Mit rund 70 Millionen US-Dollar lässt sich einiges anstel­len. Zum Beispiel eine Villa in Beverly Hills mit 15 Bade­zimmern und eigenem Kinosaal kaufen. Oder einen tennisballgroßen Diaman­ten. Oder das Besitzrecht an einem digi­talen Kunstwerk, das sich eigentlich je­ der kostenlos im Internet ansehen kann. So geschehen mit der aus 5000 Ein­zelbildern bestehenden Digitalcollage "Everydays: The First 5000 Days" vom Künstler Mike Winkelmann, besser be­kannt als "Beeple". Die 319 Megabyte gro­ße JPEG-Datei inklusive der Besitzrechte gehört nun einem anonymen Krypto-­In­vestor, der das Kunstwerk im März beim Auktionshaus Christie’s für über 69 Mil­lionen US-Dollar (60 Millionen Euro) er­ steigert hat - in Form eines Non­-Fungib­le Tokens (NFT). Damit ist Beeples Kunst­ werk preislich nicht weit entfernt von Vincent van Goghs teuerstem Gemälde, dem "Porträt des Dr. Gachet", das zuletzt für 82,5 Millionen US-Dollar (71,5 Millio­nen Euro) den Besitzer wechselte.

Anders als ein Van­-Gogh-­Gemälde ist Digitalkunst nicht dazu gedacht, sie an die Wand zu hängen. Käufer legen sich den NFT stattdessen ähnlich wie Digital­währungen in ihre Krypto-­Wallet (siehe Glossar Seite 64). Wer einen NFT kauft, erwirbt damit eine Art digitales Besitzzertifikat. Ihm gehört somit das "Origi­nal", zum Beispiel eines Bildes oder ei­ ner Musikdatei. Dieses Zertifikat ist fäl­schungssicher und auf einer Blockchain gespeichert, in den meisten Fällen der Ethereum­-Blockchain. Die zugehörige Datei kann trotzdem jeder im Internet ansehen und kopieren. Der NFT belegt das Eigentumsrecht und erlaubt es dem Besitzer, das Werk weiterzuverkaufen - mit etwas Glück mit einem satten Plus. Die Idee von Privatbesitz ist damit in die digitale Welt übergegangen und hat eine neue Anlageklasse geboren.

Seit Beeples Multimillionen­Erfolg Anfang des Jahres schlagen NFTs als Ver­mögensklasse in der Anlagewelt hohe Wellen und sind vom Nischenthema zu einem Bestandteil der Popkultur avanciert. Viele Anleger fragen sich, ob es sich lohnt, auf den Zug aufzuspringen und sich NFTs in die Wallet zu legen. Die Geschichte des Bitcoin hat gezeigt: Wer Krypto-­Anlagetrends früh erkennt und dabei ist, bevor sich die große Masse traut, kann damit sehr viel Geld verdie­nen. Allerdings sollten Anleger NFTs nicht wie ein klassisches Investment be­ trachten, sondern eher wie ein Hobby, in das sie Spielgeld investieren, dessen Ver­lust sie verkraften können. Als Anlage­möglichkeit steckt Kryptokunst nämlich noch in den Kinderschuhen, ist daher also sehr riskant.

Die Pandemie fördert den Hype.

Das Angebot an NFTs wird jedenfalls immer größer. Nicht zuletzt der millionen­schwere Beeple­-Verkauf hat zahlreiche weitere Künstler dazu angeregt, ihre Werke in Form von NFTs zu veräußern, gerade als es in der Pandemie nur wenig andere Absatzmöglichkeiten gab. Einer von ihnen ist der Münchner Digitalkünst­ler Max Haarich. "Ich fand das Ganze am Anfang wie viele andere absurd", erzählt er. "Immerhin werden hier digitale Kunstwerke zu Preisen verkauft, bei denen Picasso neidisch wäre." Also stell­te er nicht einfach irgendein Kunstwerk zum Verkauf, sondern lauter einzelne Pixel - die kleinstmöglichen digitalen Bildelemente - für umgerechnet drei bis 200 US-Dollar das Stück. Zunächst war die Aktion als kritischer Kommen­tar gedacht. Doch selbst für die Pixel ließen sich Abnehmer finden - vor allem dank gutem Twitter-Marketing.

Was als Kritik begann, hat sich inzwischen in eine Leidenschaft verwandelt: Haarich hat das NFT-Fieber gepackt. Nun entwickelt er immer wieder neue digitale Kunstwerke. "Meine Pixel sollen bald flackern und auf Umweltreize reagieren. So was hat es noch nicht gegeben", sagt er. Der Freistaat Bayern fördert den Künstler sogar mit einem Stipendium bei einem Pixel-NFT-Projekt. "NFTs werden den klassischen Kunstmarkt zwar nicht ablösen, aber bald wird sich jedes Museum Bildschirme zulegen, um NFTs auszustellen", ist Haarich überzeugt. In Deutschland sind mit dem ZKM Karls- ruhe und der Berliner Galerie König bereits die ersten dabei.

