Noch zur Jahreswende schien die Finanzwelt wenig Lust auf das jährliche Top-Event der Healthcare-Investoren, die JP-Morgan-Konferenz in San Francisco, zu verspüren. Zu teuer, zu voll, zu schlechtes Wetter, schimpften Banker, denen der Einbruch der Biotechaktien in den vergangenen Monaten die Laune wohl kräftig verhagelt hatte.
Zwei Übernahmeankündigungen und ein paar gute Studiendaten später schmeckt der Kaffee, für den das Hotel Parc 55 drei Blocks von der eigentlichen Konferenz entfernt stolze 21 Dollar pro Becher kassiert, offenbar doch wieder ganz gut. Seit Weihnachten hat der Branchenindex Nasdaq Biotech um 21 Prozent zugelegt. Die Ankündigung des Pharmariesen Bristol-Myers Squibb, für rund 74 Milliarden Dollar mit Celgene einen der größten und etabliertesten Biotechkonzerne übernehmen zu wollen, hat zusammen mit Eli Lillys Achtmilliardenkauf von Loxo Oncology die M & A-Fantasie im Sektor wieder voll entfacht.
Branchenkenner glauben zwar nicht unbedingt an überdurchschnittlich viele Übernahmen, doch könnten die gesunkenen Bewertungen viele Firmen dazu bewegen, einen Kauf eher früher als später im Jahr einzutüten, was dem Sektor weiteren Rückenwind an den Börsen verleihen könnte.
Aus den gleichen Gründen wie Konzerne mit gut gefüllten Kassen sehen auch Investoren Einstiegschancen: "Die Bewertung von Biotechunternehmen ist im Hinblick auf ihr Wachstum aktuell wirklich niedrig", sagt Mina Marmor, Portfoliomanagerin des Fonds Sectoral Biotech Opportunities. "Dazu kommt: Die Geschäftsmodelle sind solide und die Nachfrage nach innovativen Medikamenten ungebrochen."
Keine Konjunkturabhängigkeit
Auch die äußeren Rahmenbedingungen stimmen. Hier sind die USA maßgebend, mit wenig Regulierung sind sie für Medikamentenhersteller der größte und lukrativste Markt. Die wiederholten Drohungen von Präsident Trump, gegen hohe Arzneimittelpreise vorzugehen, haben bislang keine tiefgreifenden Folgen gehabt. "In der Praxis sehen wir eher eine Politik der kleinen Schritte mit vorsichtigen Änderungen. Richtige Innovationen werden weiterhin belohnt", beobachtet Rudi Van den Eynde, Manager des Candriam Biotechnology Fonds. "Ansonsten muss sich der Healthcare-Sektor über das gesamtwirtschaftliche Umfeld keine großen Sorgen machen."
Den defensiven, konjunkturunabhängigen Charakter der Branche spielen eine Handvoll Pharmawerte schon seit Mitte des vergangenen Jahres aus. Titel wie Pfizer, Merck & Co., Glaxosmithkline oder AstraZeneca beendeten das Jahr 2018 deutlich im Plus. Nicht immer stand dabei die reine Risikoaversion der Anleger im Vordergrund. Einigen Konzernen, zum Beispiel Merck & Co. und AstraZeneca, stehen fette Jahre bevor. Die amerikanische Merck (seit dem Ersten Weltkrieg unabhängig vom gleichnamigen Unternehmen in Darmstadt) hat sich dank hervorragender Daten mit dem Krebsmedikament Keytruda an die Spitze des Wachstumsmarkts Immunonkologie gesetzt. Der Pharmariese dürfte im laufenden und in den kommenden Jahren kräftig wachsen, mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15,8 für 2019 ist die Aktie dennoch recht günstig.
Noch bessere Bewertungskennziffern bietet AstraZeneca. Dank vieler neuer Medikamente im Produktportfolio, die nicht von Patentabläufen gefährdet sind, liegt das schwedisch-britische Unternehmen in der Gruppe der großen Pharmakonzerne sowohl beim Umsatz- als auch beim Gewinnwachstum in den kommenden Jahren ganz vorn. AstraZeneca verfügt gleichzeitig über eines der besten PEG-Ratios (KGV im Verhältnis zum Gewinnwachstum) im Sektor.
