Dem Land eilt ein hervorragender Ruf voraus: Norwegen gilt als besonders innovativ, als gründerfreundlich und nachhaltig. Und man pflegt eine gute Streitkultur. So wird gerade kontrovers darüber gezankt, ob neue Windkraftanlagen in Norwegens wunderschöner Natur denn überhaupt Sinn ergeben, wenn die gewonnene Energie letztlich vor allem Stromverbrauchern in München zugutekommen soll. Auch dass auf den Parkplätzen in der Landeshauptstadt Oslo das Laden von Elektroautos bald nicht mehr kostenlos sein wird, ist keine Abkehr vom Nachhaltigkeitskonzept, sondern soll schlicht die Auslastung verbessern.
Klar, mit gerade einmal etwas mehr als fünf Millionen Einwohnern geht das mit der Nachhaltigkeit und dem produktiven Streiten vermutlich besser als in den größeren Volkswirtschaften Europas. Trotzdem: Was das Land ebenfalls auszeichnet, ist ein gewisser Pragmatismus, schließlich ist Norwegen vor allem durch die immensen Ölvorkommen vor der Küste des Landes zu Wohlstand gelangt. Die Erlöse werden im größten Staatsfonds der Welt angelegt, der inzwischen auf ein Volumen von weit mehr als 100 000 Euro pro Einwohner angewachsen ist. Nachhaltigkeit und Öl - das eine muss das andere anscheinend nicht ausschließen.
Vorne in den Bestenlisten
Die Unternehmenslandschaft Norwegens ist überwiegend grundsolide - das Land findet sich seit Jahren in den Bestenlisten unter den zehn wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften der Welt. Und noch ein Superlativ: Was beispielsweise den Zukunftsmarkt Fischfarmen und Aquakulturen angeht, ist Norwegen ebenfalls führend. Die globalen Branchengrößen sind überwiegend in Oslo oder Bergen beheimatet. Und gleich fünf davon sind im 25 Unternehmen starken Aktienleitindex OBX gelistet: Bakkafrost, Grieg Seafood, Lerøy Seafood, Mowi (ehemals Marine Harvest) sowie SalMar.
Die Konjunktur des Landes läuft seit Jahren bestens. Nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds wird Norwegen sein Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 2,1 Prozent steigern - andere Schätzungen liegen noch etwas höher. Am Wachstumskurs wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern, Norwegen will in den kommenden Jahren zusätzlich die Infrastrukturinvestitionen hochfahren, was allen Branchen zugutekommen dürfte.
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Die positive Tendenz sieht man auch an der Osloer Börse. Die hat sich über die Jahre hinweg im europäischen Vergleich hervorragend entwickelt. Und im noch jungen Jahr 2019 rangiert man mit gut zehn Prozent Plus unter den fünf besten Börsen Europas. Das Problem für Anleger: Ein reiner Norwegen-Fonds oder ein günstiger ETF für Norwegen-Aktien ist in Deutschland nicht zu haben. Alternativ bietet sich ein Fonds an, der in ganz Skandinavien anlegt, etwa der SEB Nordic Small Cap.
Oder man setzt auf Einzelwerte: Einen großen Anteil am Börsenaufschwung haben beispielsweise die Aquakulturaktien, die konstant an Wert zugelegt haben. Aber auch Aktien von Nischenunternehmen wie etwa Tomra, einem Hersteller von Rücknahmeautomaten für Leergut, schieben den Index an. Allerdings ist die Aktie inzwischen mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 40 recht hoch bewertet.
Aussichtsreicher erscheint derzeit das Schwergewicht im Index: Equinor - einst als Statoil bekannt - ist mit einem Indexanteil von 23 Prozent und einem Börsenwert von fast 67 Milliarden Euro das mit Abstand größte norwegische Unternehmen. Der Ölkonzern übertraf zuletzt die Prognosen deutlich, die Bilanz ist supersolide. Positiv: In den kommenden drei Jahren will Equinor elf Milliarden Dollar pro Jahr investieren. Die Aktie hat konsolidiert und hinkt noch etwas hinterher. Für einen Kauf spricht zudem die Dividendenrendite, die sehr gute 4,6 Prozent beträgt.
