"Mineralwasser ist derzeit teurer als Rohöl", klagt Mario Mehren. Der Chef von Deutschlands größtem Ölproduzenten Wintershall kann das nicht so recht verstehen. Weniger als 20 Cent kostet der Liter am Weltmarkt, für manch ein Wasser zahlen deutsche Verbraucher im Supermarkt das Fünffache. Dabei betreiben die Ölfirmen einen riesigen Aufwand, um an den begehrten Rohstoff zu kommen. "Ob auf dem Meeresboden oder unter dem heißen Sand der libyschen Wüste: Bei unserer Suche nach Erdöl und Erdgas setzen wir auf neueste Technologien, modernste Geräte und viel Durchhaltevermögen unserer Mitarbeiter", beschreibt Wintershall, Tochter des Chemieriesen BASF, die mühsame und teure Suche nach neuen Rohstoffvorkommen. Umso ernüchternder, wenn sich der Aufwand am Ende nicht auszahlt.

In den westlichen Industrieländern jubeln die Verbraucher über sinkende Energiekosten. Sie werden um Milliarden entlastet. Was hier aber ein Segen ist, ist dort ein Fluch: Denn der Ölpreisrutsch bringt viele Länder, Branchen und Unternehmen in erhebliche Schwierigkeiten. In Saudi-Arabien, dem Land mit den weltweit größten Ölvorräten, klafft plötzlich ein 100-Milliarden-Dollar großes Loch im Staatshaushalt. In Russland stürzt der Rubel von einem Rekordtief zum nächsten. Energie-Riesen rund um den Globus rechnen mit einer Gewinnschmelze, streichen Tausende Jobs und Milliarden-Investitionen. Experten befürchten eine riesige Pleitewelle von Ölförderern und Minen-Betreibern. Die Börsen sind in Aufruhr. Manch ein Experte zieht sogar schon Parallelen zur verheerenden Finanzkrise von 2007/08.

In den Chefetagen der deutschen Unternehmen schwant den Managern mittlerweile, dass das billige Öl am Ende mehr schlecht als recht ist. Es destabilisiert ganze Regionen und macht Waren "Made in Germany" durch den Währungsverfall teurer. "Die deutsche Wirtschaft blickt erschrocken ins neue Jahr", warnt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Der Internationale Währungsfonds (IWF) befürchtet, dass "das globale Wachstum entgleisen könnte". "Wir haben eine schizophrene Situation", sagt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. "Die dunkle Seite des niedrigen Ölpreises ist, dass viele Abnehmerländer auf wackligen Beinen stehen."

Wegen der weltweiten Überproduktion ist der Ölpreis seit Mitte 2014 um rund 70 Prozent eingebrochen. Allein in den vergangenen drei Wochen ging es um etwa ein Fünftel nach unten. Die Gründe für den Preisverfall sind vielschichtig: Die USA sind durch die neue Fracking-Technik zum weltgrößten Öl-Produzenten aufgestiegen. Die Opec, allen voran Saudi-Arabien, versucht die neue Konkurrenz damit zu bekämpfen, den Weltmarkt zu fluten. Hinzu kommt die Rückkehr des Irans, der wegen der westlichen Sanktionen Jahre lang kein Öl exportieren durfte.

Die Regierung in Teheran drängt nun mit Macht zurück, auch um den Erzfeind Saudi-Arabien damit zu schwächen. Angepeilt sind Exporte von 500.000 Barrel pro Tag. Die Internationale Energie-Agentur warnt, die Rohstoffmärkte würden 2016 "im Überangebot ertrinken". Mit Preisen von teils unter 30 Dollar je Barrel (159 Liter) sind die wichtigsten Sorten Brent und WTI so billig wie seit zwölf Jahren nicht mehr.

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DROHT RUSSLAND DER TODESSTOSS?



Das vom Rohstoffgeschäft extrem abhängige Russland hat die Hoffnung auf auskömmliche Ölpreise längst begraben. Der Kreml rechnet mittlerweile damit, dass der Preis sogar auf 15 bis 20 Dollar absackt. Jetzt kommen wieder Ängste hoch. Ein Moderator im TV-Kanal Rossija 1 schreckte seine Zuschauer jüngst mit einer drastisch formulierten Anmoderation auf: "Wie tief muss der Ölpreis noch fallen, bis er der russischen Wirtschaft den Todesstoß versetzt?"

