Fast 20 Jahre ist es her, dass der Euro in Dollar so wenig wert war wie jetzt: Am 4. Dezember 2002 erreichte die damals noch junge Gemeinschaftswährung Parität zum Dollar. Der große Unterschied zu heute: Im Jahr 2002 war ein 1 : 1-Wechselkurs eine positive Entwicklung, denn der Euro war davor noch schwächer gewesen, sein Tiefststand vom Oktober 2000 lag bei 0,8270 Dollar.
Aktuell dagegen befindet sich die europäische Währung seit Wochen im freien Fall. Dass das alte Tief bei 83 US-Cent getestet wird, halten Ökonomen zwar für eher unwahrscheinlich, doch dass der Euro grundsätzlich noch weiter ins Terrain Richtung 0,90 Dollar fallen kann, scheint hingegen für viele abgemachte Sache.
Vieles spricht für den Dollar
Denn es gibt außer dem Stichwort "überverkauft" aktuell eigentlich nichts, was für eine Trendwende spricht. Das liegt an der Energiekrise in Europa. Die exorbitant gestiegenen Preise für Gas und Öl befeuern die Inflation in der Eurozone. Anders als die amerikanische Fed kann die Europäische Zentralbank hier aber nicht so stark mit Zinserhöhungen gegensteuern, da hohe Zinsen einigen hoch verschuldeten EU-Mitgliedsländern Probleme bereiten würden. Eine weitere Euroschuldenkrise will niemand riskieren: Vorteil Dollar.
Außerdem könnte die Energiekrise Europas Wirtschaft in die Rezession treiben. "Die jüngste Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar zeigt, dass dies aus Sicht des Markts stärker wiegt als das Risiko einer durch Zinserhöhungen der Fed ausgelösten Rezession in den USA", sagt Antje Praefcke, Devisenexpertin bei der Commerzbank. Erneut: Vorteil Dollar.
Energiekrise als Worst Case
"Solange am Devisenmarkt die Sorgen vor einer Energiekrise in Europa dominieren, hat der Euro kaum Erholungspotenzial gegenüber dem US-Dollar", ist Praefcke überzeugt. Aber was, wenn dieser Worst Case ausbleibt? Dann könnte die Europäische Union an einer Rezession vorbeischrammen, während die US-Wirtschaft durch den strikten Zinserhöhungskurs der Fed scharf abgebremst würde. Das sollte den Euro zum Dollar auf Erholungskurs schicken.
Genauso gut kann es aber auch passieren, dass beide Wirtschaftsräume schwächeln. Schließlich gibt es mit den Lieferketten- und Personalproblemen genug weitere Belastungsfaktoren. Dann wiederum, schreibt die Devisenabteilung der Commerzbank, wäre erneut der Dollar im Vorteil. Denn der Fed bliebe von ihrem dann deutlich höheren Zinsniveau aus mehr Spielraum, um die Unternehmen mit der Senkung der Leitzinsen zu unterstützen. Der EZB ginge dagegen schnell die Munition aus, und sie müsste wieder zu indirekten Maßnahmen wie den milliardenschweren Anleihekäufen greifen.
Insofern mag es - bei hoher Nervosität an den Märkten - zwar zu kurzfristigen Erholungsversuchen des Eurowechselkurses zum Dollar kommen. Doch insgesamt ist die Unsicherheit immens und eine nachhaltige Trendwende unwahrscheinlich, solange nicht klar ist, wie es mit Europas Gasversorgung weitergeht.