Die Tür zur Straße steht offen, der große Innenraum wirkt hell, aufgeräumt und freundlich. Die ältere Dame, die ihn betritt, zögert trotzdem. "Was kann ich für Sie tun?", wird sie freundlich begrüßt. Sie schaut kaum auf, während sie ein kleines Kästchen aus der Tasche holt. Zum Vorschein kommt ein Sammelsurium an Schmuck: Ketten, ein Ring, einzelne Ohrringe und auch einige defekt aussehende Teile. "Ist das was wert?" Die Nervosität in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Sie war noch nie hier und ist ganz offensichtlich skeptisch.

Inhaber Christian von Engeln-Martini, der heute selbst hinter dem Tresen seines Geschäfts im Münchner Stadtteil Schwabing steht, wundert das nicht. Denn so wie ihr geht es vielen, die zum ersten Mal ein Leihhaus oder - so der offizielle Name - eine Pfandkreditanstalt betreten. "Pfandleiher", so schildert von Engeln-Martini das bis heute weitverbreitete Vorurteil, "sind dubiose Gestalten, die in Hinterzimmern hausen und versuchen, den Kunden über den Tisch zu ziehen." Dieses Bild hat mit der heutigen Realität wenig zu tun, betont Wolfgang Schedl, Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Pfandkreditgewerbes (ZDP). Allerdings kommt es auch nicht von ungefähr. Jahrhundertelang existierten zwar einerseits kirchliche und später städtische Pfandhäuser, die eher soziale Anliegen hatten und die Ärmsten der Armen versorgten.

Überkommene Horrorvorstellungen

Andererseits gab es bereits in der Antike Gewerbetreibende, die Geld gegen Waren verliehen - und oft genug ihre Kundschaft mit niedrigen Darlehensbeträgen und Horrorzinsen drangsalierten. Wucherer, die Unbemittelte in den Ruin treiben, sind bis auf den heutigen Tag in vieler Menschen Köpfen präsent.

Dabei gibt es in Deutschland bereits seit 1961 die sogenannte Pfandleiherverordnung, die den rund 250 Unternehmen, die es hierzulande gibt, strenge Regeln auferlegt. Und die auch sicherstellt, dass kein Interesse daran bestehen kann, den Wert einer Ware über die Maßen zu drücken. Denn der Verdienst der Pfandleiher resultiert allein aus Zinsen und Gebühren, die sich am Auszahlungsbetrag orientieren.

Dass den Kunden das angebotene Darlehen dennoch oft niedrig vorkommt, hat verschiedene Gründe. Einer davon ist die Abpufferung des eigenen Risikos. Wird das Pfand nicht wieder abgeholt, kommt es - so ist es gesetzlich vorgeschrieben - in die Versteigerung. Macht der Pfandleiher dabei Verlust, ist dies sein Pech, macht er hingegen Gewinn, steht dieser zu 100 Prozent dem Kunden zu.

Zudem führt auch die immer kürzere Lebensdauer vieler Konsumgüter dazu, dass die Auszahlungsbeträge schrumpfen und das Portfolio beleihbarer Gegenstände seit Jahren ebenfalls, wie es Thomas Käfer in seinem gerade erschienenen Buch "Alles hat seinen Preis" (Riva Verlag, 19,99 Euro) beschreibt. Handys beispielsweise, vor ein paar Jahren noch begehrt, nehmen die meisten Verleiher heute nur noch neu, originalverpackt und mit Rechnung. Und für Spielekonsolen, die neu ein paar Hundert Euro kosten, ist oft nicht mehr als ein Darlehen von 80 Euro drin. Käfer hat seinen Laden neben dem Münchner Hauptbahnhof und ist derzeit durch seinen Auftritt in der RTL-Show "Die Superhändler" wohl Deutschlands bekanntester Pfandleiher.

Andererseits wissen viele Kunden auch gar nicht, was überhaupt alles verpfändet werden kann, sagt Mitbewerber Jürgen Racknitz. Er ist Geschäftsführer des Leihamtes Mannheim, des einzigen heute noch existierenden öffentlichen Pfandhauses in Deutschland. Musikinstrumente, neuwertige Lederwaren, Mountainbikes oder teure Maschinen, so stellt er klar, bringen mitunter sogar deutlich mehr als erwartet. Zudem gibt es Häuser, die sich auf Autos, technische Geräte und Maschinen spezialisiert haben.