Russland, dessen Wirtschaft auch durch die westlichen Sanktionen im Ukraine-Konflikt unter Druck geraten ist, muss nun den Gürtel enger schnallen. Öl- und Gas-Einnahmen machen den Löwenanteil der Einkünfte der gesamten Exportwirtschaft aus. Der Staat generiert daraus die Hälfte seiner Einnahmen. Und diese brechen nun rasant weg. Präsident Wladimir Putin warnt vor "gefährlichen Einnahme-Einbußen". 2015 schrumpfte die Wirtschaft um 3,7 Prozent. "Der Ölpreis-Verfall und die Rubel-Schwäche sprechen dafür, dass Russland ein weiteres Rezessionsjahr droht", meint Ökonom William Jackson vom Analysehaus Capital Economics.

Infolge des Ölpreis-Verfalls ist auch der Rubel zur Weichwährung verkommen und kostet zuletzt so wenig wie noch nie. Das macht Importe deutlich teurer, was deutsche Unternehmen hart trifft. "Die deutsche Wirtschaft leidet in Russland, und sie leidet sehr deutlich", klagt Rainer Seele von der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer. Die Exporte in das lange boomende Schwellenland summierten sich 2015 auf nur noch gut 20 Milliarden Euro, fast eine Halbierung verglichen mit 2013.

In Moskau werden bereits schlimme Erinnerungen an die Rubel-Krise von 1998 wach. Damals wurde das Land in den Wirren nach dem Ende der Sowjetunion zahlungsunfähig und konnte nur mit Milliardenhilfen von IWF und Weltbank gerettet werden. Das haben viele Russen zwischen Moskau und Kaliningrad noch im Hinterkopf - und auch den Absturz 2009, als das Bruttoinlandsprodukt in der Weltfinanzkrise um 7,8 Prozent schrumpfte.

Finanzminister Anton Siluanow steht vor der schier unlösbaren Aufgabe, den Haushalt trotz des ungebremsten Ölpreis-Verfalls zu stabilisieren. Das Budget wäre allenfalls bei 82 Dollar je Barrel ausgeglichen. Der Staat hat mit 50 Dollar kalkuliert - bei den aktuellen Preisen von knapp über der 30-Dollar-Marke wird nun im Kreml hektisch der Rotstift angesetzt.

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FÜR DIE SAUDIS IST ÖL AUCH EINE WAFFE



Noch übler dran ist Venezuela: Das Land steht am Rande der Staatspleite. "Die Frage ist wann, nicht ob", sagt Russ Dallen, Partner bei der auf Lateinamerika spezialisierten Investmentbank Latinvest. 96 Prozent der Devisenreserven kommen aus dem Verkauf des Rohstoffs. Doch diese sind mittlerweile nahezu erschöpft, die Inflation liegt über 100 Prozent, die Wirtschaftsleistung bricht ein. Präsident Nicolas Maduro braucht einen Ölpreis von ungefähr 117 Dollar, um seinen Haushalt zu finanzieren. Bei der Wahl Anfang Dezember verlor er im Parlament die Mehrheit. Um den Ölpreis wieder zu stabilisieren, hat Venezuela wiederholt ein Sondertreffen des Ölkartells Opec gefordert.

Doch in Saudi-Arabien stoßen die Lateinamerikaner damit auf taube Ohren. Für die Regierung in Riad ist Rohöl nicht nur der mit Abstand wichtigste Devisenbringer, sondern auch eine Waffe. Das Land ringt mit dem Erzfeind Iran um die Vorherrschaft in der Region. Während Saudi-Arabien die Schutzmacht der Sunniten ist, verstehen sich die Mullahs in Teheran als die Vertreter der schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Eine Art Stellvertreterkrieg wird derzeit in Syrien ausgefochten, aber auch im Irak und im Libanon gibt es immer wieder Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten.

Viele Fachleute gehen zudem davon aus, dass die von den Saudis durchgeboxte anhaltend hohe Förderquote darauf abzielt, Konkurrenten fernzuhalten - insbesondere das durch Fracking gewonnene Schieferöl aus den USA und Ölsande aus Kanada, die vergleichsweise teuer zu fördern sind. Mit Förderkosten von gerade einmal fünf bis sechs Dollar je Barrel ist die Ausgangsposition für die Saudis vergleichsweise günstig. Fracking-Unternehmen müssen je nach Tiefe der Bohrung und Bodenbeschaffenheit Experten zufolge zwischen 40 und 70 Dollar je Barrel kalkulieren. "Der Entwicklung der Bohraktivitäten im vergangenen Jahr legte nahe, dass die Schmerzgrenze für einige Produzenten bei 60 Dollar je Barrel erreicht war", sagt Commerzbank-Rohstoffexperte Eugen Weinberg.