Allmählich finden NFTs also auch in Deutschland Anerkennung in der Kunstwelt. Dabei ist der Trend nicht ganz neu: Schon seit dem Jahr 2017 tauchte die Technik immer wieder auf, wurde gehypt und wieder für tot erklärt. So rasant wie heute rollte die NFT-Welle aber noch nie. Inzwischen machen Künstler und Laien alles zu NFTs, was sich digital abbilden lässt: von Musikalben über Ava- tar-Bekleidung bis hin zu Fußball-Sammelbildern oder Immobiliengrundstücken, die nur in der digitalen Welt existieren. Sogar Tweets und Memes lassen sich in NFTs verwandeln und verkaufen. Twitter-Gründer Jack Dorsey versteigerte seinen ersten Tweet für 2,6 Millionen Euro. Das weltberühmte Meme einer animierten Katze namens "Nyan Cat", die mit Regenbogenschweif durchs All fliegt, ging für eine halbe Million US-Dollar über den digitalen Ladentisch. Und Ende September kam das erste digitale Smiley beim Auktionshaus Heritage Auctions unter den Hammer. Für die Tastenkombination :-) legte ein anonymer Sammler rund 230 000 Euro hin.

NFT für jedermann.

Auf einer Reihe von Online-Marktplätzen bieten Künstler NFTs für jedes Budget an. Der größte von ihnen ist derzeit Open-Sea mit einem Handelsvolumen von rund 62 Millionen Euro. Dort kann nicht nur jeder digitale Kunst kaufen, sondern auch selbst zum Künstler werden und Dateien als NFTs verkaufen. Das wohl skurrilste Beispiel ist der Fall des Amerikaners Alex Ramírez-Mallis und seiner Freunde, die Furzgeräusche in NFT-Form für umgerechnet 74 Euro das Stück verkaufen konnten - und den Hype zu einer Parodie seiner selbst gemacht haben.

Die meisten Menschen dürften indes nicht als Künstler auf den Zug aufspringen, sondern eher als Investoren. Wer auf das richtige Kunstwerk setzt, kann es, ähnlich wie in der analogen Welt, im besten Fall teurer weiterverkaufen - vor­ ausgesetzt, der Hype hält an und NFTs gewinnen weiter an Wert. Prominente Beispiele für erfolgreichen Wiederver­kauf aus der NFT-Welt gibt es: Der Erst­käufer eines Beeple­-Kunstwerks namens "Crossroads" etwa zahlte ursprünglich umgerechnet 57 000 Euro. Nur wenige Monate später konnte er die Datei für 5,7 Millionen Euro weiterverkaufen.

Ähnlich wie bei Kunstwerken in der realen Welt sind NFTs stets so viel wert, wie Menschen dafür bereit sind auszu­geben. Sie haben - anders als Sachwer­te wie Immobilien - keinen inhärenten Wert. Zwar klingt die Idee, Geld für et­ was zu bezahlen, das sich jeder kosten­ los im Internet ansehen kann, zunächst skurril. Oft geht es bei dem Wunsch, das "Original" einer Datei zu besitzen, aber auch um Eitelkeit. Darüber machte sich bereits Tesla­Chef Elon Musk lustig, in­ dem er einen Song über NFTs als NFT verkaufte. In dem Lied heißt es im Re­frain übersetzt: "NFT für deine Eitelkeit / Computer schlafen nie / Das ist nachge­wiesen, es ist garantiert."

Solange es zahlungskräftige Sammler gibt, sei die Frage nach der Sinnhaftig­keit von NFTs als Anlageprodukt obsolet, meint Uwe Zimmer, Geschäftsführer der Kölner Investment­Holding Z-Invest. NFT-Sammler sollten lediglich techno­logieaffin sein und der digitalen Welt gegenüber aufgeschlossen, empfiehlt er. Denn um NFTs zu kaufen, benötigt man in der Regel eine Wallet mit der Krypto­währung Ether - erste Berührungspunkte mit Kryptowährungen sind daher von Vorteil. Ebenfalls wichtig sei ein gewis­ses Sammlerinteresse. "Anleger sollten sich selbst fragen: Interessiert mich das, was ich da kaufe?", sagt Zimmer. Zwar erhoffen sich viele Käufer, dass ihre NFTs mit der Zeit an Wert gewinnen. Doch dafür gibt es keine Garantie. Daher sollte ein möglicher Wertzuwachs nicht der einzige Kaufgrund sein. Schließlich lassen sich bei dieser noch sehr neuen Technologie kaum Prognosen über die Preisentwicklung aufstellen. "Das macht NFTs zu einem sehr spekulativen Invest­ment", warnt der Anlageprofi. Zimmer empfiehlt Anlegern deshalb, höchstens ein bis zwei Prozent ihres Vermögens in NFTs zu stecken.