Umsatzbringer Schmuck

Die meisten Umsätze aber macht die Branche mit Schmuck, der nicht nur beliehen werden kann, sondern den die meisten Läden seit gut zehn Jahren auch ankaufen. Wobei auch hier in beiden Fällen weder Herstellungskosten noch die Gewinnmarge des Juweliers in die Berechnung einfließen. Der Wert des Schmuckstücks entspricht dem reinen Materialwert, der allerdings aufgrund des guten Goldpreises momentan besonders hoch ist. Wer seinen Schmuck sowieso nicht mehr trägt, meint nicht nur von Engeln-Martini, "für den kann das die bessere Möglichkeit sein".

Wie genau der Wert von Schmuck ermittelt wird, kann seine Kundin vor Ort beobachten. Alle Stücke aus ihrem Kästchen werden systematisch sortiert, danach werden Gewicht und Reinheit der Edelmetalle überprüft. Dabei kommen längst nicht mehr nur althergebrachte Hilfsmittel wie Lupe, Waage und Salpetersäure zum Einsatz, sondern jede Menge neuester Technik. Alle Werte werden sofort so angezeigt, dass die Kundin mitlesen kann. Von Engeln-Martini hat sich, wie viele seiner Kollegen, maximale Transparenz auf die Fahnen geschrieben. Auch ein Anzeichen dafür, dass sich die Branche weiterentwickelt hat - und einen viel breiteren Kundenkreis anspricht als noch vor ein paar Jahren. Schätzungen besagen, dass sich jedes Jahr rund eine Million Kunden auf den Weg ins Leihhaus machen.

Und längst kommen, so ermittelte kürzlich die Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar, nicht mehr nur die klassischen Privatkunden, sondern vermehrt auch Kleingewerbetreibende, Handwerker und Mittelständler. (Solo-)Selbstständige eben, die schnell und unkompliziert einen kurzfristigen finanziellen Engpass überbrücken müssen - zum Beispiel, weil ein Projekt vorfinanziert werden soll. Dabei geht es dann nicht zwangsläufig darum, dass die Bank den Kredit verweigert oder vielleicht verweigern könnte, oft scheuen sie einfach den Aufwand. Ein Grund, der vermehrt Rentner in die Pfandleihe lockt. Ihnen macht die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung ihrer Kreditwürdigkeit das Leben mitunter schwer. Der Pfandkredit, erläutert ZDP-Mann Schedl, hat eine ganze Reihe von Vorteilen, von denen die beschränkte Haftung auf das Pfand nur einer ist. Wer Geld vom Pfandleiher bekommt, verschuldet sich nicht, muss nicht seine gesamten Vermögensverhältnisse offenlegen - und haftet im Zweifel nicht persönlich mit allem, was er hat. Diese Aspekte können auch für sehr vermögende Kunden von Vorteil sein, weiß Thomas Ignatzi, Geschäftsführer der Frankfurter Westend Bank. Ignatzi hat sich auf Sachdarlehen für Vermögende spezialisiert, deren Pfand (zeitgenössische Kunst oder Oldtimer) einen Marktwert von mindestens 100 000 Euro hat.

Zudem ist der Pfandkredit deutlich flexibler als der Bankkredit und kann jederzeit ohne Vorfälligkeitsentschädigung abgelöst werden. Und er ist schnell. "Im Normalfall", so von Engeln-Martini, "ist die Sache in zehn Minuten erledigt."

Geld ohne Schufa-Risiken

Tatsächlich: Viel länger dauert der Besuch seines nächsten Kunden nicht. Der junge Mann in Anzug und Krawatte kennt das Prozedere. Ohne Zögern legt er zwei Uhren auf den Tresen. 1000 Euro lautet das Angebot - er akzeptiert sofort. Seit ein paar Jahren, erzählt der selbstständige PR-Berater, komme er immer mal wieder, wenn sich eine Kundenzahlung verzögere und der Dispokredit das Limit erreicht habe. "Das ist deutlich einfacher als die Diskussion mit den Banken."

Auch an die in Wiesbaden ansässige Wirtschaftsauskunftei Schufa wird der Kredit nicht gemeldet, ebenfalls ein Plus, das sich vor allem dann auszahlt, wenn immer wieder kurzfristiger Bedarf besteht. Denn zu viele Kredite wirken sich schnell negativ auf den Schufa-Score aus.

Vorteile, die Stefanie Laak von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen nicht grundsätzlich bestreitet. Gleichzeitig stellt sie aber klar, dass es auch Nachteile gibt, allen voran nennt sie das Stichwort Preis. Der Pfandkredit, so ihre Ansage, eignet sich allenfalls für kurzfristige Überbrückungen und nicht für Menschen, die grundsätzlich Mühe haben, über den Ersten des nächsten Monats zu kommen. Pro Monat wird ein Prozent Zinsen fällig, zuzüglich Gebühren, die nur bis zu einer Summe von 300 Euro gesetzlich gedeckelt sind.

