Vor allem auf das Medikament Inclisiran, einen in der Entwicklung steckenden Cholesterinsenker, haben die Schweizer ein Auge geworfen. Novartis erwerbe ein Präparat, das mittel- bis langfristig ein wichtiger Wachstumstreiber sein könnte, erklärte Konzernchef Vasant Narasimhan bei der Bekanntgabe des Deals in der Nacht auf Montag.
Das per Injektion verabreichte Inclisiran müsste nach der Zulassung allerdings gegen die Arzneien wie Praluent von Sanofi und Regeron Pharmaceuticals oder Repatha von Amgen bestehen. Vorteile verspricht die Medicines-Arznei vor allem durch eine deutlich geringere Verabreichungsdichte: Praluent und Regeron müssen alle zwei Wochen gespritzt werden, Inclisiran lediglich zwei mal pro Jahr.
Novartis erwartet ab 2021 Umsatzbeiträge von Inclisiran und verspricht sich guten Profit. "Wir sehen Renditen, die deutlich über den Kapitalkosten liegen", sagte Finanzchef Harry Kirsch. Die Schweizer wollen den Kauf der in New Jersey ansässigen Medicines zu einem Drittel mit Barmitteln und zu zwei Dritteln mit langfristigen Darlehen finanzieren. Die Transaktion solle im ersten Quartal 2020 abgeschlossen werden. Die Medicines-Aktionäre sollen 85 Dollar je Aktie erhalten, entsprechend einer Prämie von 24 Prozent auf den Schlusskurs vom Freitag.
SCHUB FÜR GESCHÄFT MIT HERZ-KREISLAUFMITTELN
Mit Inclisiran stärkt Novartis das in den vergangenen Jahren schwächelnde Geschäft mit Arzneien gegen Herz-Kreislauferkrankungen. Ein innovatives Folgeprodukt für den einstigen Umsatzrenner Diovan gegen hohen Blutdruck, dessen Verkaufserlöse nach dem Auslaufen des Patentschutzes 2012 einbrachen, blieb der Konzern schuldig. Und das Herzmedikament Entresto kämpfte lange mit Anlaufschwierigkeiten, Bemühungen zu einer breiteren Anwendung blieben bislang erfolglos.
Zudem dürfte der Zukauf dazu beitragen, das von weiteren Patentabläufen bedrohte Wachstum bei Novartis anzukurbeln. "Wie wir jüngst dargelegt haben, muss das Unternehmen Wachstum akquirieren, um die bevorstehende Erosion durch Generika auszugleichen", erklärte Analyst Stefan Schneider von der Bank Vontobel. Mit dem bevorstehende Wegfall des Patentschutzes etwa für das Augenmedikament Lucentis oder Gileya gegen Multiple Sklerose, der den Weg frei macht für günstigere Nachahmerarzneien, sind Milliardenumsätze bedroht.
An der Börse schlug die Akquisition keine großen Wellen: Mit 0,3 Prozent Kursplus hinkte Novartis den europäischen Gesundheitswerten nur leicht hinterher.
NOVARTIS-CHEF IN KAUFLAUNE
Medicines ist nicht der erste große Zukauf der Schweizer, die an der Börse rund 230 Milliarden Dollar wert sind. Novartis-Chef Narasimhan, seit knapp zwei Jahren am Ruder, will für den Ausbau der Medikamentenpipeline oder neue Technologien bis zu zehn Milliarden Dollar ausgeben. Im Mai wurde das Takeda-Augenmedikament Xiidra für bis zu 5,3 Milliarden Dollar erworben. Im vergangenen Jahr kaufte der Pharmakonzern in den USA das Unternehmen Endocyte für 2,1 Milliarden Dollar und die US-Gentherapiefirma AveXis für 8,7 Milliarden Dollar. Aus dem Portfolio von AveXis stammte Zolgensma, die mit einem Listenpreis von 2,1 Millionen Dollar pro Einmaldosis teuerste Arznei der Welt zur Behandlung der meist tödlich verlaufenden Erbkrankheit Spinale Muskelatrophie (SMA) bei Kleinkindern.
Neben Wachstum sollen die Zukäufe Novartis auch mehr Rentabilität bringen: Die Konzernspitze erwartet, dass die um Sonderposten bereinigte Gewinnmarge im Pharmageschäft in naher Zukunft in den mittleren 30-Prozent-Bereich steigt. Mittelfristig wird der mittlere bis hohe 30-Prozent-Bereich angepeilt. Vergangenes Jahr waren es 32 Prozent.
rtr