Eine kräftige Rally hat den Ölpreis in die Nähe des Elfmonatshochs getrieben. Damit hellen sich die Perspektiven für die schwer angeschlagene Branche auf. Den herben Einbruch der Nachfrage während der Corona-Pandemie hatten etliche Unternehmen mit einer drastischen Kürzung der Dividende quittiert. Gleichzeitig drückt der kräftig steigende Absatz von Elektroautos auf die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen.
Mit umso größerer Hoffnung schaut die Branche auf die in vielen Ländern gestarteten Impfkampagnen, wodurch sich die Aussichten für die Weltwirtschaft und damit die Nachfrage nach Öl und Gas verbessern. Für Preisauftrieb hat indes das "OPEC+"-Treffen von Anfang Januar gesorgt, bei dem eine deutliche Drosselung der Förderung angekündigt wurde.
Zwar dürfen Russland und Kasachstan die Produktion im Februar und März jeweils leicht erhöhen. Saudi-Arabien hingegen senkt die Produktion um jeweils eine Million Barrel pro Tag. "Saudi-Arabien strebt einen weiteren Abbau der Lagerbestände im ersten Quartal an, obwohl normalerweise ein saisonaler Aufbau der weltweiten Ölvorräte zu beobachten wäre", schrieb Michel Salden, Leiter des Rohstoffgeschäfts bei Vontobel Asset Management. Spekulanten wetten daher darauf, dass der Aufwärtstrend beim Ölpreis weitergeht. Zuletzt haben sie die Zahl der Futures auf steigende Preise (Long) bei der Sorte WTI stärker aufgestockt als jene auf sinkende Kurse (Short). Daher ist die Netto-Long-Position auf 518 649 Kontrakte gestiegen (siehe Seite 20). Damit nähert sich der Wert dem höchsten Niveau seit Ende April.
Der Einbruch des Ölpreises im Frühjahr und damit der Kollaps der Aktien hat die Multis zum Umdenken gezwungen. Sie investieren nun in die Energiewende und forcieren den Umbau des Geschäfts - weg von fossilen Energieträgern hin in Richtung erneuerbare Energien.
Für zusätzlichen Druck sorgen Investoren, gerade aus dem ESG-Bereich. Während sich laut den Analysten von Lyxor die Zuflüsse in europäische ESG-ETFs im vergangenen Jahr fast verdreifacht haben auf den Rekord von 45,5 Milliarden Euro, haben institutionelle Investoren Aktien aus dem Ölsektor auch wegen des schlechten Images verkauft, was die Kurse belastet hat. Umso mehr fordern aktivistische Investoren ein Umsteuern der Branche.
Vorreiter beim Umbau sind Europas Multis. Mitte Dezember haben sich sieben europäische Unternehmen, darunter BP und Royal Dutch Shell, mit dem US-Konzern Occidental auf eine gemeinsame Plattform für die Energiewende geeinigt. Demnach unterstützen die Firmen öffentlich die Ziele des Pariser Klimaabkommens und wollen die Emissionen senken.
Wachstumsstarkes Segment
Zwar liefern erneuerbare Energien üblicherweise nur eine Rendite von fünf bis sechs Prozent, im Vergleich zu rund 15 Prozent bei Öl- und Gasprojekten. Die Multis wollen die Zahl allerdings durch das Handelsgeschäft und die bessere Integration der Aktivitäten steigern. Zudem macht der Bereich erneuerbare Energien nur einen sehr kleinen Teil des Konzernumsatzes aus. Allerdings dürfte das Zukunftssegment in den nächsten Jahren kräftig wachsen, was die Aktien beflügeln sollte. Zu unseren Favoriten gehört Royal Dutch Shell. Der britisch-niederländische Konzern will bis 2050 sämtliche Nettoemissionen aus seiner eigenen Produktion eliminieren. Zudem sollen jene aus den an die Kunden gelieferten Produkten um 65 Prozent reduziert werden. Dabei will die Firma mehr Produkte mit geringerer Kohlenstoffintensität verkaufen, wie Strom aus erneuerbaren Energien, Biokraftstoffe und Wasserstoff. So will Shell etwa mit Herstellern wie Daimler ein Umfeld für einen Massenmarkt von Wasserstoff- Lkws in Europa schaffen.