Enormes Gewinnpotenzial
Natürlich ist ein Investment in Biotechunternehmen deutlich riskanter, da es sich dabei in der Regel um Firmen handelt, die noch mehr oder weniger weit davon entfernt sind, Geld zu verdienen. Ein Fehlschlag in der Forschung kann deshalb heftige Kursverluste nach sich ziehen. Umgekehrt bieten Erfolgsnachrichten ein überproportional hohes Gewinnpotenzial. So stieg zum Beispiel vergangene Woche der Aktienkurs von Sage Therapeutics innerhalb eines Tages um 43 Prozent, weil die für die Marktzulassung entscheidende Studie eines Medikaments gegen postpartale Depressionen sehr positiv ausfiel. Hier passte alles zusammen: Das Produkt hat einen völlig neuen Wirkmechanismus und ein Einsatzgebiet, in dem vielen Betroffenen die bisher verfügbaren Medikamente nicht helfen.
Damit ist Sage ein typisches Beispiel für die Sorte Innovation, die sich für Patienten, Hersteller und Investoren lohnt. "Krebsmedizin, seltene Krankheiten und zunehmend auch Erkrankungen des Zentralnervensystems sind Bereiche, wo man besonders viele dieser Innovationen findet", sagt Mina Marmor von Sectoral Asset Management.
In der Onkologie sind nach wie vor neue Ansätze für Immuntherapie gefragt. Dabei wird das Immunsystem aktiviert, Tumorzellen zu bekämpfen - ein Feld, auf dem beispielsweise auch die Münchner Medigene aktiv ist.
Bei seltenen Erkrankungen haben zielgerichtete Medikamente häufig eine besonders weitreichende Wirkung: Sie können Patienten ein vergleichsweise normales Leben ermöglichen oder die Krankheit mit Gentherapien mitunter sogar heilen. Da es keine großen Patientenzahlen gibt, können Hersteller in diesem Bereich in der Regel hohe Preise durchsetzen. Alnylam hat eine außergewöhnlich breite Pipeline solcher Produkte kurz vor der Zulassung. In der Investor-Info links stellen wir die US-Firma näher vor.
Investor-Info
Astrazeneca
Auf der Erfolgswelle
Vor fünf Jahren wehrte AstraZeneca erfolgreich eine Übernahme durch Pfizer ab: Astra- Chef Pascal Soriot überzeugte damals mit einem Ausblick auf eine "Perlenkette" von Medikamenten in der Entwicklung. Jetzt sind diese Produkte auf dem Markt und werden dem Unternehmen in den kommenden drei Jahren im Durchschnitt ein deutlich höheres Umsatz- und Gewinnwachstum bescheren als allen anderen großen Pharmakonzernen. Gutes defensives Basisinvestment.
Alnylam
Vor dem Durchbruch
Alnylam ist ein Pionier der RNA-Interferenz. Diese Technologie kann aktive Gene mit kleinen Nukleinsäureschnipseln stilllegen. Alnylams erstes Medikament wurde im August 2018 gegen ATTR-Amyloidose zugelassen. Die Markteinführung verlief jedoch langsamer als von Investoren erwartet, was zu Kursverlusten führte. Inzwischen hat sich der Umsatz deutlich verbessert. Drei weitere Produkte befinden sich in der letzten klinischen Testphase und könnten bis 2021 zugelassen werden. Anleger mit Mut zum Risiko greifen zu.
Andere Investments
Bessere Risikodiversifizierung
Investments in Biotecheinzelwerte sind riskant. Die Titel schwanken stark, oft aufgrund schwer zu verstehender Forschungsergebnisse. Anleger können jedoch in Aktienkörbe investieren, um Risiken zu begrenzen. Gerade für kurze Anlagezeiträume eignet sich der iShares-ETF auf den Nasdaq Biotech Index (ISIN: IE 00B YXG 2H3 9), der alle 224 an der US-Technologiebörse notierten Firmen abbildet. Aktiv gemanagte Portfolios haben jedoch ein besseres Risiko-Rendite-Verhältnis. Der Candriam Biotechnology LU 010 845 904 0 zählt über drei, fünf und zehn Jahre zu den besten Biotechfonds. Er enthält im Vergleich zur ebenfalls sehr erfolgreichen Beteiligungsgesellschaft BB Biotech (CH 003 838 999 2) mehr große, profitable Firmen.