Nun hat er es also tatsächlich getan. Wladimir Putin dreht Deutschland und Europa das Gas ab. Nur noch 40 Prozent der bisherigen Gasmenge fließen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland. Da die deutschen Gasspeicher aktuell nur zu 57 Prozent gefüllt sind, drohen schon im Herbst Engpässe. Im übrigen Europa sieht es ähnlich aus.

Jetzt wird darüber diskutiert, wie der Energieknappheit entgegengewirkt werden kann. Neben Energiesparen sind die Verlängerung der Laufzeiten von Atommeilern und die vermehrte Nutzung von Kohlekraftwerken im Gespräch. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rief die Betreiber von in Reserve gehaltenen Kohlekraftwerken auf, sie sollten sich schon jetzt darauf einstellen, dass alles so bald wie möglich einsatzbereit sei. "Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken", so Habeck. Ein entsprechendes Gesetz dazu soll am 8. Juli im Bundesrat abschließend beraten werden.

"Allerdings müssen Deutschland und Europa möglichst auch viele andere Quellen auftun", meint Industriepräsident Siegfried Russwurm. Unternehmen sollten zum Beispiel von Gas auf Öl umstellen, wo dies möglich sei. Zudem sollen Gaskraftwerke abgeschaltet und durch Ölkraftwerke ersetzt werden. Das wiederum dürfte Auswirkungen auf den Ölverbrauch und den Ölpreis haben. Der hat zuletzt nach vorherigem kräftigem Anstieg etwas nachgegeben.

Überraschende Prognose

Hauptgrund dafür war die Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) für das zweite Halbjahr. Anders als fast alle anderen Marktteilnehmer rechnet sie mit einem leichten Überangebot an Öl in den nächsten sechs Monaten.

Das liegt nach Ansicht der Agentur an einem höheren Angebot der Nicht-OPEC-Staaten als erwartet. Zum einen fällt die Ölproduktion in Russland weniger stark als zuvor prognostiziert. Zum anderen steigt die Ölförderung in Nordamerika deutlich. Überdies reduzierte die IEA ihre Nachfrageprognose leicht.

Hinzu kommt der kräftige Zinsanstieg in den USA und anderen Ländern. Der schürt Rezessionsängste am Markt. Sollte es zur globalen Wirtschaftskrise kommen, würde auch weniger von der schwarzen Flüssigkeit benötigt werden.

Ganz anders sieht das die OPEC, die Organisation der Erdöl exportierenden Länder. Deren Nachfrageprognose für das zweite Halbjahr wurde sogar geringfügig angehoben. Das Angebot der Nicht-OPEC-Länder soll anders als bei der IEA weniger stark anziehen als bislang erwartet. Da zugleich die OPEC-Produktion weiterhin deutlich hinter dem angekündigten Niveau zurückbleiben dürfte, würde der Ölmarkt damit in der zweiten Jahreshälfte ein Angebotsdefizit von rund 1,5 Millionen Barrel pro Tag aufweisen. Ob es der OPEC gelingt, dies durch eine hinreichende Produktionsausweitung auszugleichen, ist tatsächlich fraglich. Denn sowohl in Libyen als auch in Nigeria gibt es derzeit Förderprobleme. In Libyen wegen umfangreicher Wartungsarbeiten, in Nigeria sind etliche Pipeline-Kilometer defekt.

Dafür kommt offenbar mehr Öl aus Russland auf den Markt: Wie Daten des russischen Energieministeriums und Berechnungen des Finanzdienstleisters Bloomberg zeigen, lag die russische Ölproduktion in den ersten 13 Tagen im Juni bei 10,7 Millionen Barrel pro Tag. Das sind fünf Prozent mehr als im Mai, und damit liegt die Fördermenge um 300.000 Barrel pro Tag über der Prognose der OPEC. Wegen der Begrenzung der Förderkapazitäten der OPEC+, zu der neben den OPEC-Staaten auch Russland zählt, können andere Mitglieder der Organisation bei weiterhin hoher russischer Produktion ihren Anteil daher nur geringfügig ausweiten. Folge: Das globale Ölangebot bleibt knapp.

Weg von russischem Öl

Russisches Öl fließt inzwischen mehr und mehr nach China und Indien, da Europa seine Ölimporte aus Putins Reich massiv reduziert. Die indische Regierung ermunterte zuletzt sogar heimische Ölfirmen, russisches Öl zu kaufen, da es mit hohem Preisnachlass angeboten wird. Bis zum Jahresende wollen fast alle EU-Länder größtenteils auf russisches Öl verzichten. Nur noch zehn Prozent der ursprünglichen Menge soll dann aus Russland importiert werden.