Umso gespannter warten Investoren auf den Strategietag am 11. Februar, an dem Shell weitere Pläne für den Konzernumbau vorlegen könnte. Bereits am 4. Februar präsentiert der Konzern die 2020er-Ergebnisse. Wir erhöhen Kursziel und Stoppkurs. Am 2. Februar legt BP die Zahlen vor. Vorstandschef Bernard Looney will die Investitionen in emissionsarme Technologien bis 2030 auf fünf Milliarden Dollar verzehnfachen. Im gleichen Zeitraum soll eine Nettokapazität von 50 Gigawatt (GW) zur Erzeugung erneuerbarer Energie entwickelt werden - 20-mal mehr als heute, wobei der Solarbereich im Vordergrund steht. Zudem soll die Produktion von Bioenergie fast verfünffacht werden.
Hingegen wird die Förderung von Öl und Gas um 40 Prozent abgebaut werden. "Wir wandeln uns von einem internationalen Ölkonzern hin zu einem integrierten Energieunternehmen", sagt Looney. Anleger bekommen eine Quartalsdividende von 5,25 US-Cent pro Aktie, was auf das Jahr hochgerechnet einer Dividendenrendite von 5,2 Prozent entspricht. Wir erhöhen den Stoppkurs. Auch der französische Ölriese Total will sich zu einem Energieunternehmen wandeln, wenngleich mit etwas anderer Strategie. Dabei soll die Energieproduktion im laufenden Jahrzehnt bis 2030 um ein Drittel gesteigert werden, je zur Hälfte durch die Bereiche Flüssiggas und Strom, vor allem durch erneuerbare Energien. "Der Konzern wird die profitablen Investitionen in erneuerbare Energien und Strom stufenweise von zwei auf drei Milliarden Dollar pro Jahr erhöhen, womit sie mehr als 20 Prozent der Investitionen ausmachen werden", so Vorstandschef Patrick Pouyanné. Total wolle ein Weltmarktführer bei erneuerbaren Energien werden, wobei die Kapazität bis 2025 auf 35 GW verfünffacht werden soll. Zudem will Total den Absatz von Flüssiggas bis 2030 verdoppeln. Dabei soll Erdgas mit Biogas und Wasserstoff dekarbonisiert werden. Der Absatz von Ölprodukten soll um fast 30 Prozent sinken. Als einziger europäischer Ölmulti hat Total im vergangenen Jahr die Dividende nicht gekürzt, sondern betont, dass sie bei Ölpreisen von 40 Dollar je Barrel nachhaltig sei. Wir stufen die Aktie auf "Kaufen" hoch.
Das tun wir auch bei dem Papier von ExxonMobil. Auf Druck von aktivistischen Investoren hat Vorstandschef Darren Woods Mitte Dezember einen Fünfjahresplan zur Reduktion der Treibhausgase vorgelegt. Dabei soll die Treibhausgasintensität bei der Öl- und Gasförderung, also die Gase pro Produkteinheit, bis 2025 um bis zu 20 Prozent gesenkt werden. Es geht nicht um einen absoluten Abbau der Emissionen, sondern nur je Barrel gerechnet.
Dennoch ist das ein wichtiger erster Schritt, zumal Woods "bis 2030 in seinen Geschäftsbereichen eine industrieweit führende Performance bei Treibhausgasen" erreichen will. Für Aufsehen hat gesorgt, dass zuletzt die Analysten von Morgan Stanley die Aktie auf "Übergewichten" hochgestuft haben, nachdem Goldman Sachs den Titel Mitte Dezember zum ersten Mal seit vier Jahren zum "Kauf" empfohlen hatte. Auch die Zulieferer der Ölmultis müssen verstärkt in den Bereich erneuerbare Energien vordringen, ansonsten würden sie langfristig deutliche Probleme bekommen. So hat der Branchenprimus Schlumberger im Frühjahr 2020 die Tochter New Energy mit Schwerpunkt Wasserstoff gegründet. Sie will dabei vom Green Deal in der EU profitieren. Zudem hat die Tochter eine Gesellschaft zur Entwicklung von Geothermie- Projekten gegründet. Wir stufen die Aktie hoch.
Neben Einzelaktien können Anleger zu einem ETF greifen, wie dem Lyxor Stoxx Europe 600 Oil & Gas, der die Aktien der Multis und Zulieferer enthält. Die Gesamtkostenquote liegt bei 0,30 Prozent.
Auf einen Blick: Ölindustrie
Die Branche hat auf den Nachfrageeinbruch mit milliardenschweren Sonderabschreibungen und Kostensenkungen reagiert. Durch die Konjunkturprogramme in den USA und einige Impfstoffe gegen Corona hellen sich die Perspektiven deutlich auf.