Mit der Geldpolitik im Rücken stellen mich selbst die wieder aufkeimenden Nöte süd-euroländischer Banken vor keine großen analytischen Nöte. Früher hätte ich bei einem derartigen Finanzsystemrisiko noch den Panikknopf gedrückt. Heute beruhigt mich ein in der Kaiserstraße 29, 60311 Frankfurt residierender EZB-Chef, der von Kopf bis Fuß auf Bankenrettung eingestellt ist.
Und selbst die Säkularisierung der Euro-Finanzpolitik, die ohne Scham auch noch die letzten Stabilitätshüllen fallen lässt, grämen mein Analystenherz nicht mehr. Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, dass Finanzsolidität im Europäischen Stabilitätspakt nur eine blendende Fassade ist, kann man sich zügig den "Segnungen" schuldenfinanzierter, öffentlicher Konjunkturaufbauspritzen widmen, die schließlich über die Gewinnseite auch Aktien zugutekommen.
Auf Seite 2: Für das geopolitische Töpfchen das passende Analyse-Deckelchen?
Für das geopolitische Töpfchen das passende Analyse-Deckelchen?
Aber was mache ich kapitalmarktanalytisch mit geopolitischen Krisen? Soll ich mich an die selbstgefälligen Börsenweisheiten "Politische Börsen haben kurze Beine", "Kaufen, wenn die Kanonen donnern" oder "An Gewinnmitnahmen ist noch niemand gestorben" halten? In punkto Dauer, Intensität und Folgen geopolitischer Konflikte haben diese Kalauer aber leider nur einen ähnlich geringen Nutzen wie Kühlschränke am Nordpol.
Saubere historische Blaupausen, die man an geopolitisch beeinflusste Kapitalmärkte anlegt und dann seine Anlagestrategie findet? Es gibt sie nicht!
Schade, solche Analysemuster bräuchte ich jetzt. Denn die Situation im Konflikt Ukraine-Russland ist verfahren. Ich bezweifle, dass Putin mit massiven westlichen Wirtschaftssanktionen vom Saulus zum Paulus wird? Ein in sich selbst verliebter, sendungsbewusster Wladimir Wladimirowitsch Putin nimmt bewusst in Kauf, dass sein Land zum Aussätzigen an den Kapitalmärkten geworden ist. Eine massive Kapitalflucht, fehlschlagende Anleihenplazierungen und westliche Investitionsblockaden scheinen ihn sibirisch kalt zu lassen. Westlicher Druck erzeugt bei ihm nur Gegendruck.
Auf Seite 3: Eitelkeit und Gesichtswahrung um jeden Preis sind die Ursünden der Politik
Eitelkeit und Gesichtswahrung um jeden Preis sind die Ursünden der Politik
Im Extremfall hätten dann beide zwar ihr außenpolitisches Mütchen so richtig gekühlt, insbesondere Amerika, das - wie in den guten alten Zeiten des Kalten Kriegs - Europa zurück unter seine starken Fittiche holen will. Na ja, wirtschaftlich haben sie auch nicht so viel zu verlieren. Für Deutschland sieht die Situation etwas anders aus. Wer kittet die Scherben eines eventuell großen Handelskriegs, der auch arbeitsplatzbelebende Visionen von konjunktur- und exportdominierten deutschen Unternehmen vor allem im Mittelstand zersplittern lassen hat?
Russland ist im Vergleich zu anderen Wirtschaftsregionen zwar nicht von zentralster Bedeutung für Deutschland. Aber dicke Wirtschafts-Luft in Osteuropa kann auch die Konjunktur-Luft anderenorts - wo sie noch angenehm duftet - vermiefen. Dann würde Export-Deutschland noch mehr heimgesucht.
Damit eins klar ist: Ein Putin-Versteher bin ich nicht. Das, was die sogenannten Separatisten mindestens mit russischer Förderung vorführen, ist mit asozial noch fein umschrieben. Und man darf auch nicht jeden Preis für wirtschaftlich gute Beziehungen zu einem Land zahlen, das den Geist einer lupenreinen Demokratie bestenfalls als Pröbchen genossen hat und auch noch von einem ehemaligen KGB-Mann geführt wird, der dem humanistischen Weltbild der Aufklärung sicher nicht die höchste Priorität einräumt.
Die westliche Diplomatie sollte dreimal nachdenken, bevor sie zweimal den Mund aufmacht und einmal handelt. Gerade Deutschland als ein geopolitisch empfindsamer Krisen-Frontstaat sollte berücksichtigen, dass, je länger ein Kalter (Wirtschafts-)Krieg mit Russland dauert, es umso schwieriger für alle Seiten wird, zur Gesichtswahrung überhaupt noch vernünftig Konflikteindämmung betreiben zu können. Und nicht zuletzt: Ein wirtschaftlich in die Enge getriebener russischer Bär kann im Extremfall unkontrollierbar gefährlich sein.
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Wie heiß wird der Kapitalmarkt-Sommer 2014?
Und was heißt das jetzt alles für den deutschen Aktienmarkt? Die Gemengelage spricht zwar für einen geopolitisch geprägten Kapitalmarkt-Sommer 2014, der den DAX anfällig für Schwankungen macht.
Trotz fehlender Analysemuster für geopolitische Krisen mutmaße ich, dass es nicht zu einem heißen Krisensommer kommt. Bis zum Ende der Sommerpause läuft noch viel Wasser in Kiew den Dnjepr und in Moskau die Moskwa herunter. Diese Zeit kann man diplomatisch nutzen: Auf der Klaviatur des Putinschen Psychogramms sollte insbesondere die deutsche Außenpolitik virtuos spielen. Im Vergleich zur angelsächsischen "Hau drauf-Diplomaten" finden wir eher Gehör.
In Krisen wie diesen schaue ich auch gerne auf Charttechnik und Stimmungsindikatoren. Meiner Meinung nach sollte die starke Unterstützung beim DAX um 9.400 Punkte über den Sommer Halt bieten. Bis zu diesem Niveau spreche ich ohnehin von einer gesunden Konsolidierung.
Auf Seite 5: Selbst das kann doch einen DAX nicht erschüttern
Selbst das kann doch einen DAX nicht erschüttern
Argumente für diese Einschätzung liefert ebenso der V-DAX als ein Maß für die mögliche Schwankungsbreite des deutschen Leitindex. Der aktuelle Wert von um die 16 macht klar, dass es in der Vergangenheit wohl schon größere Krisen gegeben hat. Denn während der Asien-Krise 1997, den September 11-Anschlägen, dem Höhepunkt der Euro-Staatsschuldenkrise lag der V-DAX bei 60 und nach im Zuge der Lehman-Pleite sogar bei über 80.
Also, ich als Kapitalmarktanalyst sichere meine Aktienbestände über den Sommer nur ab und lasse ansonsten meine regelmäßigen Ansparpläne für Aktien unverändert weiter laufen.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.