"Wir wollen eine echte globale Marke sein, die überall erreichbar und relevant ist", sagt Ted Sarandos, der im Netflix-Vorstand für die Bestückung des Streaming-Dienstes mit Inhalten verantwortlich ist. Das skizzierte Ziel ist so gut wie erreicht: Im Schlussquartal 2015 konnte Netflix weltweit 5,6 Millionen Neukunden gewinnen. Inzwischen haben knapp 75 Millionen Menschen Zugang zu dem Videoportal. Auf einer Medienkonferenz der Schweizer Bank UBS in New York erklärte Sarandos: "Früher mussten alle Mann an Bord wochen- und monatelang arbeiten, wenn ein Land hinzukam." Jetzt gehe das reibungslos und effizient über die Bühne.
Um sich in allen Regionen der Erde zu etablieren, finanziert Netflix massenweise Filme im Ausland, in Frankreich etwa die Serie "Marseille" mit Gérard Depardieu. Darüber hinaus drückt Sarandos in Italien und Mexiko auf die Tube. "Wir suchen Talente vor Ort, eine Besetzung vor Ort - und drehen in der Landessprache." Auch ein Mix über Landesgrenzen hinweg ist gefragt. Bestes Beispiel ist für Sarandos die Serie "Narcos" über den einstigen Drogenboss Pablo Escobar: "85 Prozent der Dialoge sind auf Spanisch. Eine französische Firma war für die Produktion verantwortlich. Wir drehten in Kolumbien mit brasilianischen Stars. Außerordentlich beliebt ist die Sendung in Deutschland."
Die Erfolgsstory von Netflix ist also intakt. An der Börsenstory jedoch mehren sich die Zweifel: Zunächst muss der Konzern die Kosten für die Auslandsexpansion verdauen, was das Ergebnis im laufenden Jahr belasten dürfte. Folgerichtig brach der Gewinn im vierten Quartal 2015 ein: Trotz einer Umsatzsteigerung um 23 Prozent auf 1,8 Milliarden US-Dollar sank das Ergebnis um 48 Prozent auf 43 Millionen Dollar.
Was Netflix das Leben schwer macht, sind die Begehrlichkeiten anderer Großkonzerne, die mittlerweile auch auf den Trichter gekommen sind, dass im Streaming-Geschäft richtig Geld zu verdienen ist. Nachdem Apple mit seinem Multimediadienst iTunes schon seit Jahren erfolgreich ist, startete Amazon einen eigenen Streaming-Dienst für Prime-Kunden. Gegen eine Gebühr von 99 Dollar im Jahr können diese unbegrenzt Filme und Serien im Internet schauen - auch die von Netflix. Im Gegenzug nutzt Netflix für seine IT-Infrastruktur die Speicherkapazitäten von Amazon. Insgesamt sieht das mehr nach einer Symbiose aus als nach einem tobenden Konkurrenzkampf.
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Das Erwachen der Macht
Der wirkliche Gegner heißt Hulu, 2008 an den Start gegangen. Die Mediengiganten 21st Century Fox, Walt Disney und Comcast sind zu jeweils einem Drittel an dem Streaming-Dienst beteiligt. Mit neun Millionen Kunden ist Hulu im Vergleich zu Marktführer Netflix zwar ein Zwerg, doch die Marktmacht der drei alteingesessenen Konzerne ist nicht zu unterschätzen. Wenn sie Ernst machen, werden sie es auch schaffen, ihren Streaming-Dienst nach vorn zu bringen - und auf Profitabilität zu trimmen. 2020 könnte Hulu 4,5 Milliarden Dollar Gewinn einspielen, schätzt Omar Sheikh, Analyst bei der Credit Suisse. Besonders Amerikaner wenden sich vom traditionellen Fernsehen ab, weil sie den Zeitpunkt, zu dem sie eine Sendung sehen möchten, frei bestimmen wollen. Kunden können jederzeit alle verfügbaren Filme und Serien in der Bibliothek starten. Ein anderes Ärgernis beim klassischen Fernsehen sind die vielen Werbeunterbrechungen samt teurer Kabelgebühren. Streaming ist weitgehend werbefrei.
Die Qualität des Streamings ist so gut wie nie zuvor. Das neue, hochauflösende Fernsehen heißt 4K. Darunter leiden die traditionellen TV-Stationen: Die Kurse von CBS, Discovery Communications und der MTV-Mutter Viacom krebsen nahe an ihren Mehrjahrestiefs herum. Auch die CNN-Mutter Time Warner fiel an der Börse in Ungnade. Dass im gleichen Atemzug aber auch die Kurse der Hulu-Eigner Comcast, Disney und 21st Century Fox verfielen, gibt manchem Experten Rätsel auf. Nach Börsenwert ist Netflix 21st Century Fox ganz schön auf die Pelle gerückt, obwohl der vom -Medienmogul Rupert Murdoch dominierte Konzern über ein weltumspannendes Netzwerk von Fernsehsendern verfügt. "Die Investoren scheinen das Potenzial von Hulu komplett zu übersehen", ist Credit-Suisse-Analyst Sheikh überzeugt.