Dass die Börse insgesamt einen Lauf hat, liegt aber vielleicht auch daran, dass gleich zwei Konkurrenten den Handelsplatz in Oslo kaufen wollen. So ist gerade die Mehrländerbörse Euronext in den Bieterkampf eingestiegen und offeriert umgerechnet rund 700 Millionen Euro. Das sind vier Prozent mehr als das Angebot des US-Börsenbetreibers Nasdaq. Dennoch würde man in Oslo wohl lieber mit den Amerikanern einen Deal machen, weil diese bereits alle anderen großen Börsen in Skandinavien und dem Baltikum betreiben - mit einer gemeinsamen Technologieplattform, die den Handel zwischen den einzelnen Ländern erleichtert.
So oder so werden die Börse Oslo und die dort gehandelten Aktien nach einer Übernahme aber mit einem Schlag interessanter werden für große Investoren. Denn auch die Euronext ist mit den Börsen in Paris, Brüssel, Amsterdam und Lissabon und der auf Anleihehandel spezialisierten Dubliner Börse breit aufgestellt.
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Staatsfonds schichtet um
Und noch ein unerwartetes Ereignis bewegt die Anleger: Norwegens Staatsfonds wird wohl aus etlichen Öl- und Gasunternehmen aussteigen. So will es die norwegische Regierung - wobei das letzte Wort das Parlament hat. 134 Gesellschaften stehen auf der Kippe, hauptsächlich Explorer und Förderer wie etwa die US-Unternehmen Anadarko Petrol und Chesapeake Energy oder auch die britische Tullow Oil. Nicht betroffen sind Investitionen in große, integrierte Konzerne wie ExxonMobil oder Royal Dutch Shell, die Öl und Gas außerdem verarbeiten und vermarkten. Diese würden in Zukunft vermutlich auch die größten Investitionen in erneuerbare Energien tätigen - und daran wolle man als Staatsfonds teilhaben. Noch ein Beispiel für norwegischen Pragmatismus.
Es ist eine Zäsur, durch die beim Staatsfonds viel Geld frei wird, das diversifiziert auch in anderen Branchen angelegt werden soll - in Norwegen selbst, aber auch auf dem ganzen Globus. Der Entscheid hat indes nichts mit Umweltschutzgründen zu tun, sondern beruht allein auf finanziellen Überlegungen: Man will schlicht nicht zu einseitig im klassischen Energiebereich engagiert sein. Aus diesem Grund investiert man schon seit Längerem nicht in Unternehmen der Kohleindustrie. Vielleicht hat man beim Staatsfonds ja auch die eine oder andere Fischzucht im Sinn, selbst wenn diese zuletzt negativ in den Schlagzeilen waren. So gab es Razzien der EU-Kommission wegen mutmaßlich illegaler Preisabsprachen. Wettbewerbshüter hätten eine Inspektion bei Scottish Sea Farms durchgeführt, die indirekt zur Hälfte zu SalMar gehört.
Zudem bestätigte der in Bergen ansässige Konzern Grieg Seafood, im Betrieb auf den britischen Shetland-Inseln hätten Untersuchungen stattgefunden. Beide Unternehmen wiesen den Verdacht von sich: Man habe den Wettbewerb nicht untergraben. Grieg scheint aus Bewertungssicht derzeit besonders aussichtsreich: Zusätzlich zum niedrigen KGV lockt eine Dividendenrendite von 3,8 Prozent. Auch die Landeswährung Krone ist beim Anlegen ein wichtiger Aspekt - gerade in einem Umfeld, in dem der Euro eventuell etwas stärker infrage gestellt wird. Zuletzt hat sich die Krone seitwärts orientiert. Langfristig besteht eine positive Korrelation mit dem Ölpreis. Tendiert dieser weiter nach oben, sollte auch die norwegische Krone stark bleiben.