In der Talkshow von Anne Will am vergangenen Sonntagabend verlor NRW-Ministerpräsident Armin Laschet fast die Nerven. Erst solle man in der Bekämpfung der Covid-19-Epidemie diesem Indikator folgen, dann jener Kennzahl - und wenn die erreicht sei, fiele den Wissenschaftlern eine neue Zielgröße ein. In der Tat bekommen wir gerade wieder einmal den Unterschied zwischen Selbstbild und Fremdbild vorgeführt. Während wissenschaftliches Selbstverständnis vom Zweifel, von widerstreitenden Theorien und Interpretationen des gleichen Sachverhalts ausgeht, erwartet das Publikum von den schlauen Köpfen klare Handlungsanweisungen. Dieses Fremdbild kann die Wissenschaft nicht erfüllen. Schon der Streit um die Frage, ob die Welt eine Kugel oder eine Scheibe sei, machte klar, dass wissenschaftlicher Fortschritt besonders auf dem Anzweifeln der Mehrheitsmeinung beruht. Übersetzt in die heutige Zeit: Die Politik sollte sich nicht mehr hinter den Wissenschaftlern verstecken und mit Mut zum Irrtum eigene Entscheidungen fällen.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble haut in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" in diese Kerbe: "Wir dürfen nicht allein den Virologen die Entscheidungen überlassen, sondern müssen auch die gewaltigen ökonomischen, sozialen und sonstigen Auswirkungen abwägen. Zwei Jahre lang einfach alles stillzulegen, auch das hätte fürchterliche Folgen." Und mit Blick auf die gewaltigen staatlichen Hilfsprogramme ruft der Vorgänger von Olaf Scholz eine Trivialität in Erinnerung: "Der Staat kann auf Dauer nicht den Umsatz ersetzen."
Die am Anfang der Woche erzielten Kursgewinne stützen sich aber genau auf diese Ersatzhypothese: Der Kurssprung bei der Lufthansa-Aktie nahm den Abschluss eines stattlichen Rettungspakets vorweg, bei der Deutschen Bank gehen Anleger nach der Meldung eines Quartalsgewinns davon aus, dass die freigiebige EZB-Politik und die Staatsgarantien für Unternehmenskredite keine größeren Wertberichtigungen erforderlich machen.