Nach dem massiven Corona-Einbruch im zweiten Quartal rechnen führende Ökonomen mit einer Belebung der Inlandskonjunktur in den kommenden Monaten. Von einer Rückkehr zum Vorkrisenniveau ist die deutsche Wirtschaft allerdings noch eine Weile entfernt. Das ist das Ergebnis der August-Umfrage des Ökonomen-Barometers von €uro am Sonntag.
Nach den historischen Tiefstständen im zweiten Quartal mit Werten von 13 bis 15 Punkten hat das Barometer im August um weitere zwölf Prozent auf 27,7 Punkte zugelegt. Die Prognose für die kommenden zwölf Monate stieg um 15 Prozent auf 30,2 Punkte. Sowohl die aktuelle Einschätzung der Konjunktur als auch die Erwartung der Ökonomen haben sich damit in den vergangenen beiden Monaten deutlich verbessert.
Allerdings rechnen die Volkswirte für das zweite Halbjahr nur mit einem allmählichen Anspringen der wirtschaftlichen Entwicklung, nachdem das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um rekordverdächtige zehn Prozent eingebrochen ist. Es war der stärkste Rückgang seit Beginn der quartalsweisen Berechnung des Wirtschaftswachstums im Jahr 1970. Und doppelt so stark wie das bisherige Rekordminus von 4,7 Prozent während der Finanzkrise Anfang 2009.
Im Schnitt rechnen die im Ökonomen-Barometer befragten Volkswirte nun bis zum Jahresende mit einer Wachstumsrate von 1,7 Prozent. Immerhin erwarten 25 Prozent der Befragten ein Wachstum von über drei Prozent, weitere 16 Prozent von zwei bis drei Prozent. Von einem weiteren Schrumpfen der Wirtschaftsleistung gehen dagegen nur 15 Prozent der Teilnehmer aus (siehe Grafik unten).
"Die Situation bleibt sehr labil", bringt Andre Schmidt von der Uni Witten-Herdecke die Lage auf den Punkt. "Vieles hängt jetzt davon ab, wie sich die Situation in den kommenden zwei bis drei Monaten entwickeln wird."
Vor allem die Sorge vor einer sogenannten zweiten Welle bei den Corona-Infektionen hatte zuletzt wieder zugenommen - und damit verbunden das Szenario eines erneuten Lockdowns, also Ausgangsbeschränkungen für die Bevölkerung, die für viele bereits geschwächte Kleinbetriebe das Aus bedeuten könnten. Die Zahl der täglichen Corona-Infektionen hatte zuletzt die 1000er-Marke wieder deutlich überschritten, so weit wie zuletzt im Mai.
Wann wird es kritisch?
Nur eine Minderheit von 25 Prozent der im Ökonomen-Barometer befragten Volkswirte sieht allerdings derzeit schon eine zweite Welle. 57 Prozent halten die aktuellen Zahlen noch nicht für den Beginn einer solchen Welle. Allerdings ist der Begriff schwammig. "Ich würde dann von einer zweiten Welle sprechen, wenn die Dynamik vollkommen außer Kontrolle ist und das Risiko überlasteter Krankenhäuser droht. Davon sind wir derzeit noch entfernt", erläutert Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, der ersten privatisierten Landesbank in Deutschland (bis 2019: HSH Nordbank).
Martin Kocher von der Münchner Ludwig-Maximilians- Universität wiederum definiert sie "als eine Situation, in der wieder großflächige Schließungen von Geschäften und Betriebsstätten nötig wären". Für Juergen B. Donges von der Uni Köln hat dagegen die erste Welle nie aufgehört. "Deutschland befindet sich in einer Dauerwelle. Covid-19 war nie weg."
Wenn es zu einem Lockdown kommen sollte, dann sollte er regional oder lokal begrenzt sein, orientiert an den jeweiligen lokalen Infektionszahlen. Darüber sind sich die meisten Ökonomen ebenso einig wie in ihrer Ablehnung einer allgemeinen harten Ausgangsbeschränkung. Diese sollte bei einer Eskalation der Lage das "letzte Mittel" sein, sagt etwa Laszlo Goerke von der Universität Tübingen.
"Mehr Insolvenzen nötig"
Die Gefahr einer durch die Corona-Krise ausgelösten Insolvenzwelle sehen die Ökonomen für gegeben. Zwei Drittel der Befragten halten die Wahrscheinlichkeit für hoch (43 Prozent) oder sehr hoch (23 Prozent). Nur drei Prozent halten sie für gering. Der Rest (28 Prozent) schätzt das Risiko mittelmäßig ein. Allerdings sehen nicht alle Ökonomen Insolvenzen nur als Gefahr. "Eine Insolvenzwelle ist ein notwendiger Teil der strukturellen Anpassung an die Post-Corona-Welt", erläutert Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). "Insolvenzen gehören zur Marktwirtschaft. Und sie müssen häufiger werden, wenn sich der Strukturwandel beschleunigt."
Das ZEW hatte bereits am Dienstag seinen Index der Konjunkturerwartungen veröffentlicht, der ein ähnliches Bild lieferte wie das Ökonomen-Barometer. Die Erwartungen ziehen an, die aktuelle Einschätzung bleibt vorsichtig. Die befragten Finanzmarktexperten gehen von einer Erholung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage aus, vor allem bei Dienstleistern, Telekom, Konsum und Handel. Kritisch seien die schlechten Ertragserwartungen bei den Banken und Versicherern.
Neue Impulse kamen zuletzt auch aus dem Ausland. Von deutlich steigenden Autoverkäufen in China profitierten beispielsweise Autowerte wie BMW, VW und Daimler. Auf dem weltgrößten Pkw-Markt wurden im Juli 16,4 Prozent mehr Autos verkauft als im Vorjahr, es ist der vierte Anstieg in Folge.