Für Netflix kann es ein großer Tag werden: In zwei Wochen wird in Los Angeles die wichtigste Auszeichnung der Filmindustrie vergeben. 24-mal ist der Streamingdienst für einen Oscar nominiert. Trophäen etwa für den von Netflix finanzierten Thriller "The Irishman" würden auch an den Aktienmärkten gut ankommen. Ausgerechnet dort hatte Netflix zuletzt wenig zu bieten. Im vergangenen Jahr legte die Aktie in Dollar gerechnet zwar um 21 Prozent zu, gehörte damit aber zu den schwächeren Werten unter den amerikanischen Techs.
Als Pionier im Onlinevertrieb hatte Netflix erstaunlich lange freie Bahn. 167 Millionen Kunden bezahlen mittlerweile für den Zugriff auf die Videothek. Die Konkurrenz aber ist aufgewacht. Angeführt von Amazon, Disney und Apple, drängen finanzkräftige Wettbewerber in den Markt. Der verschärfte Wettbewerb trifft Netflix doppelt: Nicht nur um die Kunden wird gekämpft, sondern auch um die kreativen Köpfe hinter den Kulissen. Die Produktionskosten für hochwertige Serien sind deutlich gestiegen. Bei der neuen Apple-Serie "The Morning Show" werden sie für eine Folge auf mehr als 15 Millionen Dollar geschätzt.
Netflix geht in die Offensive. In diesem Jahr dürften die Ausgaben um 20 Prozent steigen, schätzen Analysten. Die jüngsten Geschäftszahlen machen Mut, verdeutlichen aber auch die Probleme. In den USA, dem am härtesten umkämpften Markt, steigerte Netflix die Zahl seiner Kunden im Schlussquartal um 420.000 und verfehlte damit sein selbst gesetztes Ziel von 600.000. Konzernchef Reed Hastings erklärte das in seinem Brief an die Aktionäre mit neuen Konkurrenten, aber auch Preiserhöhungen. Besser läuft es im Rest der Welt. Dort stieg die Zahl der Abos im Quartal um 8,3 Millionen. Geplant hatte der Vorstand mit sieben Millionen. Weltweit wuchs die Kundendatei damit stärker als erwartet.
Das nächste Kapitel
An der Börse werden zwei sehr unterschiedliche Drehbücher für die Zukunft von Netflix durchgespielt. Die triste Variante warnt, dass der Konzern im vergangenen Jahr einen negativen Cashflow von 3,3 Milliarden Dollar erwirtschaftet hat und auch sonst finanziell schlecht aufgestellt ist für einen Konkurrenzkampf gegen Riesen wie Amazon, Apple und Disney, die über viele andere Einnahmequellen verfügen, also großzügig investieren können.
In der positiven Interpretation ist das Wachstumspotenzial für Streamingdienste weltweit so groß, dass Netflix trotz verschärfter Konkurrenz weiter zulegen kann. Die vielen neuen Angebote würden vor allem den klassischen TV-Sendern schaden, nicht aber Netflix mit seinem breiten Sortiment aus Filmen und Serien verschiedener Genres. Außerdem habe Netflix als Pionier in diesem Geschäft einen klaren Wettbewerbsvorsprung.
Die Finanzkennziffern sollen sich schon bald verbessern. Mit zunehmender Größe greifen Skaleneffekte. Das Minus beim Cashflow will Hastings in diesem Jahr auf 2,5 Milliarden Dollar reduzieren und auch danach weiter drücken. Für 2022 sehen zumindest einige Analysten diese Kennziffer im schwarzen Bereich. Das wäre ein wichtiger Wendepunkt für den Konzern und Kurstreiber für die Aktie.
Bei den Abo-Zahlen bremst Hastings die Erwartungen: Für das erste Quartal des neuen Jahres kalkuliert er mit einem Anstieg der Abos um sieben Millionen auf dann 174 Millionen. Diese Zahl liegt unter der bisherigen Analystenschätzung.
€uro am Sonntag geht davon aus, dass Netflix dank des starken internationalen Wachstums weiter positiv überraschen kann. Angesichts der hohen Bewertungskennziffern und den sich abflachenden Wachstumsraten ist die Aktie trotzdem nur eine Halteposition. Ein Einstieg würde sich erst nach einem stärkeren Rückschlag lohnen.
Spannung: Die Quartalszahlen haben keinen neuen Schwung gegeben. Langfristig orientierte Investoren bleiben dabei.
Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 330,00 Euro
Stoppkurs: 240,00 Euro