Die Frage ist allerdings, wie lange die Scheichs das durchhalten. Die Regierung in Riad bewegt sich auf einem schmalen Grat. Das Königshaus hat mit der Bevölkerung einen unausgesprochenen Pakt geschlossen - sozialer Frieden gegen Ölreichtum. Um die Wohltaten zu finanzieren, benötigt sie jedoch nach Schätzungen des IWF einen Ölpreis von ungefähr 100 Dollar. Schon 2015 fiel ein Haushaltsdefizit von etwa 100 Milliarden Dollar an. Die Subventionen für Wasser, Strom oder Sprit wurden gekappt. Mit dem Staatskonzern Aramco soll nun der weltweit größte Ölkonzern an die Börse gebracht werden, mit einem Wert von mehr als einer Billion Dollar. Noch verfügt das Land über Devisenreserven von etwa 700 Milliarden Dollar. Der IWF warnt aber, dass ohne Umsteuern binnen fünf Jahren das Geld ausgehen könnte.

Saudi-Arabien will nur dann seine Förderung drosseln, wenn sich auch Produzenten außerhalb der Opec daran beteiligen. Doch nicht einmal innerhalb des Kartells besteht Einigkeit. So dreht neben dem Iran auch der Irak den Ölhahn derzeit kräftig auf. Beiden Staaten reicht ein deutlich niedrigerer Ölpreis als Saudi-Arabien, um ihre Haushalte zu finanzieren. Dies liegt vor allem daran, dass sie weit geringere Ausgaben haben.

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"ES IST ÜBERALL GANZ ÜBEL"



Auf der Kippe stehen aber längst nicht nur Ölstaaten wie Russland oder Venezuela. Auch viele westliche Firmen bangen um ihr Geschäft. Die Rating-Agentur Moody's warnte jüngst, für weltweit rund 120 Energiekonzerne bestehe ein "erhebliches Risiko" wachsender finanzieller Probleme, wenn nicht rasch eine Erholung der Ölpreise einsetze. Nach einer Prognose der Beratungsfirma Rystad Energy aus Oslo dürften die weltweiten Öl- und Gas-Investitionen, die im vergangenen Jahr schon um rund 20 Prozent auf 595 Milliarden Dollar gesunken waren, in diesem Jahr auf rund 522 Milliarden Dollar fallen. Das ist der tiefste Stand seit sechs Jahren. "Das wird das erste Mal seit dem Ölpreisrutsch 1986 sein, dass wir zwei aufeinanderfolgende Jahre mit sinkenden Investitionen sehen", sagt Analyst Bjoernar Tonhaugen von Rystad Energy.

Der britisch-niederländische Shell-Konzern geht davon aus, dass der Gewinn im Schlussquartal 2015 auf die Hälfte zurückgegangen ist. Gegen den Preisverfall stemmt sich Shell auch mit umfangreichen Stellenkürzungen. Im Zuge der geplanten Übernahme des britischen Konkurrenten BG sollen 10.000 der insgesamt rund 100.000 Jobs des neuen Unternehmens wegfallen. Zudem werden ursprünglich anvisierte Investitionen auf Eis gelegt. "Wir widerstehen, aber wir müssen einstecken", räumt der Chef von Konkurrent Total, Patrick Pouyanne, ein, betont aber: "Wir haben den finanziellen Spielraum, um mit Preisschwankungen zurechtzukommen."

Auch in den Chefetagen anderer Energie-Riesen wird der Rotstift angesetzt: Die britische BP kündigte an, mindestens 4000 der rund 80.000 Arbeitsplätze abzubauen, beim US-Rivalen Chevron sind es 6000 bis 7000 Stellen und damit jeder zehnte Arbeitsplatz. Der Gewinn der Nummer zwei in den USA brach im dritten Quartal 2015 um fast zwei Drittel ein. Der US-Branchenprimus Exxon Mobil hielt sich nur wenig besser. Beim ihm fiel der Quartalsgewinn im gleichen Zeitraum um knapp die Hälfte. Beide Unternehmen forcieren ihre Sparmaßnahmen. Chevron will seine Investitionen in diesem Jahr gleich um ein Viertel reduzieren - genau wie der heimische Konkurrent ConocoPhillips.