Europa braucht, bedingt durch den Ausfall Russlands, alternative Lieferanten. Dazu zählen Angola, Brasilien und der Irak. Die Importe aus diesen Staaten sind seit Beginn des Ukraine-Kriegs um 200, 50 und 40 Prozent angestiegen. Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen. Das Problem dabei ist: Öl aus Afrika und Südamerika ist teurer als das aus Russland. "Eine direkte Auswirkung sind höhere Frachtkosten wegen der längeren Wege, die die Lieferkosten von Öl erhöhen", sagt Roslan Khasawneh, Analyst bei Vortexa, einem auf Energie spezialisierten britisch-amerikanischen Datenanbieter.

Enger US-Arbeitsmarkt belastet

Auch aus Nordamerika dürfte wenig Hilfe für sinkende Ölpreise kommen. Obwohl die Förderung zuletzt angezogen hat, liegt sie immer noch weit unter dem Niveau vor Ausbruch der Corona-Krise. Da die Schieferölindustrie unter Joe Biden mit mehr Regulierungsauflagen als in der Ära Trump kämpft, fokussiert sich diese mehr auf Schuldenabbau und Ausschüttungen, statt in neue Ölquellen zu investieren. Zudem erschwert der angespannte Arbeitsmarkt den Ölunternehmen die Suche nach Arbeitskräften. "Von daher ist eine Rückkehr zu den Produktionssteigerungen der Trump-Jahre unwahrscheinlich", sagt Ölanalyst Carsten Fritsch von der Commerzbank.

Ein weiterer Treiber für den Preis des schwarzen Goldes könnte ein schnelles Ende des Lockdowns in China sein. Den sieht Matt Smith, Ölexperte beim auf Rohstoffe spezialisierten französischen Marktforschungsunternehmen Kpler, zwar nicht, da die Regierung in Peking nur stufenweise öffnet. Trotzdem dürfte auch eine nur allmähliche Rückkehr zum täglichen Leben zumindest das aktuell hohe Niveau des Ölpreises stützen.

Überdies scheint sich die Hoffnung zu zerschlagen, dass der Iran durch hohe Ölexporte dazu beitragen könnte, die Angebotslücke zu verringern. Die Verhandlungen wegen des Atomstreits stehen kurz vor dem Scheitern.

Derzeit spricht somit mehr für einen weiter anziehenden als fallenden Ölpreis. Zumindest dürfte dieser dreistellig und damit auf hohem Niveau bleiben. Profiteure dessen sind die großen Ölmultis, deren Gewinne weiter sprudeln sollten. Anleger sollten auf diese setzen, da weitere Kursgewinne locken.

INVESTOR-INFO

Strategiezertifikat

Aktien oder Öl

Das Vontobel-Papier setzt abhängig von der Marktlage auf zehn große US-Ölkonzerne oder einen WTI-Öl-Future. Wird am Ölterminmarkt mit langfristig zurückgehenden Ölpreisen gerechnet (Backwardation), wird der WTI-Future gekauft. Dann entstehen Rollgewinne. Das ist aktuell der Fall. Werden langfristig steigende Preise erwartet (Contango), fließt das Geld in Ölaktien. So war es oft in den letzten zwei Jahren. Die Überprüfung erfolgt monatlich. Seit Emission Anfang 2017 beträgt das Plus 86 Prozent, seit April 2020 sogar knapp 150 Prozent.

ENI

Krisengewinner

Der italienische Öl- und Gaskonzern Eni verfügt über ein Tankstellennetz und fördert, raffiniert und vertreibt Öl und Gas. Mit seiner starken Präsenz in Afrika und Katar kommt dem Konzern eine wichtige Rolle in der Sicherstellung der Öl- und Gasversorgung Europas zu. Insofern sollten die Ertragsaussichten für Eni langfristig hervorragend bleiben. Im ersten Quartal stieg der Gewinn verglichen mit dem Vorjahr um gut 30 Prozent.

Exxon Mobil

Profiteur hoher Energiepreise

Dank hoher Ölpreise sprudeln die Gewinne beim US-Branchenprimus Exxon Mobil. Nach einem Topgeschäftsjahr 2021 kann der Öl- und Gaskonzern auch auf ein hervorragendes Auftaktquartal 2022 zurückblicken. Die Aussichten bleiben positiv. Seit 39 Jahren hat die Firma ihre Quartalsdividende ständig erhöht.