Rückgangs weiter beschleunigt.

Weil bei der Berechnung des organischen Wachstums Wechselkurseffekte und Zu- wie Verkäufe herausgerechnet werden, stieg der absolute Umsatz 2016 mit 89,5 Milliarden Schweizer Franken um 0,8 Prozent. Das operative Ergebnis verbesserte sich hingegen um sechs Prozent und erreichte 13,1 Milliarden Franken. Von diesem Plus blieb unter dem Strich allerdings nichts übrig. Das Nettoergebnis fiel auf 8,5 von 9,1 Milliarden Franken im Vorjahr. Schuld ist laut Nestlé maßgeblich ein einmaliger negativer Steuereffekt.

Da hilft es wenig, dass Nestlé besser abschnitt als seine Konkurrenten. "Unser organisches Wachstum für 2016 lag am oberen Ende der Branche, doch am unteren Ende unserer Erwartungen", kommentierte der neue Vorstandsvorsitzende Ulf Schneider die Zahlen. Angesichts serienmäßig enttäuschter Erwartungen lässt Schneider auch für die nahe Zukunft keine Hoffnung aufkommen. 2017 will der seit Jahresbeginn an der Spitze von Nestlé stehende Manager den Umsatz organisch zwischen zwei und vier Prozent steigern. Die neuen Wachstumsambitionen sind damit am unteren Ende der Prognose nicht einmal mehr halb so groß wie die vorherigen Ziele. "Das spiegelt die makroökonomische Unsicherheit wider, die wir alle spüren. Wir sind in einem volatilen und immer noch deflationären Umfeld", so Schneider. In wichtigen Märkten wie Westeuropa und Nordamerika sei die Nachfrage weiterhin verhalten. Zudem habe Nestlé wegen der vielerorts mauen Wirtschaftsentwicklung die Preise nicht in dem Umfang wie erhofft anheben können. Doch immerhin erwartet Schneider bis 2020 organisch wieder im mittleren einstelligen Prozentbereich zuzulegen. Dann wäre Nestlé in etwa wieder zu seinem ursprünglich geplanten Wachstumstempo zurückgekehrt. Ein weiteres Zuckerl für die Aktionäre ist die Dividende die von 2,25 auf 2,30 schweizer Franken steigen soll.

Probleme bereitet dem Hersteller von Kitkat-Schokoriegeln, Maggi-Suppen oder Nescafe, aber nicht nur die globale Konjunkturentwicklung. Der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern verliert - Übernahmen ausgeklammert - seit zehn Jahren Marktanteile, kritisiert Andrew Wood, Analyst bei Bernstein Research. Das liegt vor allem daran, dass nicht nur in Europa die Lust auf industrielle Fertignahrung sinkt. Im wichtigen Kaffeegeschäft mit Nescafé und Nespresso rückt dem Branchenprimus die deutsche Familie Reimann auf die Pelle, die gerade mit milliardenschweren Zukäufen ein neues Kaffeeimperium geschmiedet hat und den Schweizern Umsatz und Marktanteile abjagen will.

Um gegenzusteuern plant Schneider eine "beträchtliche Erhöhung" der Restrukturierungskosten. Diese sollen dieses Jahr rund 500 Millionen Franken betragen, nach 300 Millionen im vergangenen Jahr. Infolgedessen geht Nestlé von einer stabilen operativen Ergebnismarge bei konstanten Wechselkursen aus. Mit den Maßnahmen sollen die Kosten bei Nestlé bis 2020 um mindestens zwei Prozent sinken und die Profitabilität so weiter steigern. Gleichzeitig will Schneider immer weniger Kapital für Vorräte und Produktion binden und die Kapitalkosten weiter senken. Trotz stabiler Margen und steigender Kosten soll es so gelingen unter dem Strich 2017 wieder mehr zu verdienen und das Ergebnis je Aktie zu steigern.

