Sie hoffen auf neue Geschäftsmodelle, mehr Effizienz und einen Wissensvorsprung im Datendschungel mit Hilfe lernender Maschinen oder Algorithmen. Der Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung der Unternehmerverbände (LVU), Karsten Tacke, sagt: "KI ist ein Schlüsselthema für die Wirtschaft."
In der Mainzer Uniklinik fand im vergangenen Juni ein sogenannter "Healthcare Hackathon" statt, bei dem in Teams an digitalen Lösungen für das Gesundheitswesen gebastelt wurde. Es ging unter anderem um eine gestengesteuerte Pflegedokumentation, bei der Personal mit bloßen Handbewegungen bestätigen kann, dass bestimmte Arbeiten erledigt sind. Auch an der Technik von auf Segways - also selbstbalancierenden Elektro-Stehrollern - basierenden Mini-Robotern wurde gearbeitet, die Transporte in Kliniken übernehmen können.
Die Mainzer Schott AG möchte mit KI Produktionsprozesse optimieren, etwa die hochkomplexen Schmelzvorgänge für Gläser. Dabei wird in Wannen, teils so groß wie ein Einfamilienhaus, Glas auf weit über 1500 Grad erhitzt. Weil es bei Spezialgläsern für die Pharmabranche oder für Teleskope extreme Genauigkeit braucht, muss exakt auf Luftzufuhr, Temperatur, Fließgeschwindigkeit und andere Parameter geachtet werden. Kameras und Sensoren erfassen schon jetzt die Abläufe. Künftig sollen die Daten mit Algorithmen noch systematischer analysiert werden. Die Hoffnung ist, Schmelzprozesse stabiler zu machen und die Glasausbeute zu erhöhen - das ist bares Geld wert.
Dass Schott sehr stark auf KI setzt, zeigte im vergangenen Jahr der Einstieg beim Schweizer Start-up Nnaisense. Dahinter steht unter anderem der bekannte KI-Experte Jürgen Schmidhuber. Er war es, der 2018 nach einer Diskussion mit der Spitze der CDU-Bundestagsfraktion in Berlin gesagt hatte, der Ausbau der Künstlichen Intelligenz biete eine große Wirtschaftschance für den Maschinenbau in Deutschland.
Etwas rheinabwärts von Mainz spielt beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim KI eine wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe. Wichtig sei stets, stabile Molekülstrukturen hinzubekommen, teilte das Unternehmen mit. Früher hätten Experten daran viele Wochen gearbeitet, mögliche Kombinationen durchgespielt. Heutzutage würden mögliche Strukturen mit Hilfe von KI durchgerechnet und Ergebnisse, mit denen Fachleute dann weiterarbeiten könnten, lägen schon nach wenigen Tagen vor.
Auch im digitalen Labor "BI X" von Boehringer am Stammsitz Ingelheim dreht sich alles um KI. Teams suchen nach neuen Geschäftsmodellen im digitalen Umfeld. Algorithmen könnten mal helfen, Krankheiten besser und früher zu erkennen. Erprobt wird etwa eine Stimmanalyse für die Erkennung von Demenz oder Alzheimer. Dabei wird per KI das Sprachbild eines Menschen mit denen von Erkrankten verglichen.
Boehringer betont, dass damit keine endgültigen Diagnosen gestellt werden sollten oder könnten - wohl aber soll es die Arbeit von Ärzten erleichtern und frühere medizinische Hilfe ermöglichen sowie Patienten mehr Zeit zur Vorbereitung geben. "Digitale Technologien sind kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug", sagt Michael Schmelmer, Mitglied der Unternehmensleitung. KI biete Optimierungspotenzial in allen Teilen der Wertschöpfungskette. "Wir beschleunigen die Medikamentenentwicklung, verkürzen Innovationsprozesse und können Prävention und Früherkennung von Erkrankungen verbessern."
Der Ludwigshafener Chemieriese BASF kündigte jüngst eine enge Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Berlin beim Thema "Maschinelles Lernen" an. Auch hier geht es um die Entwicklung neuer mathematischer Modelle und Algorithmen, um die maschinelle Analyse großer Datenmengen, um Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und Vorhersagemodelle zu entwickeln, die sich selbstständig verbessern. Bruno Betoni, bei BASF für die Kooperation verantwortlich, sagte dazu im August: "Für Maschinelles Lernen gibt es keine fertige Software."
BASF arbeitet unter anderem auch mit einem niederländischen Unternehmen daran, Landwirten weltweit auf Basis von Satellitendaten - etwa zur Bodenfeuchte und Oberflächentemperatur - noch genauere Empfehlungen dafür zu geben, wo und in welcher Menge Betriebsmittel etwa zum Pflanzenschutz eingesetzt werden sollten.
Ob Pharma, Chemie oder andere Industriezweige: Für den Unternehmerverband LVU ist KI zentral für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hierzulande und des Standorts Deutschland insgesamt. Hauptgeschäftsführer Tacke sieht Rheinland-Pfalz unter anderem mit dem Deutschen Forschungszentrum für KI in Kaiserslautern auf gutem Weg. Netzwerke wie die Initiative "SmartFactory Kaiserslautern" seien geeignet, praxisnah Unternehmen und Wissenschaft zusammenzubringen.
Das sei gerade für kleine und mittlere Unternehmen wichtig, um KI für sich zu nutzen. "Großunternehmen mit eigenen, gut ausgebauten Forschungs- und Entwicklungsbereichen haben es leichter, aus eigener Anstrengung KI für sich zu erschließen." Tacke plädiert angesichts des Potenzials von KI dafür, der Technik offen gegenüberzutreten. "Traditionell sind die Deutschen eher risikofixiert", sagt der LVU-Vertreter. "Das darf sich nicht zum Hemmschuh entwickeln."
dpa-AFX