Öl hat viel von seinem wirtschaftlichen Schrecken verloren
Um steigenden Preisen und Versorgungsengpässen entgegenzuwirken, wollen die USA und Saudi-Arabien - wenn nötig - ausreichend stille Ölreserven hörbar auf den Markt bringen. Außerdem setzen die Saudis alles daran, ihre Ölproduktion so schnell wie möglich wieder zu normalisieren. Die Energieagentur IEA in Paris sieht den Ölmarkt momentan gut versorgt, zumal die Nachfrage weltkonjunkturbedingt zur Schwäche neigt. Ein Engpass droht für Deutschland sowieso nicht, da nur unter zwei Prozent des Öls aus Saudi-Arabien stammt. Daneben ist gemessen an der Wirtschaftsleistung der heutige deutsche Ölverbrauch gegenüber 1990 um 40 Prozent gefallen und im Durchschnitt geben deutsche Verbraucher weniger als drei Prozent ihres Einkommens für Kraftstoff aus.
Die neuerlichen Querelen im Mittleren Osten dürften die europäische Suche nach alternativen Energiequellen forcieren. Mit dem Bau von Flüssiggas-Terminals "an der Nordseeküste am plattdeutschen Strand" bereitet sich Deutschland schon auf den Import von amerikanischem Fracking-Gas vor.
Das amerikanische Fracking dürfte die EU sogar erfreuen wie den Liebhaber von Alkoholpralinen das erste Mon Chéri nach der Sommerpause. Denn mit amerikanischem Fracking schlägt Europa gleich vier Fliegen mit einer Klatsche. Erstens wirkt man der Abhängigkeit von konventionellem Opec-Öl entgegen. Zweitens werden im Zeitalter des Klimaschutzes immer mehr Schiffe das im Vergleich zu Schweröl und Diesel umweltfreundlichere Gas als Treibstoff nutzen. Drittens reduzieren die USA mit Fracking-Export ihr chronisches Handelsbilanzdefizit gegenüber Europa. So geht im transatlantischen Handelskrieg so mancher dicken Berta von Trump die Munition aus. Und viertens macht sich Europa weniger abhängig von russischen Gaslieferungen.
Also alles nur halb so schlimm?
Spielt der Iran die Nordkorea-Strategie?
Die US-Regierung und die Saudis machen den Iran für die Luftangriffe auf die saudischen Ölanlagen verantwortlich. Dagegen bestreitet der Iran jede Tatbeteiligung. Nähme man theoretisch an, der Iran stünde hinter den Anschlägen, würden die USA dann wirklich die Islamische Republik angreifen?
Der Iran beobachtet sehr genau, dass sich Amerika unter Trump dann mit seinen Erzfeinden arrangiert, wenn diese weder diplomatisch, noch wirtschaftlich, noch mit "Feuer und Wut" in die Knie zu zwingen sind. Hat nicht Nordkorea unter Kim Jong-un erst mit seinen aufsehenerregenden Raketentests für amerikanische Gesprächsbereitschaft gesorgt? Was spricht also dagegen, dass auch Irans Führung mit Machtdemonstrationen im Persischen Golf signalisiert, dass es selbst für die USA unbezwingbar ist?
Amerika ist wirklich geschockt, mit welch geringem Aufwand höchst möglicher Schaden angerichtet werden kann, ohne geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Drohnenattacken haben ab sofort ein sehr reales Bedrohungsszenario für die Ölversorgung aus dem Golf geschaffen. Daneben ist die Straße von Hormus, über die knapp ein Drittel der seeseitigen Ölexporte und knapp 20 Prozent der weltweiten Produktion verschifft wird, ein Nadelöhr, das die Iraner so mühelos kontrollieren wie Löwen eine seltene Wasserstelle in der Wüste.
Wie wahrscheinlich ist ein Krieg im Persischen Golf?
Grundsätzlich würde ein amerikanischer Vergeltungsschlag auf den hochgerüsteten Iran das Pulverfass Mittlerer Osten explodieren lassen, wo unterschiedlichste Interessen zahlreicher Konfliktparteien unmittelbar aufeinanderprallen. Amerika müsste mit hohen Verlusten rechnen. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die USA mit "Befreiungsaktionen" - siehe Vietnam, Irak, Afghanistan - so schlechte Erfahrungen gemacht, dass mittlerweile selbst hartgesottenen republikanischen Wählern Federn von Friedenstauben wachsen. Gerade deswegen hat Trump seiner Anhängerschaft ja versprochen, Amerika werde die Rolle als Weltpolizist abgeben und keine großen neuen Militärinterventionen mehr eingehen. Und tatsächlich hat Trump bereits im Juni auf vermeintlich iranische Angriffe auf Tanker im Golf nicht mit der Feuerung von Raketen, sondern später mit der von seinem außenpolitisch scharfmachenden Sicherheitsberater John Bolton reagiert.
Überhaupt, ein vermutlich ewig dauernder Militärkonflikt mit dem Iran würde über schwerste geopolitische Verunsicherungen mit allerhöchsten Ölpreisen weltweit den Investitionsappetit von Unternehmen und die Kauflust der Verbraucher förmlich torpedieren. In den USA würde die Konjunktur in den industrialisierten Bundesstaaten geschwächt, wo Trump treue Wähler hat. Das amerikanische Fracking-Angebot wird zwar laufend besser, kann aber aufgrund unbefriedigender Logistik noch nicht ausgleichend wirken. Lässt schließlich die US-Rezession auch noch die Aktienkurse fallen, kann Trump seine Chancen auf Wiederwahl im Persischen Golf versenken.
Bei aller Irrationalität, ein politischer Selbstmörder ist der gute Donald sicher nicht. Die Risiken eines Iran-Kriegs sind Trump grundsätzlich viel zu hoch und viel zu teuer. Selbst wenn Trump zur Wahrung einer Position der Stärke Kriegsschiffe zum Schutz der Tanker in den Golf schickt, der Regimewechsel des Erzfeindes Iran ist weg vom Washingtoner Tisch.
Vor diesem Hintergrund scheint die Anwendung der Nordkorea-Strategie für Teheran sinnvoll zu sein. Ein Interessenausgleich mit dem Iran ist die einzig vernünftige Handlungsoption für die US-Regierung. So könnte der Iran u.a. eine Lockerung der wirtschaftlich schmerzenden (Öl-)Boykottsanktionen erreichen.
Unter Abwägung all dieser Argumente spricht wenig für eine neue Ölkrise. Namhafte Wirtschaftsinstitute kommen übrigens zum Ergebnis, dass die Weltkonjunktur selbst bei einem gegenüber Voranschlags-Niveau um 20 Prozent gestiegenen Ölpreis lediglich um 0,1 Prozent 2020 und um 0,2 Prozent 2021 einbüßen würde.
Ölkrise sieht anders aus.
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Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.