Dass es eine Herausforderung sei, auf einen Schlag Filmrechte für die ganze Welt einzukaufen, gibt auch Netflix-Manager Sarandos zu. Zumal er die Rechte zum Teil noch von den Konzernen kaufen muss, die ihm mit Hulu Konkurrenz machen. Freundschaftspreise hat er also nicht zu erwarten. Deshalb hat der Netflix-Vorstand das Budget für Eigenproduktionen fürs laufende Jahr auf fünf bis sechs Milliarden Dollar etwa verdoppelt. 16 neue Serien sind in der Mache, darunter "The Ranch" mit Hollywood-Star Ashton Kutcher. Von Frauenschwarm Brad Pitt kaufte Netflix die Satire "War Machine".
Zudem gehen bis Silvester 30 Serien für Kinder in die Produktion. Die Hälfte der Netflix-Abonnenten sind Familien mit Kindern. "Unsere Kindersendungen performen fantastisch", schwärmt Sarandos. Je früher Streaming zum ganz normalen Fernsehen für die künftige Abonnentengeneration wird, desto besser. Netflix-Chef Hastings scheint eine Gabe zu haben, Trends frühzeitig zu erkennen. Ursprünglich war Netflix eine Onlinevideothek, Abonnenten bekamen Filme als DVDs nach Hause geschickt. Per Post. Als Hastings merkte, dass das Streamen viel bequemer für die Kunden ist, änderte er das Geschäftsmodell.
Für Aktionäre war das eine harte Zeit. Als Hastings den Abopreis für den Postversand verteuerte, um die Kunden zum Streamen zu bewegen, stürzte der Kurs ab. Analysten kritisierten, dass Hastings mit der neuen Strategie die Altkunden verprelle. Im September 2012 rutschte der Titel auf weniger als sechs Euro ab. Danach allerdings legte der Kurs um bis zu 2000 Prozent zu. Seit dem Börsengang im April 2002 kommt der Nasdaq-Titel gar auf ein Plus von mehr als 10 000 Prozent. Auch 2015 war Netflix mit 134 Prozent Zuwachs der Top-Performer im S&P-500-Index.
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Hohe Bewertung als Risiko
Ob das so weitergeht, erscheint fraglich. Denn obwohl es Vorstandschef Hastings immer wieder gelingt, positiv zu überraschen, sind im Börsenwert von 47 Milliarden Dollar schon reichlich Vorschusslorbeeren enthalten. Die Bewertung mit dem fünffachen Jahresumsatz und ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 388 fürs laufende Jahr machen die Aktie anfällig für weitere Rückschläge. Hedgefonds-Guru David Einhorn von Greenlight Capital warnt bereits seit geraumer Zeit, Netflix sei zu teuer.
Andererseits geben selbst Skeptiker zu, dass Hastings ein gutes Händchen hat. Der Umsatz wächst seit langer Zeit um mehr als 20 Prozent. Daran wird sich nach Meinung der Analysten vorerst nichts ändern. Im laufenden Jahr sollen 8,7 Milliarden Dollar durch die Bücher gehen. Dennoch: Nachdem die Aktie unseren mehrfach nachgezogenen Stoppkurs von zuletzt 85 Euro fast erreicht hat, stufen wir sie auf "Beobachten" zurück. Das gleiche Schicksal ereilt Amazon, die Aktie notierte zwischenzeitlich sogar kurz unter dem Stopp von 510 Euro. Bessere Chancen räumen wir den Hulu-Eignern Walt Disney (siehe Heft 50/2015), Comcast und 21st Century Fox ein, die alle an charttechnisch relevanten Unterstützungszonen angekommen sind. Der mittlerweile von Rupert Murdochs Sohn James geleitete Fox-Konzern wird nur noch mit dem 1,8-fachen Umsatz bewertet. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von zwölf liegt knapp unter dem US-Marktduchschnitt.
Für Antizykliker sind zudem die Papiere des Medientitanen Time Warner interessant, die mit einem 14er-KGV auch günstiger bewertet sind als der Gesamtmarkt. Aus Ärger über den niedrigen Kurs erwägt Vorstandschef Jeff Bewkes den Verkauf des gesamten Konzerns. Analysten halten für diesen Fall einen Kurs von etwa 90 Euro für realistisch. Aktuell notiert die Aktie bei 66 Euro.