Am Freitag, den 13. August 1971, berief Richard Nixon seinen Finanzminister John Conelly, eine Handvoll Fachleute der Notenbank und seine engsten Mitarbeiter nach Camp David, dem Landsitz der US-Präsidenten. 20 Hubschrauberminuten von Washington entfernt wollte er beratschlagen, was man angesichts des schwindenden Vertrauens in den Dollar tun sollte. Im Tross: Staatssekretär Paul Volcker, Princeton- und Harvard-Absolvent, seit 1969 im Finanzministerium und zuständig für die Währungspolitik.
Im Abkommen von Bretton Woods, das die Weltwährungsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegt hatte, hatten die Vereinigten Staaten 1944 zugesagt, jederzeit zu einem festen Kurs Dollar in Gold einzutauschen. Für 35 Dollar gab es eine Feinunze (31,1 Gramm) Gold. Das galt allerdings nur für Ausländer. Amerikaner durften ihre Dollar nicht umtauschen und auch - außer Schmuck - kein Gold besitzen.
Fast drei Jahrzehnte lang tat dieser Dollar-Gold-Standard seine Schuldigkeit; Deutschland trat dem System 1949 bei, es wurde eine Säule des Wirtschaftswunders. Der Welthandel expandierte, und der Dollar galt als die Weltwährung schlechthin.
Doch 1971 war die Welt eine andere geworden. Eine expandierende Weltwirtschaft brauchte Geld, und so war in den 1950er- und 1960er-Jahren in fast jedem Land die Geldmenge gewachsen - auch in den USA. Wer nachrechnete, kam irgendwann ins Grübeln: Entweder schwindelte die US-Notenbank ihre Goldreserven nach unten, oder das in Bretton Woods abgegebene Versprechen war nichts mehr wert. Notenbanken in aller Welt begannen, neben Gold nicht mehr nur Dollar als Devisenreserven zu halten. Und auch Investoren verabschiedeten sich peu à peu vom Greenback. Der Kurs zerbröselte; die Mitarbeiter von Notenbankchef Arthur F. Burns fürchteten jeden Tag aufs Neue, dass die in den Bretton-Woods-Verträgen vereinbarte Pflicht, Dollar in Gold einzutauschen, einem Praxistest unterzogen würde. Der Präsident musste etwas tun.
Während der Finanzminister herumeierte und sich der Lösung des Problems mit Reformen annähern wollte, sympathisierte sein "Brain" Paul Volcker mit den vom späteren Nobelpreisträger Milton Friedman favorisierten flexiblen Wechselkursen. Die kamen ohne einen Anker wie eine feste Parität zum Gold aus. Zudem klang Friedmans Theorie äußerst plausibel: Die Wechselkurse von Ländern mit Leistungsbilanzdefizit würden abwerten, jene der Länder mit -überschüssen aufwerten.
Ohne feste Wechselkurse - so Friedmans These - könnten sich Probleme der Defizitländer gar nicht weiter aufschaukeln, sondern im Land selbst käme es über eine Anpassung der Löhne und einer Reduzierung der Staatsausgaben praktisch unmittelbar zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Überschussländer würden ihrerseits durch eine Verringerung der Importpreise profitieren - gleichzeitig aber im Export etwas gebremst. So die charmante Theorie, von der Volcker seinen Chef überzeugte, der wiederum den Präsidenten dazu brachte, sich vom bestehenden System zu verabschieden.
Das Goldfenster wird zugeklappt
Nach ein paar guten Drinks und zweimal Schlafen schloss der Präsident in einer Fernsehansprache am Sonntag, 15. August 1971, das sogenannte Goldfenster. Mit dem Ende der Pflicht, Geld in Gold umzutauschen, hatte Richard Nixon den wichtigsten Mythos der internationalen Wirtschaftsordnung auf brutalstmögliche Art zerstört. Plötzlich war der Dollar nicht mehr genauso solide wie das gelbe Metall.
Was die Märkte vorweggenommen hatten, war nun Realität. In die Geschichte ging das als "Nixon-Schock" ein, obwohl es eigentlich ein "Volcker-Schock" war. Seinem Biografen William Silber sagte er 2011, dass dies der wichtigste Tag in seinem Leben gewesen sei. Volcker aber sollte auch noch in die Geschichtsbücher eingehen. Doch dazu später.
Seit Bretton Woods war der Dollar der Fixstern der monetären Weltordnung. Nur die USA hatten 1944 noch über genug Gold verfügt, um ihre Währung ans Gold zu binden. 574 Millionen Unzen, rund 17,8 Tonnen, lagerten in Fort Knox: mehr als die Hälfte der Bestände, die damals alle Notenbanken der Welt zusammen besaßen.
