Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will in den USA und China kräftig wachsen und die Generika-Tochter Sandoz an die Börse bringen. Was bedeutet das für die Aktie? Von Sonja Funke
Pharma-Aktien sind in Krisenzeiten als defensive Investments beliebt. Seit Jahren gilt Novartis als Basisinvestment im Sektor. 4,4 Prozent Dividendenrendite wirft der Schweizer Arzneimittelproduzent ab. Von dem im Februar 2020 erreichten Rekord bei mehr als 91 Euro ist die Aktie knapp 18 Prozent entfernt. Der Konzern musste Rückschläge in der Medikamentenentwicklung verkraften und richtet sich derzeit neu aus. Die Pläne des Vorstands sind vielversprechend. Früher oder später dürften sie Bewegung in den behäbigen Aktienkurs des Traditionsunternehmens bringen — das Potenzial dabei ist groß.
Mit der geplanten Abspaltung der Generikasparte Sandoz, die im kommenden Jahr an die Schweizer Börse gebracht werden soll, treibt der Konzern aus Basel die Ausrichtung auf innovative Arzneimittel voran und fokussiert sich auf das lukrative Geschäft mit patentgeschützten Medikamenten. Dabei will Novartis sich auf fünf Therapiegebiete konzentrieren und die Marktanteile in den USA und China weiter deutlich ausbauen.
Auf einer Investorenveranstaltung bekräftigte der seit Februar 2018 amtierende Konzernchef Vasant Narasimhan seine Wachstumsziele: „Wir werden unsere Finanzergebnisse weiter verbessern und bis 2027 ein Umsatzwachstum von über vier Prozent erzielen sowie mittel- bis langfristig eine bereinigte operative Gewinnmarge von mehr als 40 Prozent.“ Den Aktionären stellte er ein Gleichgewicht von Investitionen ins Geschäft und Rückführung von Kapital in Aussicht. Bei den bis 2024 angepeilten Einsparungen von rund 1,5 Milliarden Dollar sei Novartis auf Kurs.
Novartis mit innovativen Arzneimitteln
„Novartis wandelt sich in ein reinrassi- ges Unternehmen für innovative Arzneimittel“, sagte Narasimhan. Ergänzende Zukäufe gehörten weiter zur Strategie. Regional fokussiert der US-Amerikaner den Konzern vor allem auf sein Heimatland, den weltgrößten Arzneimittelmarkt: Es werde eine „US first“-Mentalität geben, sagte er — offenkundig unbeeindruckt von den dort jüngst verabschiedeten Gesetzen zur Eindämmung der Arzneimittelpreise. Schon seit April richtet Novartis das Hauptgeschäft mit patentgeschützten Arzneien stärker auf die Vereinigten Staaten aus. Die Sparte Innovative Medicine erzielte dort bereits im vergangenen Jahr mehr als ein Drittel ihres Gesamtumsatzes. Bis 2027 wollen die Schweizer unter der Führung des 46-jährigen Konzernchefs einer der fünf größten Pharmakonzerne in den USA werden; im vergangenen Jahr belegten sie Platz 10. Auch in China will Novartis vorpreschen: Aus dem aktuellen Rang 5 soll Rang 3 werden. In Japan und hierzulande will Novartis die nach eigenen Angaben führende Position behaupten. 8000 Stellen — rund sieben Prozent der Belegschaft — werden dem Umbau zum Opfer fallen.
Um Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten stärker zu fokussieren, hat Novartis inhaltlich fünf therapeutische Kernbereiche definiert: Hämatologie, Herz-Nieren-Erkrankungen, Immunologie, Neurowissenschaften und Onkologie. In jedem Bereich sind bereits aussichtsreiche Produkte auf dem Markt und in der Entwicklung. Acht Produkte, denen Spitzenumsätze von teils mehreren Milliarden Dollar zugetraut werden, wurden zu Wachstumstreibern gekürt, darunter das Herzmittel Entresto und der Cholesterinsenker Leqvio. In der Pipeline sind zudem mehr als 20 neue Produktkandidaten mit einem Umsatzpotenzial von mindestens einer Milliarde Dollar, die bis 2026 zugelassen werden könnten. Sie sollen das Wachstum bis 2030 und darüber hinaus antreiben.
Vor einer Dekade war Novartis noch breit in unterschiedlichen Gesundheitsfeldern präsent: Das Spektrum reichte von Diagnostika und frei verkäuflichen Arzneimitteln über Augenheilkunde bis hin zu Tiermedizin. Diversifikation lautete das Credo des langjährigen Firmenlenkers Daniel Vasella.
Novartis-Aktie: Schlanker zu mehr Potenzial
Seit 2014 verschlanken seine Nachfolger den Konzern sukzessive — überzeugt, dass fokussierte Firmen am Aktienmarkt höher bewertet werden. Dem Börsengang der Augenheilkundesparte Alcon soll Sandoz folgen — die Generikasparte steht für rund ein Fünftel des Novartis-Umsatzes von zuletzt 51,6 Milliarden US-Dollar.
Goldman-Sachs-Analyst Keyur Parekh meint, die aktuelle Bewertung des Unternehmens spiegle die Wachstumsaussichten, die Möglichkeiten in der Medikamenten-Pipeline und die Flexibilität auf der Kapitalseite nicht wider. Wir sehen das ebenso und halten Novartis für ein unterbewertetes Basisinvestment im Pharmasektor. Die ambitionierte Neuausrichtung schafft Potenzial. Bis sich das im Kurs widerspiegelt, tröstet die üppige Dividende: Seit vielen Jahren lassen die Schweizer ihre Anleger an der operativen Entwicklung teilhaben — die Ausschüttung steigt seit 25 Jahren kontinuierlich.
Dieser Artikel erschien zuerst in BÖRSE ONLINE 39/2022. Werfen Sie hier einen Blick ins Heft.