In den USA ist es aber vor allem der einst boomende Fracking-Sektor, der im Sog der Ölpreise in die Tiefe gerissen wird. Zahlreiche Unternehmen schlittern in die Pleite. Um ihre Kosten zu decken, müssen viele Produzenten von Schieferöl mit einem Preis von mindestens 40 bis 60 Dollar je Barrel kalkulieren. Bei derzeit rund 30 Dollar dürfte ihnen bald die Puste ausgehen. Fracking ist teuer und technisch aufwendig. Bei dem Verfahren wird unter hohem Druck ein Gemisch aus Sand, Wasser und Chemikalien in Ton- oder Schiefergestein gepresst und dieses damit aufgebrochen.

Zu den führenden US-Fracking-Unternehmen zählen unter anderem Whiting Petroleum, Continental Resources und Apache. Ihre Aktienkurse befinden sich auf Talfahrt. "Kürzungen sind nirgendwo mehr möglich", klagt der Chef von TMR Exploration in Bossier City im US-Bundesstaat Louisiana. "Die Unternehmen verlieren jeden Monat mehr Geld. Es ist überall ganz übel."

Das bekommen auch die ganz Großen der Branche zu spüren. Der freie Fall beim Ölpreis zwingt den weltgrößten Bergbaukonzern BHP Billiton zu Milliardenabschreibungen auf sein US-Geschäft. Der australisch-britische Konzern musste jüngst eine Wertminderung von 7,2 Milliarden Dollar auf seine Förderung von Schieferöl und -gas vornehmen. Noch vor einem Jahr betrieb BHP 26 Bohrplattformen in den USA, bis Ende März sollen es nur noch fünf sein.

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BILLIGES ÖL SETZT EURO UNTER ABWERTUNGSDRUCK



Auch auf den Devisenmarkt strahlt die Ölpreiskrise aus und setzt damit die weltweit wichtigsten Notenbanken unter Druck: So wird der Euro vom Preisverfall zunehmend in Mitleidenschaft gezogen. Denn die niedrigen Energiekosten dämpfen die ohnehin geringe Inflation weiter. Die Europäische Zentralbank (EZB) will deshalb mit neuen Geldspritzen gegensteuern, um eine Deflation zu verhindern - eine Spirale fallender Preise, die sinkende Investitionen, Entlassungen und Wirtschaftskrise nach sich ziehen kann. Die Währungshüter befürchten, dass die Ölkrise wirtschaftlich eine Abwärtsspirale in Gang setzen kann.

"Bislang haben wir das nicht", sagt EZB-Präsident Mario Draghi. "Aber wir müssen sehr wachsam sein." Nachdem die Währungshüter ihre Wertpapierkäufe im Dezember erst ausgeweitet hatten, rechnen Anleger damit, dass Draghi im März noch einmal nachlegt. Mit der Schwemme billigen Geldes soll die Nachfrage angekurbelt werden, die wiederum die Preise nach oben hieven soll. Für Anleger verliert der Euro daher an Interesse: Er steht unter Abwertungsdruck. Etliche Experten erwarten, dass es für einen Euro bald nur noch einen Dollar gibt statt wie aktuell 1,08 Dollar.

Die US-Notenbank Fed kann sich dem Thema ebenfalls nicht entziehen. Im Dezember hatte die Zentralbank den Leitzins erstmals seit fast zehn Jahren angehoben. Experten sind bislang davon ausgegangen, dass weitere Zinsschritte bald folgen würden. Der Ölpreis-Verfall trifft die US-Industrie allerdings zunehmend, weshalb die Fed zögern könnte. Denn Zinserhöhungen setzen eine robuste Wirtschaftsentwicklung voraus. Die Kurse an den Terminmärkten signalisieren bereits, dass Anleger die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Erhöhung des Leitzinses bis Juni auf nur noch etwa 50 zu 50 taxieren. Fachleute haben nur noch ein bis drei Zinsschritte in diesem Jahr auf dem Zettel von zuvor vier bis fünf.