Allein mit sinkenden Kosten wird es Schneider, der vorher den Medizintechniker Fresenius lenkte, kaum gelingen Nestlé zu neuem Wachstum zu führen. In Zeiten eines immer bewußteren Lebenswandels regen die süßen Leckeren von Nestlé den Appetit der Kunden kaum noch an. In Lebensmitteln die nicht nur satt sondern auch gesund machen, sehen Marktexperten dagegen große Wachstumspotentiale. Noch größer werden die Chancen für Nahrungsmittel eingeschätzt die gegen Zivilisationskrankheiten wie Allergien, Diabetes und Fettleibigkeit wirken. Essen und Trinken, so die Vision, soll die Basis für eine neue Art der personalisierten Medikation sein. Die Berater von Boston Consulting schätzen, dass 2020 damit weltweit rund 550 Milliarden Dollar umgesetzt werden - mit Gewinnmargen jenseits von 30 Prozent. Nestlé schafft mit seinen Kalorienbomben derzeit gerade mal 15,3 Prozent vom Umsatz.

Allerdings dauert es lange, bis derartige Produkte marktreif sind. Das Ziel eines Tages mit Gesundheitsprodukten zehn Milliarden Franken einzunehmen, liegt damit noch in einiger Ferne. Firmenkenner halten es daher für möglich, dass sich Nestlé unter Schneider in dem Segment auch durch Zukäufe verstärkt. Immerhin hat der Ex-Fresenius Boss in seiner Zeit bei dem Dialyse-Spezialisten fünf Unternehmen mit einem Umsatz von jeweils mehr als einer Milliarde Euro übernommen. Doch Schneider will sich mit Zukäufen zunächst zurückhalten. Angesichts der hohen Bewertungen vieler Firmen sei derzeit nicht der richtige Zeitpunkt für Großübernahmen, sagte Schneider. Allerdings wolle Nestle auch bereit sein, sollte sich eine passende Gelegenheit ergeben. Ob der Konzern in einem solchen Fall seinen Anteil von gut 23 Prozent an dem französischen Kosmetikkonzern L'Oreal zu Geld machen könnte, ließ Schneider offen. Die Beteiligung sei eine gute und Gewinn bringende Investition. Was auch immer Nestle hier in Zukunft unternehmen, müsse mit großer Vorsicht passieren.

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Einschätzung der Redaktion



Mit seiner Wachstumsprognose wird Nestlé im Zweifel nur noch im Gleichschritt mit der Weltkonjunktur wachsen. Das ist bitter, mit einem Minus von über zwei Prozent reagierten die Anleger entsprechend enttäuscht. Doch obwohl die Menschen auf der Welt augenscheinlich immer weniger Hunger auf Nestlé-Produkte haben, verbessert der Konzern seine Profitabilität weiter. Mit Blick auf die einzelnen Segmente gelang es Nestlé die Gewinnspanne teils um 100 Basispunkte und mehr zu steigern und den freien Cashflow zu erhöhen.

Diesen Pfad will Schneider mit seinen Restrukturierungen weiter verfolgen. Zudem geht ein Teil der Umsatzsteigerungen bei Nestlé stets auf Preiserhöhungen zurück, doch diese waren in den vergangenen Jahren wegen des schlechten wirtschaftlichen Umfelds schwer möglich. Zieht die Konjunktur also weiter an, verbessern sich auch die Aussichten für Nestlé. Gleichzeitig zählt der Konzern zum Dividendenadel, hat seine Ausschüttung an die Aktionäre in den vergangenen 25 Jahren also stets stabil gehalten oder erhöht. All das spricht langfristig für die Aktie.

Dennoch sollten Anleger vorerst nicht zu viel von der Nestlé Aktie erwarten. Schneiders Ausblick ist vorsichtig, steigen die Zinsen stehen defensive Titel wie Nestlé zudem weniger hoch im Kurs. Das Papier dürfte daher in dem mittlerweile recht breiten Band von 65 bis 80 Euro weiter seitwärts pendeln. Wirkliche Impulse dürfte die Aktie erst wieder bekommen, wenn Schneider erste Erfolge auf dem Feld gesunder Lebensmittel vorweisen kann. Halten

Kursziel: 75,00 CHF

Stoppkurs: 64,00 CHF