Es ist Zeit, mit zwei Vorurteilen im Zusammenhang mit Holland und Börse aufzuräumen: Erstens, Amsterdam hat nicht die älteste Warenbörse der Welt, wie oft kolportiert wird. Die Börse Amsterdam, gegründet 1611, ist lediglich die älteste Effektenbörse. Bereits 200 Jahre zuvor wurden Waren an der Börse Brügge gehandelt. Zweitens, der vielfach zitierte spekulative Tulpenhandel des 17. Jahrhunderts fand nicht an der Börse statt. Spekuliert wurde damals in Haarlems Wirtshäusern in der Nähe der Tulpenfelder.

Aber in der Tat sind die Niederländer immer am Puls der Zeit, wenn es um Handel und Börse geht. So verwundert es auch nicht, dass die Amsterdamer Börse als eine der ersten privatisiert und in eine AG umgewandelt wurde. Seither gehört sie zum Konglomerat NYSE Euronext - ebenfalls dazu gehören die Börsen Brüssel, Lissabon und Paris, der Terminmarkt in London, die New York Stock Exchange und die NYSE Amex in New York sowie die NYSE Arca in Chicago und San Francisco.

Als im Rahmen des Brexits der Unilever-­Hauptsitz in Rotterdam zur Disposition stand und man London den Vorzug geben wollte, handelten die Niederländer. Kurzerhand wurde die Abschaffung der Quellensteuer bei Ausschüttungen von Kapital­gesellschaften ab Januar 2020 beschlossen. Londons Vorteil war pulverisiert. Der niederländische Leitindex AEX, der 25 Aktiengesellschaften umfasst, markierte in diesem Börsensommer ein Jahreshoch bei 586,36 Punkten und wies damit ein Plus von mehr als 20 Prozent auf. Höchststände, die niederländische Börsianer seit 18 Jahren nicht mehr gesehen hatten.

Mittlerweile haben aber auch die Kurse der "Oranje-Titel" die sich eintrübende Weltkonjunktur zu spüren bekommen. Und so plant die sonst fiskalpolitisch mustergültige Regierung der Niederlande ein milliardenschweres Konjunkturprogramm, wie die auflagenstärkste niederländische Tageszeitung "De Telegraaf" kürzlich berichtete.

Der größte Anbieter von Lithografiesystemen für die Halbleiterindustrie, die niederländische ASML, beweist Stärke in dieser zyklischen Branche. Denn deren komplexe Anlagen zur Produktion von Microchips sind nahezu konkurrenzlos. So sind 80 Prozent aller Chiphersteller weltweit Kunden der Niederländer. Die Analysten der DZ Bank beobachteten in den vergangenen Jahren eine stabile Nachfrage und eine positive Geschäftsentwicklung aufgrund der technologischen Marktführerschaft - vor allem bei der EUV-Lithografie. Diese "extreme ultravio­let lithography" ermöglicht eine Verkleinerung von Halbleiterstrukturen jenseits der bisherigen Maßstäbe.

Nach einem schwächeren ersten Quartal 2019 führten die Ergebnisse des zweiten Quartals und eine gute Auftragslage zu einem Kursfeuerwerk Ende August, was die Aktie knapp an die 200-Euro-Marke herantrieb. Unser ausgegebenes Kursziel von 235 Euro bleibt somit bestehen.

Herausragend zeigte sich auch Philips in den vergangenen Wochen. Die Technologie- und Healthcare-Aktie markiert derzeit ein 19-Jahres-Hoch und zeigt im Vergleich zum niederländischen Gesamtmarkt nicht die geringste Schwäche. Das Unternehmen mit Sitz in Amsterdam besetzt im Bereich Healthcare marktführende Positionen in der Kardiologie, Notfallmedizin und Gesundheitsversorgung. "Das Zahlenwerk des Medizintechnikkonzerns ist insgesamt gut ausgefallen", urteilte HSBC-Analyst Richard Latz nach den Q2-Zahlen auf einer Investorenkonferenz im Juli. Überzeugt habe vor allem auch der starke Auftragseingang, der Positives für das zweite Halbjahr erwarten lasse.

Robust gegen Konjunkturflauten


Wenn der Motor der Weltwirtschaft ins Stottern gerät und Rezessionsängste aufkommen, rücken konjunkturunabhängige Branchen in den Mittelpunkt des Anleger­interesses. Konsumtitel wie Unilever mit starken Marken im Bereich Körperpflege, Haushalt und Textil sowie Nahrungsmittel bleiben gesucht. Für den Titel als Stabilisator im Depot spricht eine solide Dividendenpolitik mit vierteljährlichen Ausschüttungen. Auf dem aktuellen Kursniveau ergibt sich eine Dividendenrendite von 2,9 Prozent. Die Aktie steht außerdem kurz vor der Aufnahme in den Kreis der sogenannten S & P-Dividenden-Aristokraten. Das Umsatzziel hat Vorstandschef Alan Jope im ersten Halbjahr 2019 mit einem Plus von 3,3 Prozent bereits erreicht. Wachstums­treiber ist das Geschäft in den Schwellenländern, vornehmlich in Asien, wo der Umsatz um 6,2 Prozent gesteigert werden konnte. Der Umbau des Konzerns und der vollständige Umzug der Zentrale nach Rotterdam scheinen verdaut. "Das zweite Quartal bestätigt den Eindruck, dass Unilever Fortschritte macht", kommentiert Berenberg-­Analyst James Targett die aktuelle Entwicklung bei dem Konzern.

Optikerkette im Visier


Ebenfalls in den Niederlanden sitzt die weltweit größte Optikerkette ­GrandVision. Sie wurde unlängst von der französischen EssilorLuxottica ins Visier genommen. GrandVision ist in Deutschland weitgehend unbekannt, die Konzernmarke ­Apollo-Optik kennt dagegen praktisch jeder. Nach der Fusion des französischen Brillenglasspezialisten Essilor mit dem italienischen Luxusbrillenhersteller Luxottica vor zwei Jahren steht nun der nächste große Deal der Branche an: Der Brillenkonzern beabsichtigt, 76,72 Prozent der Grand­Vision vom Mehrheitsaktionär HAL Trust zu übernehmen. Je 28 Euro pro Aktie werden geboten - was einem Unternehmenswert von 7,1 Milliarden Euro entspricht.

Als das Angebot bekannt wurde, lag der gebotene Übernahmepreis rund 33 Prozent über dem Börsenkurs. Mittlerweile hat sich der Kurs dem Übernahmeangebot angenähert. Kommt es allerdings nicht innerhalb der nächsten zwölf Monate zu dem von den Franzosen angestrebten Volumen, steigt der Übernahmepreis auf 28,42 Euro.

Auf einen Blick: Niederlande