Als die Verbraucherschützer vor ein paar Jahren Kreditkonditionen von Pfandleihern verglichen, kamen sie auf Kosten von bis zu 40 Prozent im Jahr, inzwischen kann es sogar noch teurer werden. Ein Dispokredit ist meistens weitaus günstiger, betont Laak. Und insbesondere, wer den nicht bekommt, sollte zunächst einmal prüfen, welche Sozialleistungsansprüche er hat.

Allerdings arbeiten mittlerweile auch Pfandleiher daran, ihr Angebot konkurrenzfähig zu machen. So bietet beispielsweise das Leihamt Mannheim ein sogenanntes Vario-Pfand-Modell an. Es lagert - ähnlich einem Bankschließfach - verpfändbare Waren bei sich ein, die dann bei Bedarf beliehen werden können. Gezahlt wird einmal die Einlagerung mit 0,25 Prozent des eingelagerten Werts. Und zum anderen entstehen bei Verpfändung je nach Wert Gebühren von sechs oder zwölf Prozent. Zinsen fallen gar nicht an. "Damit sind wir mit dem Dispo konkurrenzfähig", betont Geschäftsführer Rackwitz. Allerdings gibt es das Angebot bislang nur im Premiumbereich, also für Darlehen in Höhe von mindestens 10 000 Euro.

Das Mannheimer Leihamt ist übrigens das letzte in staatlicher Hand - gegenüber ehemals 35. In Augsburg schloss das vorletzte im Jahr 2018. Das erste öffentliche Leihhaus der Welt wurde 1462 im italienischen Perugia durch einen Franziskanermönch namens Barnada gegründet.

In München hat von Engeln-Martini für den Schmuck seiner Kundin gut 700 Euro ermittelt. Würde sie verkaufen, bekäme sie genau diesen Betrag. Beleiht sie ihn, würden noch einmal zehn Prozent abgezogen. Die Dame aber packt den Schmuck erst einmal wieder ein. Was sie sich vorgestellt hat, sagt sie nicht.

Von Engeln-Martini ist auch dieses Mal nicht verwundert. Nach seiner Erfahrung schlafen viele Kunden erst einmal eine Nacht über das Angebot und kommen dann ein paar Tage später wieder. Oder sie gehen zum nächsten Pfandleiher - und hoffen auf mehr. S. Hildebrandt-Woeckel

 


Darauf sollten Sie beim Pfandleiher achten

Versuchen Sie selbst, vorher den Wert Ihres Pfands zu ermitteln. Wenn vorhanden, bringen Sie Rechnungen oder Schätzungen mit.

Wer spezielle Gegenstände wie Briefmarken, Antiquitäten oder Kunst verpfänden will, wendet sich am besten an einen Spezialisten. Eine Übersicht gibt es beim Zentralverband des Deutschen Pfandkreditgewerbes (pfandkredit.org).

Sortieren Sie Schmuck selbst grob vor.

Selbst wenn Sie keine Ahnung vom Wert Ihres möglichen Pfands haben, geben Sie dies niemals zu erkennen.

Bitten Sie den Pfandleiher, Ihnen Einblick in seine Prüftätigkeiten zu geben. Kontrollieren Sie bei Schmuck die Waage.

Wenn Ihnen der Wert zu niedrig erscheint, verhandeln Sie. Tests von Verbraucherschützern haben gezeigt, dass dies durchaus erfolgreich sein kann.

Versuchen Sie aber nicht, mehr Geld herauszuschlagen, als Sie tatsächlich brauchen, denn das treibt nur die Gebühren in die Höhe.

Vergleichen Sie. Das heißt: Holen Sie immer mindestens zwei Angebote ein.

 


Pfandleihe: Die wichtigsten Regeln

Kreditlaufzeit: Gesetzlich ist die Laufzeit auf mindestens drei Monate festgelegt, manchmal werden auch bis zu sechs Monate angeboten. Hinzu kommt ein Monat Karenzzeit, bis das Pfand verwertet werden darf.

Verlängerung: Eine Verlängerung ist theoretisch beliebig oft möglich, wenn der Verpfänder die Zinsen und Gebühren zahlt. Oft gibt es eine Begrenzung auf ein- oder zweimal.

Auslösung: Um das Pfand wieder auszulösen, muss der Kreditnehmer sein erhaltenes Darlehen zuzüglich Zinsen und Gebühren an den Pfandleiher zurückzahlen.

