Jenseits der Oder ist man guter Dinge: Polens Wirtschaftskraft wird wohl schon im laufenden Jahr auf oder über dem Niveau von 2019 liegen. Das gelingt nur wenigen Ländern weltweit. Hauptgrund dafür ist, dass die polnische Wirtschaft im Corona-Jahr 2020 nur um 2,7 Prozent schrumpfte. Und das wiederum liegt daran, dass das Land über eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur verfügt und die Unternehmen dank großzügiger Unterstützung seitens der Politik gut durch die Krise kamen. Gerade die industrielle Produktion und die Exportwirtschaft haben sich ausgesprochen gut gehalten.
Da die erste Corona-Welle schwächer ausfiel, war auch der Lockdown kürzer, und die Regierung musste die Wirtschaft nicht so stark herunterfahren wie die meisten der westlich gelegenen EU-Staaten. Zudem ist das Land nicht so abhängig vom Tourismussektor. Daher wächst die Wirtschaft weiterhin dynamisch: Im laufenden Jahr soll es um 3,5 Prozent nach oben gehen, und Experten gehen davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2022 gar um 4,5 bis 4,8 Prozent steigt.
Polen bringt gute Rahmenbedingungen mit: Bis heute gibt es Vorteile bei den Arbeitskosten und der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte. Das lockt Unternehmen aus dem Ausland an. Passend dazu hat Polens Premier Mateusz Morawiecki deutschen Unternehmen gerade wieder die gleichfalls attraktiven Steuervorteile schmackhaft gemacht. Allerdings erreicht dies langsam, aber sicher seine Grenzen: Die Arbeitslosigkeit liegt bei nur drei Prozent, und manche Branchen befürchten einen baldigen Fachkräftemangel.
Gut verzahnt
Das Land ist großer Profiteur der EU-Erweiterung nach Osten: Polen ist Teil des riesigen europäischen Binnenmarkts mit den einheitlichen EU-Regularien und einfacher Handelsabwicklung. Das ist gut zu sehen an Branchen wie der Autoindustrie, wo praktisch alle großen europäischen Hersteller mit dem östlichen Nachbarn verzahnt sind. Und auch bei neuen Technologien wie etwa Fertigung und Recycling von Batterien spielt das Land eine immer wichtigere Rolle.
Mit Deutschland ist es besonders stark verbunden. Polen ist nach China und den Niederlanden zum drittgrößten Lieferanten aufgestiegen - noch vor den USA. Und zusammen mit den drei anderen Visegrád-Staaten Tschechien, Ungarn und Slowakei treibt man mehr Handel mit Deutschland als China oder die USA.
"Die Wachstumsstory im Osten bleibt intakt", sagt Odile Renaud-Basso, die Präsidentin der Osteuropaförderbank EBRD. Besonders bemerkenswert ist, dass die starke Konjunktur und der robuste Arbeitsmarkt ohne nennenswerte staatliche Kreditaufnahmen zustande kommen: In Polen liegt die Staatsverschuldung gerade mal bei 50 Prozent, in der Eurozone sind es aggregiert 102 Prozent der Wirtschaftsleistung, also mehr als doppelt so viel und fast 15 Punkte mehr als noch im Jahr 2018.
Entscheidend dafür ist auch die marktorientierte Wirtschaftspolitik der Regierung in Warschau. Dafür gibt es viel Unterstützung aus der Europäischen Union: Polen gehört zu jenen Ländern, die in der Vergangenheit mit die höchsten Milliardensummen aus den europäischen Fördertöpfen erhalten haben. Auch aus dem EU-Wiederaufbaufonds fließt Geld: Warschau soll 38 Milliarden Euro als Zuschüsse erhalten und 24 Milliarden als Kredite. Zusätzlich zu den weiterhin hohen Agrar- und Strukturfördergeldern.
Das spiegelt sich sowohl in den privaten Haushalten als auch bei den Unternehmen wider: Konsum und Investitionen legten im ersten Quartal 2021 im Vergleich zum Vorquartal um 15,4 Prozent zu.
Im Aufwind
Dass es Polen gut geht, ist auch an der Börse zu sehen. Der WIG 20, der Leitindex der Börse Warschau, hängte vor allem in den zurückliegenden drei bis vier Monaten andere Indizes in Europa, etwa den DAX, deutlich ab. In den Jahren davor war das noch anders, da spielte der Index noch eher eine Nebenrolle und hinkte hinterher.
Dominierend an der Börse sind Finanzwerte, die etwa ein Drittel des Index ausmachen. Dazu kommen drei Konzerne aus dem Bereich Energie, Rohstoffe und Versorger. Mit der Modemarke LPP und der Supermarktkette Dino Polska sind auch zwei Konsumwerte vertreten. Größter Einzelwert ist indes - mit großem Abstand - Allegro. Das Unternehmen hat im Oktober vergangenen Jahres mit einem Volumen von rund zwei Milliarden Euro den bis dato größten europäischen IPO des Jahres 2020 hingelegt. 1999 als Online-Auktionshaus gegründet ist das Unternehmen heute ein echter E-Commerce-Allrounder. Allegro deckt den klassischen Internethandel genauso ab wie Preisvergleiche, Ticketing oder digitales Bezahlen. Im Corona-Lockdown boomte das Geschäft mehr denn je. Allegro sieht im Megatrend Fintech große Chancen.
Interessant ist auch der Bergbaukonzern KGHM. Das Unternehmen ist im Kupfer- und Silberbergbau in Polen tätig. Daneben betreibt es in Kanada, den USA und Chile etliche Kupfer-, Nickel-, Molybdän- und Goldminen. KGHM rangiert an sechster Stelle der weltweit größten Kupferproduzenten und auf Rang 2 bei den Silberproduzenten. Die Polen profitieren vom zunehmenden Bedarf an Kupfer, da weder moderne Gebäude noch Elektroautos und Windparks oder Photovoltaikpaneele inzwischen ohne den Rohstoff auskommen.
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