Potenzial sieht der Anlageprofi der­ zeit nicht nur bei Kunst­NFTs, sondern auch bei limitierten Sammelobjekten, zum Beispiel Fußball­ oder Basket­ball­-Sammelkarten - eine Art digitales Panini­-Album. "Es gibt genug passionier­te Sammler, die hohe Summen bezahlen, um ihre Sammlung zu komplettieren", sagt er. Er rät Anlegern aber, noch ein bisschen abzuwarten, wie es mit dem Markt weitergeht. "Bevor sich der NFT zu einer Assetklasse entwickelt hat, die ins Portfolio gehört, kann es noch Jahre dauern", schätzt er.

Der Benziner der Kunstwelt.

Neben den unsicheren Zukunftsaussichten gibt es zudem Kritik an NFTs wegen ihrer schlechten Umweltbilanz. Denn das Er­ stellen, Verkaufen und Übertragen eines NFT auf der Ethereum­-Blockchain kostet Strom. Wie viel Energie dabei verbraucht wird und wie viel CO2­Ausstoß entsteht, ist schwer zu errechnen. Der Londoner Digitalkünstler Memo Akten hat es trotz­ dem versucht und 80 000 NFT-Trans­aktionen analysiert. Sein Ergebnis: Eine Transaktion kostet im Schnitt rund 83 Kilowattstunden Strom und verursacht 33 Kilogramm CO2. Das ist etwa so viel, wie ein Benzin­Pkw bei einer Fahr­ strecke von 160 Kilometern ausstößt. Allerdings wird sich das bald ändern: "Derzeit wird für Ethereum ein großes Update eingespielt, das in etwa einem Jahr abgeschlossen sein sollte. Ethereum 2.0 wird weitaus weniger Strom verbrau­chen als die aktuelle Version", erklärt Philipp Sandner, Leiter des Frankfurt School Blockchain Center an der Frank­furt School of Finance & Management.

Weil der NFT-Markt boomt, warnen manche Kritiker außerdem bereits vor einer NFT-Blase. Der Erfinder der Kryp­towährung Litecoin, Charlie Lee, rech­ net zum Beispiel früher oder später mit einem Crash. In einer Reihe von Tweets merkte er an, dass analoge Kunst auf­grund ihrer Schöpfungskosten einen inhärenten Wert habe. Die Angebots­knappheit bei NFTs sei dagegen künst­lich hergestellt, da es nahezu nichts koste, ein zweites NFT einer Datei zu er­ stellen. Der Zenit des Hypes sei bereits überschritten, glaubt auch Blockchain­ Experte Sandner. Zwar rechnet er damit, dass der Markt weiter wachsen wird und neue Plattformen entstehen, jedoch nicht mehr so rasant wie bisher. Das macht es auch fraglich, ob Investoren weiter ähnliche Mondpreise zahlen wie für das Beeple-­Kunstwerk.

Glossar


Non-Fungible Token (NFT)
Non-Fungible Token bedeutet übersetzt "nicht austauschbare Wertmarke". Anders als zum Beispiel Geldscheine oder Gold- münzen sind NFTs nicht gegen- einander austauschbar - jeder von ihnen ist ein Unikat. NFTs bescheinigen den Besitz einer Datei, sind also Eigentumszertifikate. Sie sind in einer Wallet auf einer Blockchain gespeichert und da- durch fälschungssicher.

Wallet
Die Wallet (engl.: "Geldbörse") meint das Programm, in dem Nutzer ihr digitales Geld, zum Beispiel Bitcoin oder Ether, aber auch NFTs verwalten können. Die Kryptowährungen und digitalen Besitztümer sind allerdings nicht in der Wallet gespeichert, sondern auf einer Blockchain. Die Wallet enthält lediglich den Schlüssel, also den Zugang zum digitalen Besitz.

Blockchain
Die Blockchain ist eine Liste von Datensätzen, die in Blöcken gespeichert und auf mehreren Rechnern weltweit verteilt sind. Durch ihren Aufbau ist die Blockchain fälschungssicher. Zum Beispiel liegen Ethereum und Bitcoin auf einer Blockchain.

Ether
Ether ist eine Kryptowährung. Mit einem Marktvolumen von rund 360 Milliarden Dollar ist sie derzeit die zweitgrößte Kryptowährung nach Bitcoin (über 800 Milliarden Dollar Marktvolumen). Das System mit der eigenen Blockchain dahinter heißt Ethereum und entstand im Jahr 2015. Auf der Ethereum-Blockchain laufen diverse Anwendungen.