Da der Dollar ans Gold gebunden wurde und alle anderen Währungen mit einem festen Wechselkurs an den Dollar, war indirekt jede Währung in Gold eintauschbar. Die Kurse der Währungen untereinander waren damit auch fixiert, und die Notenbanken hatten sich verpflichtet, sie in einer Bandbreite von einem Prozent zu stabilisieren. Nur wenn sich das reale Austauschverhältnis zu weit von den nominalen Paritäten entfernte, sollten die Wechselkurse vertraglich neu angepasst werden. Dieses Regime wurde zwar nach dem Ende der Goldeinlösepflicht noch eine Weile verteidigt, 1973 brach es aber endgültig zusammen.
Was Volcker und Friedman nicht bedacht hatten: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die wirtschaftliche Bedeutung der USA abgenommen. Ihr Anteil an der globalen Produktion war innerhalb von gut 20 Jahren von 35 Prozent auf rund ein Viertel gesunken, der Anteil am Welthandel von 25 auf zehn Prozent geschrumpft. Die Kriegsverlierer waren hingegen auf der Überholspur unterwegs: Japan entwickelte sich zur Fertigungsstätte der Welt, in Deutschland lief der Käfer vom Band, und die Leute bestaunten das Wirtschaftswunder.
US-Unternehmen nutzten die neue Offenheit und investierten im Ausland. Aber zu Hause passierten die von Friedman und Volcker erwarteten Anpassungen nicht. Hatten die USA zuvor so viel Dollar in Umlauf bringen können, wie sie wollten, weil kein Land die mächtigste Nation der Welt zwingen konnte, diese tatsächlich in Gold umzutauschen, wurde das Zahlungsbilanzdefizit der USA nach 1971 für viele Jahre vom Ausland zunächst freiwillig weiter finanziert, weil es zum Dollar als Weltleitwährung keine Alternative gab. Weil der Anpassungsmechanismus für die USA nicht funktionierte, stieg - via Importpreisen - die Inflationsrate. Gleichzeitig kam es zu einem dramatischen Anstieg des Goldpreises.
Ohne Rücksicht auf Verluste
Die moderat steigenden Preise wuchsen sich allmählich zu einer handfesten Inflation aus. 1979, die Inflationsrate hatte die Marke von 13 Prozent überschritten, machte Präsident Jimmy Carter Volcker zum Chef der US-Notenbank. Volcker und seine Kollegen in der Fed erhöhten die Leitzinsen auf heute unvorstellbare 20 Prozent und nahmen dafür eine schwere Wirtschaftskrise in Kauf. Die Arbeitslosenquote kletterte auf mehr als zehn Prozent. Millionen Amerikaner konnten ihre Hypotheken nicht mehr zahlen oder verloren ihren Arbeitsplatz - die Medizin war so bitter, dass sie als "Volcker-Schock" in die Geschichtsbücher einging. Vor allem Bauunternehmen, Immobilienbesitzer und Landwirte litten, die Bauern blockierten zeitweise sogar mit Treckern die Hauptstadt Washington.
Bei der Bekämpfung eines Problems, das er mit seinem Ratschlag, die Goldkonvertibilität aufzuheben, letztlich selbst geschaffen hatte, geriet Volcker bald bankintern, bei der Regierung und in der Öffentlichkeit unter Druck. Volcker aber blieb standhaft und war am Ende erfolgreich. 1982 sank die Inflationsrate auf sechs Prozent, 1983 halbierte sie sich noch einmal. Der knorrige, 2,02 Meter große Schlaks hatte sich durchgesetzt.
Von Carter berufen, von Reagan bestätigt, war eine weitere Amtszeit als Präsident des Federal Reserve Systems für Volcker kein Thema. Er trat 1987 in die Investment Bank Wolfensohn & Co. des späteren Weltbankpräsidenten ein und engagierte sich in der "Group of 30", einem renommierten international zusammengesetzten Beratungsgremium - immer vor Inflation warnend. Nach dem Zusammenbruch der Lehman Brothers reaktivierte ihn Präsident Obama noch einmal als Ratgeber.
Aus dieser Zeit stammt im Übrigen sein bekanntestes Bonmot: In den vergangenen Jahrzehnten habe die Finanzwelt keine vernünftige Innovation hervorgebracht außer dem Geldautomaten.
Vita:
Paul Volcker
wurde 1927 in New Jersey geboren. Er studierte Ökonomie und Verwaltungswissenschaften in Princeton, Harvard und London. Nach einer kurzen Zeit bei der Chase Manhattan Bank wechselte er 1969 ins Finanzministerium. 1979 berief ihn Präsident Carter an die Spitze der US-Notenbank, wo er durch Ronald Reagan für weitere vier Jahre bestätigt wurde. Bis zu seinem Tod 2019 war sein Rat gefragt.