Kosten: Die Zinsen dürfen gesetzlich nicht mehr als ein Prozent pro Monat betragen. Für die Gebühren bis 300 Euro gibt es eine vorgeschriebene Staffel, nach der zum Beispiel bei 100 Euro 2,40 Euro pro Monat fällig werden und bei 300 Euro 6,50 Euro. Danach sind die Gebühren frei verhandelbar und können bis zu vier Prozent pro Monat steigen.

Verwertung: Wird die hinterlegte Ware nicht abgeholt, muss sie öffentlich versteigert werden. Das geht nur durch einen Gerichtsvollzieher oder einen vereidigten Versteigerer. Wird bei dieser Versteigerung ein Gewinn erzielt, steht dieser dem Verpfänder zu. Holt er ihn drei Jahre lang nicht ab, muss der Gewinn an den Staat abgeführt werden.

 


Interview

"Wir haben die Expertise"

Die Westend Bank mit Sitz in Frankfurt ist die einzige Bank in Deutschland, die Kunden Sachwertdarlehen anbietet. Das ist ungewöhnlich, denn Pfandleiher betreiben zwar Kreditgeschäfte. Aber da sie Darlehen nur gegen Faustpfand leisten, benötigen sie üblicherweise keine Zulassung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.

Börse Online: Herr Ignatzi, Sie beleihen Sachwerte, sehen sich aber nicht als klassischer Pfandleiher. Warum nicht?

Thomas Ignatzi: Zuerst einmal sind wir eine Bank. Das heißt, wir haben eine Banklizenz und agieren als Spezialfinanzierer. Dabei vereinen wir Kredit- und Risiko-Know-how mit einer hauseigenen Expertise in den Bereichen zeitgenössische Kunst und Classic Cars. Unser Angebot wird von Kreditnehmern geschätzt, die reale Vermögenswerte für Finanzierungen nutzen wollen, ohne diese zu verkaufen - und kann zudem auch von Dritten additiv genutzt werden. Das heißt, wir arbeiten auch mit anderen Banken, Vermögens- und Steuerberatern et cetera zusammen.

Was heißt das genau? Ab welchem Geldbedarf kann ich zu Ihnen kommen?

In der Regel beleihen wir zeitgenössische Kunst oder Classic Cars ab einem Marktwert von 100 000 Euro.

Und wie läuft das dann konkret ab? Ich bringe meinen Picasso oder meinen Bentley zu Ihnen?

Da ist der nächste Unterschied. Wenn Sie ein Darlehen zum Beispiel mit einem Kunstwerk besichern, heißt das nicht zwangsläufig, dass wir es in Verwahrung nehmen. Es ist durchaus möglich, dass die beliehenen Objekte weiterhin in einem Museum oder einer Galerie hängen - oder in Ihrem Unternehmen. Wichtig ist für unsere Kunden auch, dass man Kunstwerke oder Autos temporär zu Messen, Ausstellungen oder Auktionen bringen kann. Es kann sogar vorkommen, dass ein verpfändeter Sachwert zwischenzeitlich verkauft und durch andere Objekte ersetzt wird. Anders als klassische Pfandleiher haben wir also keinen statischen Lösungsansatz, sondern entwickeln mit unseren Kunden gemeinsam eine passende Lösung.

Beim Pfandleiher ist das Pfand die einzige Sicherheit für das Darlehen. Ist das bei Ihnen auch so?

Ja. Allerdings prüfen wir nicht nur den Sachwert mithilfe externer unabhängiger Gutachter und unserer internen Experten. Es finden auch alle banküblichen Prüfungsprozesse der Bonität statt. Kommt es dann zur Beleihung, sind in der Regel aber weitere Ansprüche unsererseits ausgeschlossen. Der Kreditnehmer haftet dafür, dass das Pfand frei von Rechten Dritter ist und er der rechtmäßige Eigentümer ist. Und noch etwas läuft bei uns genauso ab wie beim Pfandleiher: Die Rückzahlung des Darlehens erfolgt am Ende der Laufzeit. Die kann auch verlängert werden - vorausgesetzt, der Kunde zahlt pünktlich seine Zinsen.

Was kostet Ihr Service?

Fix ist hier nur, dass wir die Sachwerte meistens mit 50 Prozent ihres Marktwerts beleihen und unsere Verträge im Schnitt 24 Monate laufen. Sonst gibt es auch hier kein starres Gerüst. Vielleicht müssen Gutachter oder andere Experten aus dem Ausland kommen. Oder die Objekte brauchen spezifische Lagerung oder eine spezielle Versicherung. Jeder Fall ist anders und jede Finanzierung wird individuell verhandelt.