Der Fall des erfindungsreichen Reporters Claas Relotius, der das Vertrauen in den "Spiegel" in den Grundfesten erschütterte, gibt Anlass, sich auch über die Arbeitsweise des Wirtschafts- und Finanzjournalismus Gedanken zu machen. Denn auch dort gibt es Missstände. Die Krankheit ist dort nicht das Erfinden von Geschichten, aber das Ignorieren von Originalquellen bringt oft auch seltsame Ergebnisse. Kaum ein Börsenanalyst, kaum ein Finanzjournalist setzt sich heute zum Beispiel noch selbst mit einer Bilanz auseinander. Vielmehr kommentiert man das, was im Internet schnell verfügbar ist - zum Beispiel die Abweichung des gemeldeten Gewinns eines Unternehmens von einer zuvor von Analysten veröffentlichten Schätzung -, so als ob das irgendetwas über die Qualität eines Unternehmens respektive seiner Aktie aussagte.
Ähnlich werden Mythen immer weitertransportiert: So muss John Maynard Keynes bei Politikern und Journalisten immer wieder dafür herhalten, dass in einem Wirtschaftsabschwung der Staat in die (Nachfrage-)Lücke springen müsse. Dabei hatte Keynes keinesfalls im Auge, dass bei jeder Wachstumsdelle ruinöse Staatsdefizite angehäuft werden. Wer das Original liest, stellt fest, dass Keynes 1937, als die Arbeitslosigkeit auf zwölf Prozent gesunken war, befand, dass "nun anderes wichtiger" sei.
Seit vergangenen Freitag erschüttert ein vermeintlicher "Hacker-Super-GAU" die Republik. Constanze Kurz in der "FAZ" fasste zutreffend zusammen: "Die gestohlenen Daten von Politikern und Prominenten sind meist banal statt brisant." Gleichwohl ist es natürlich problematisch, wenn man so leicht an private Daten herankommt. Jetzt nach dem Staat zu rufen ist allerdings typisch deutsch. In erster Linie ist es Aufgabe von Unternehmen, die Sicherheit zu gewährleisten. Wer das nicht kann, ist eben auch kein vertrauenswürdiger Partner. Insofern sollten sich die Nutzer vieler Dienste - wie Grünen-Chef Robert Habeck - überlegen, ob sie diese wirklich brauchen.