Grund für die erwartete Zurückhaltung ist neben der schlapperen Weltwirtschaft auch der festere Dollar. Beides dämpft die Exporte der USA und damit die Konjunktur. "Die Fed muss entscheiden, was das größere Risiko ist: eine Erhöhung im März mit der Gefahr, dem Markt höhere Leitzinserwartungen aufzuzwingen, was Schockwellen durch den ohnehin angeschlagenen Finanzmarkt schicken würde", sagt Ökonom Bernd Weidensteiner von der Commerzbank. "Oder eine Zinspause, die der Markt geradezu als Bestätigung seiner pessimistischen Konjunkturerwartungen auffassen würde."

Ohnehin hat der rasante Preisverfall des Rohöls und anderer Rohstoffe die Aktienbörsen weltweit in den vergangenen Wochen in die Tiefe gerissen. Viele Anleger sehen darin ein Vorzeichen für eine nachlassende Weltkonjunktur und schmeißen deshalb Aktien aus ihren Portfolios. Der Dax steuert mit einem Minus von rund zehn Prozent seit Jahresbeginn auf einen der größten Januar-Verluste seiner Geschichte zu. Die Börse Kuwait notiert auf dem niedrigsten Stand seit etwa zwölf Jahren. In den USA sind Anleihen von Firmen, die sich auf Fracking spezialisiert haben, in den Keller gerauscht.

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STEIGEN DIE VERBRAUCHERINSOLVENZEN IN DEN USA ERNEUT?



In der Finanzbranche könnten dieses Mal indes die europäischen Institute auf der Gewinnerseite stehen. So argumentiert zumindest der Bundesverband deutscher Banken (BdB). Er geht davon aus, dass der rekordniedrige Ölpreis in Europa quasi zu einem Konjunkturprogramm führt, weil Privatleute und Unternehmen wegen der gesunkenen Kosten mehr Geld ausgeben beziehungsweise wieder mehr investieren. "Davon dürften letztlich auch die Banken in Europa profitieren", hofft Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer. Wenn die Wirtschaft boomt, rufen Firmen tendenziell mehr Kredite ab. Daran könnten die Geldhäuser dann verdienen. Die anhaltende Zinsflaute in Europa sorgt allerdings dafür, dass die Margen im klassischen Kreditgeschäft niedrig bleiben.

Andere Experten sind weit weniger optimistisch. "Wir erwarten nicht, dass die Binnennachfrage die Schwäche der Schwellenländer vollständig kompensiert", betont Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Dafür geht mit rund 40 Prozent einfach zu viel der deutschen Exporte in diese Region." Und die ist zu einem Gutteil vom Öl abhängig - neben Russland etwa auch Brasilien oder eine Vielzahl afrikanischer Länder.

Wegen der neuen Ölkrise zittern zurzeit aber vor allem große US-Banken, wie sich in deren Bilanzen zeigt. Fast unisono stockten sie im Schlussquartal 2015 ihre Vorsorge für faule oder zumindest ausfallgefährdete Firmenkredite auf. Das dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen. Wenn die vor allem im Energiesektor betroffenen Unternehmen ihre Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen können, kommt die Krise bei den Geldhäusern an. Das ist derzeit auch die größte Sorge von Investoren, die ihr Geld in Bank-Aktien angelegt haben. Der Chef von Branchenprimus JP Morgan, Jamie Dimon, versucht aber zu beruhigen: "Um die großen Öl-Multis machen wir uns keine Sorgen." Eher dürften kleinere Firmen in Schwierigkeiten kommen, die keine großen Sicherheitspolster hätten.

Analysten legen den Finger noch in eine andere Wunde: Falls viele in der Ölindustrie beschäftigte Amerikaner ihren Job verlören, müssten sich die US-Banken auch im Privatkundengeschäft und der Immobilienfinanzierung auf Gegenwind einstellen. Im Ernstfall drohten reihenweise Verbraucherinsolvenzen. Dieses Thema hatten die Wall-Street-Banken gerade erst abgehakt. 2007 kollabierte der amerikanische Häusermarkt, weil viele Hausbesitzer hoffnungslos überschuldet waren. Das stürzte erst die Bankenwelt in die Krise und führte dann die Weltwirtschaft an den Abgrund. Die globale Finanzkrise nahm ihren Lauf.

In Kassel, wo der deutsche Wintershall-Konzern ansässig ist, hofft man, dass es diesmal nicht so weit kommt. "Der Ölpreis wird mittelfristig wieder nach oben gehen", ist sich Unternehmenschef Mario Mehren sicher. Er hofft, dass Öl bald wieder mehr kostet als eine Flasche Mineralwasser.

Reuters