In den vergangenen zwölf Monaten war der wöchentliche Stimmungsbericht bezüglich WTI-Futures, der stets auf Basis der Daten vom Dienstag die aktuellen Long- und Short-Positionen von kommerziellen Branchenangehörigen (Commercials), Großspekulanten (Non-Commercials) und Kleinspekulanten (Non-Reportables) aufzeigt, von einer regelrechten Achterbahnfahrt gekennzeichnet. Während dieses Zeitraums hat sich nämlich nicht nur der Ölpreis in der Spitze mehr als halbiert, dieselbe Entwicklung gab es auch beim Optimismus der Großspekulanten zu beobachten.
So lag im Juni 2014 die Netto-Long-Position (optimistische Markterwartung) der Großspekulanten noch bei fast 459.000 Futures. Neun Monate später, als die Stimmung an den Ölmärkten besonders miserabel und der Ölpreis besonders niedrig war, hat sich dieser Wert auf weniger als 207.000 Kontrakte reduziert. Doch seither hat sich die Stimmung deutlich aufgehellt. So rutschte er in den vergangenen beiden Wochen zwar von 347.991 auf 325.855 Futures ab, den Stand zum Jahresultimo hat er dennoch um fast 20 Prozent übertroffen. Es sieht so aus als ob der fossile Energieträger das Schlimmste mittlerweile überstanden hat. Ein weltweiter Konjunktureinbruch würde diese Annahme allerdings über den Haufen werfen. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Auf dem Höhepunkt der durch die Lehman-Pleite ausgelösten Finanzkrise war unter den Großspekulanten zeitweise sogar eine Netto-Short-Position (pessimistische Markterwartung) registriert worden.
Aus charttechnischer Sicht vollzieht der WTI-Future nach dem massiven Preiseinbruch auf dem reduzierten Niveau eine Seitwärtsbewegung zwischen 50 und 62 Dollar. In den vergangenen fünf Wochen scheiterte er allerdings mehrfach an dessen oberer Begrenzung. Für Optimismus sorgt der Blick auf die 100-Tage-Linie, die Mitte April überwunden wurde und im Mai nach oben gedreht hat. Falls dies auch der 200-Tage-Linie gelingen sollte, würde sich die Chance auf einen langfristigen Trendwechsel nach oben erheblich erhöhen.
Auf Seite 2: US-Öllager leeren sich
Der WTI-Future tendierte in diesem Jahr zwar deutlich bergauf, mit der Aufwärtsdynamik der Kursschwankungsintensität (Volatilität) bzw. der US-Lagermenge konnte er allerdings nicht mithalten. So verteuerte sich die US-Sorte seit dem Jahreswechsel zwar um über zehn Prozent, bei der 100-Tage-Volatilität war hingegen ein Anstieg von 30,0 Prozent auf 42,5 Prozent (+41,7 Prozent) und bei den US-Lagermengen ein Zuwachs um 23 Prozent auf 470,6 Millionen Barrel zu vermelden. Doch seit einigen Wochen scheint sich vor allem hinsichtlich des Überangebots eine Normalisierung abzuzeichnen. Seit dem 24. April - als mit 490 Millionen Barrel der höchste Wert seit 80 Jahren verkündet worden war - haben sich in den USA die gelagerten Ölmengen mittlerweile um 20 Millionen Barrel reduziert.
Damit startete die US-Reisesaison, die von Ende Mai bis Anfang September dauert, ausgesprochen verheißungsvoll. Doch um das Monat für Monat anfallende Überangebot abzubauen, reicht es nicht, dass in den USA die Berufspendler und die Urlauber verstärkt auf`s Gaspedal treten, hier muss zugleich die Ölförderung gebremst werden. Der jüngste Wochenbericht des US-Öldienstleisters Baker Hughes wies zum 27. Mal in Folge einen Rückgang der Bohrstellen aus. Am Freitag war ein Minus von sieben auf 635 berichtet worden, das niedrigste Niveau seit August 2010. Zur Erinnerung: im Oktober vergangenen Jahres wurde noch ein Rekordwert von 1.609 gemeldet. Auf die Ölproduktion des Landes hat sich dieser Rückgang allerdings noch nicht ausgewirkt, da neue Techniken die Produktivität der verbliebenen Ölquellen verbessert haben. Mit 9,6 Millionen Barrel pro Tag befindet sich die US-Fördermenge auf dem höchsten Niveau seit den 70er-Jahren.
Hinsichtlich der Perspektiven des Ölpreises herrscht unter den von der Nachrichtenagentur Bloomberg erfassten Analystenprognosen derzeit allerdings ein hohes Maß an Unsicherheit. So schwanken die Kursziele für das laufende Jahr zwischen 47,00 Dollar (Citigroup) und 75,00 Dollar (Sanford C. Bernstein) und ergeben im Durchschnitt einen Wert von 56,30 Dollar. Noch uneiniger sind sich die Experten mit Blick auf das Jahr 2016, wo mit durchschnittlichen Ölpreisen zwischen 55,00 (Business Monitor Int.) Dollar und 93,00 Dollar (Standard Chartered Bank) sowie einem Mittelwert 68,39 Dollar gerechnet wird. Davon ist die US-Sorte derzeit noch ein gutes Stück entfernt.
Zum Commitments of Traders-Report:
Einmal pro Woche veröffentlicht die US-Aufsichtsbehörde Commodity Futures Trading Commission (CFTC) den sogenannten Commitments of Traders-Report (COT) für sämtliche US-Terminbörsen und deren angebotenen Futures. Im wöchentlichen Rhythmus wird unter anderem die Anzahl der offenen Kontrakte (Open Interest) für jeden Basiswert veröffentlicht. Sie bringt zum Ausdruck, wie sich das allgemeine Interesse auf Wochensicht entwickelt hat. < br>
Außerdem zeigt der COT-Report auf Basis der Marktdaten des jeweiligen Dienstags auf, wie sich die Marktpositionen der kommerziellen Branchenvertreter (Commercials) und der spekulativen Marktakteure - aufgeteilt in Großspekulanten (Non-Commercials) und Kleinspekulanten (Non-Reportables) - innerhalb einer Woche verändert haben. Für jede Gruppe von Marktakteuren werden jeweils deren Long- und Short-Positionen aufgeführt. Übertrifft die Long-Seite das Short-Engagement wird von einer Netto-Long-Position gesprochen, die eine mehrheitlich optimistische Markterwartung zum Ausdruck bringt. Im anderen Fall (mehr short als long) handelt es sich um eine Netto-Short-Position, die eine tendenziell pessimistische Markterwartung anzeigt. Für die Aktivitäten der spekulativen Marktakteure interessieren sich die Marktbeobachter normalerweise besonders stark, da ihr Handeln vor allem auf das Erzielen möglichst hoher Gewinne ausgerichtet ist und daher einen starken Einfluss auf die Preisentwicklung und das Marktsentiment ausüben kann.
Zum Autor:
Jörg Bernhard ist freier Journalist und hat sich in den vergangenen Jahren auf Zertifikate-, Rohstoff- und Edelmetallinvestments spezialisiert.