IOC-Chef Thomas Bach sagte nach einem Gespräch mit dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe, es seien "sehr alarmierende Zahlen" gewesen, die den Verband zu der Entscheidung bewogen hätten. Das weltgrößte Sportereignis soll nun "spätestens im Sommer 2021" in Tokio ausgetragen werden - "als ein Fest der Menschheit, die nie dagewesene Coronavirus-Krise überwunden zu haben", sagte Bach. Ein genauer Nachholtermin stehe noch nicht fest.
Die immensen Kosten einer Verschiebung seien bisher kein Thema gewesen. "Hier geht es um den Schutz des Lebens", sagte der IOC-Präsident. Japan hat umgerechnet elf Milliarden Euro in die Olympischen Sommerspiele gesteckt. Die Verlegung ist für das Land logistisch schwierig. So sind die Wohnungen im Olympischen Dorf bereits kurz nach dem ursprünglichen Termin an neue Nutzer verkauft oder vermietet. Tokio hatte vom 24. Juli bis 9. August mehr als 11.000 Sportler im neu gebauten Nationalstadion erwartet. Der Fackellauf wurde bereits abgesagt. Die Olympische Flamme, die von Griechenland in das jeweilige Veranstalterland getragen wird, solle aber bis zum Nachholtermin als "Symbol der Hoffnung" in Japan bleiben, sagte Bach. "Diese Olympische Flamme wird das Licht am Ende des Tunnels sein."
Athleten äußerten sich erleichtert über die Verschiebung. "Die Sportler und Sportlerinnen sind nun von dem Druck befreit, ihr Training unter den Einschränkungen der Coronakrise fortzuführen", erklärte die Interessenvertretung der deutschen Sportler, die von dem Fechter Max Hartung geleitet wird. Für manche Athleten bedeute die Verlegung aber auch das Ende eines Traums. Der amerikanische Dreispringer Christian Taylor, seines Zeichens zweifacher Olympiasieger, sagte der britischen Zeitung "The Times": "Es gibt für mich keine Sandgrube. Ich habe schon seit zwei Wochen keine Spikes mehr angezogen." Die australische Doppel-Olympiasiegerin Cate Campbell sagte, sie sei für die neue Herausforderung bereit. "Die Zielmarken sind nicht verschwunden - sie sind nur verschoben worden."
LANGE AUF ZEIT GESPIELT
Australien und Kanada hatten bereits erklärt, in diesem Jahr nicht an Sommerspielen teilzunehmen und damit den Druck auf das IOC noch erhöht. Am Dienstag telefonierte Ministerpräsident Abe mit Bach und bat offiziell um die Verlegung, "um es den Athleten zu ermöglichen, in Bestform anzutreten, und die Veranstaltung für die Zuschauer sicher zu machen". Eigentlich wollte sich das IOC noch bis zu vier Wochen mit einer Entscheidung Zeit lassen.
Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), Alfons Hörmann, der sich lange mit Äußerungen zurückgehalten hatte, begrüßte den Schritt als "richtig und enorm wichtig": Er zeige, dass auch der Sport alles dafür tue, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. "Das ist eine vernünftige Entscheidung", twitterte der deutsche Außenminister Heiko Maas. "So bitter das für viele SportlerInnen ist: Das Risiko einer weiteren massenhaften Verbreitung der Corona-Pandemie bei Olympia wäre zu groß."
Lange hatte das IOC auf Zeit gespielt, in der Hoffnung, dass sich das Coronavirus noch rechtzeitig eindämmen lässt. Doch bei mehr als 16.500 Corona-Toten sorgte diese Haltung nur noch für Unmut. Nach einem Bericht der Zeitung "Sankei" hatten sich rund 70 Prozent der Japaner dagegen ausgesprochen, die Olympischen Spiele in diesem Juli stattfinden zu lassen.
Der Welt-Leichtathletikverband (World Athletics) signalisierte Bereitschaft, seine Weltmeisterschaft ebenfalls zu verschieben. Sie sollte vom 6. bis 15. August 2021 in Oregon stattfinden. Die Leichtathletik ist eine der Kern-Sportarten der Olympischen Spiele. Veranstalter anderer Sport-Großereignisse wie der Fußball-Europameisterschaft 2020 waren schneller mit ihren Absagen. Die Fußball-EM in mehreren europäischen Städten soll ebenfalls im Sommer 2021 nachgeholt werden.
OLYMPISCHE SPIELE FIELEN ZULETZT IM ZWEITEN WELTKRIEG AUS
Die Olympischen Sommerspiele sind in Friedenszeiten noch nie ausgefallen oder verschoben worden. Zuletzt hatte es während des Zweiten Weltkrieges 1940 und 1944 keine Spiele gegeben. 1940 sollten sie ursprünglich ebenfalls in Tokio stattfinden, wurden später nach Helsinki verlegt, ehe sie wegen des Kriegsausbruchs ganz abgesagt wurden.
Ob sich die Ausrichter, Sponsoren und Fernsehanstalten einen Teil der Kosten zurückholen können, ist unklar: Das IOC ist zwar mit rund 800 Millionen Dollar gegen eine Absage der Olympischen Spiele versichert. Ob die Police auch bei einer Verschiebung zahlt - und wenn ja, wieviel -, ist aber unklar. Den Großteil des finanziellen Risikos trägt ohnehin das Veranstalter-Land. Bei den führenden Rückversicherern Münchener Rück und Swiss Re stehen jeweils dreistellige Millionenbeträge im Feuer. Doch ist Branchenkreisen zufolge längst nicht bei allen auch das Pandemie-Risiko abgedeckt.
rtr