"Das ist wieder einmal Politik nach dem Gießkannenprinzip", sagte das Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums, Jens Südekum, am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. Dies sei ein Schritt in die falsche Richtung. "Nötig wäre eine Politik, die Preissignale wirken lässt und Belastungen dort abfedert, wo es notwendig ist: bei Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen", sagte der Düsseldorfer Professor. "Die Senkung der Mehrwertsteuer verfehlt beides." Von ihr profitierten auch Gutverdiener, für die der Staat derzeit keine Entlastung stemmen könne. Zudem werden die Anreize zum Gassparen verringert. "Es wird also genau das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich gerade nötig ist", sagte Südekum.
Scholz hatte zuvor verkündet, die Mehrwertsteuer auf Gas bis zum März 2024 von 19 auf sieben Prozent zu senken, um die Bürger zu entlasten. Das soll Regierungskreisen zufolge ab Oktober gelten. "Dadurch wird die Inflation schätzungsweise um knapp 0,3 Prozentpunkte niedriger ausfallen", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Für Oktober und November erwarten wir nicht mehr eine Inflation deutlich über neun Prozent, sondern um neun Prozent." Es sei zwar gut, dass der Staat nicht an der Gasumlage verdienen wolle, sagte Krämer. "Allerdings hätte er größere Anreize zum Gassparen geschaffen, wenn er die Bürger nicht über den Gaspreis, sondern über direkte Zahlungen entlastet hätte."
Auch der Chefvolkswirt der DZ Bank, Michael Holstein, bewertet die Maßnahme ähnlich. "Eine finanzielle Entlastung der Bürger ist zwar gut für das Portemonnaie und damit positiv für die Konjunktur", sagte Holstein. "Andererseits sollten teure Energiekosten zum Sparen anregen und nicht durch den Staat gesenkt oder gedeckelt werden." Diese Vorgehensweise erinnere damit an den teuren Tankrabatt, der am Ende nicht für genug Entlastung gesorgt hat. Besser wäre es, Haushalte mit geringerem Einkommen gezielt und direkt zu helfen. "Dafür ist die soziale Marktwirtschaft insbesondere in Krisenzeiten da."
rtr