Wer hätte das gedacht? Als vor gut zwei Jahren die nationalkonservative Gerechtigkeitspartei (PiS) die Regierung in Polen übernahm, läuteten bei Börsianern die Alarmglocken. Denn die Partei ist nicht gerade für ihre Unternehmerfreundlichkeit bekannt. So hat sie Sondersteuern für ausländisch dominierte Branchen wie Banken und Supermärkte eingeführt. Weiterhin ließ die Anti-EU-Politik des Parteichefs Jarosław Kaczyński anfangs die Finanzmärkte erzittern.

Alles Schnee von gestern - zumindest aus Sicht von Börsianern. Polens politischer Kurs scheint die Investoren heute kaum zu interessieren. Der Leitindex WIG 20 klettert wie an der Schnur gezogen nach oben. Für die zurückliegenden zwölf Monate steht ein sattes Plus von 37 Prozent zu Buche.

Dafür gibt es fundamentale Gründe: 2016 wuchs die Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr um 2,8 Prozent. In diesem Jahr sollen es laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sogar 3,8 Prozent werden. Das Auswärtige Amt bestätigt die Substanz des Aufschwungs: Das Wachstum werde getragen durch eine wirtschaftliche Politik, fiskalpolitische Stabilität, ein flexibles Arbeitsrecht, durch die konsequente Nutzung von EU-Fördermitteln für den Ausbau der Infrastruktur und durch umfangreiche ausländische Direktinvestitionen. Ein Grund für die vorzüglich laufende Konjunktur sind internationale Konzerne wie Volkswagen, Toyota, Samsung und Intel sowie große Finanz-institute wie UBS und Credit Suisse, die es in das aufstrebende Schwellenland zieht.

Sie finden in Sonderwirtschaftszonen, die ihnen steuerliche Vorteile bieten, attraktive Investitionsanreize. Im Zuge des Aufschwungs stiegen auch die Bewertungen der Ratingagenturen. Im Dezember 2016 hob Standard & Poor’s den Ausblick für Polen von "negativ" auf "stabil" an. Im Mai 2017 stufte Moody’s die Bonitätsnote hoch. Die ökonomische Erfolgsgeschichte von Polen hängt nicht zuletzt mit den guten Wirtschaftsbeziehungen mit der Europäischen Union (EU) zusammen. Der Export konzentriert sich zu 80 Prozent auf EU-Länder, beim Import sind es 60 Prozent. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner von Polen.

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Irritationen seitens der Politik



Beste Voraussetzungen für eine weitere Befeuerung des Börsenbooms - freie Bahn also für weiter steigende Märkte? Nicht unbedingt. So sorgt die von der Regierung eingeleitete Justizreform im Ausland für Argwohn. Der polnische Justizminister darf jetzt ohne Grund Richter entlassen oder austauschen. Kritiker warnen davor, dass die Regierung die Gewaltenteilung abschaffen könnte. Auch wenn fragwürdige Maßnahmen der polnischen Führung immer wieder für Irritationen sorgen sollten: Der wirtschaftliche Boom dürfte sich so schnell nicht aufhalten lassen.

Wer dem polnischen Aktienmarkt Aufwärtspotenzial zutraut, kann beispielsweise mit Indexfonds (ETFs) auf den WIG 20 oder den MSCI Poland und damit auf den Markt setzen und somit eins zu eins an der künftigen Entwicklung der Indizes teilhaben. Zu den aktuellen Schwergewichten bei beiden zählen PKN Orlen (Öl und Gas), PKO Bank (Finanzen) und PZU (Versicherungen). Die Gewichtung zeigt: Am polnischen Aktienmarkt dominieren klar Finanz- und Versorgerwerte.

PZU ist der größte Versicherungsanbieter des Landes. Die Aktie stieg in den vergangenen zwölf Monaten um über 70 Prozent. Ob PZU künftig erfolgreich sein wird, hängt auch davon ab, wie sich der Konzern im Hinblick auf die Digitalisierung aufstellt. Laut Raiffeisen Bank sind hohe Investitionen erforderlich. Künftig werde es im Finanzdienstleistungsbereich Konsolidierungen geben, PZU dürfte dafür aufgrund seiner Größe gut gerüstet sein. Ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig ist der Bergbau. Polen verfügt über Bodenschätze wie Gold, Silber, Kupfer, Erdgas und Kohle. Der polnische Minenkonzern KGHM baut vor allem Kupfer, Silber, Gold, Blei und Steinsalz ab. Mit einer Jahresförderung von über 1200 Tonnen ist das Unternehmen der bedeutendste Silberproduzent der EU und weltweit die Nummer 3. Die steigenden Rohstoffpreise gaben ihm zuletzt Auftrieb - mit entsprechender Performance am Aktienmarkt: In den vergangenen zwölf Monaten legte der Kurs um mehr als 50 Prozent zu. Dennoch ist das Papier mit einem Kurs-Gewinn--Verhältnis (KGV) von 10,2 für 2017 immer noch günstig bewertet.



Ein wesentlicher Wachstumstreiber des Geschäfts sind derzeit Industriemetalle, deren Preise angesichts der weltweit anziehenden Konjunktur deutlich gestiegen sind. Wermutstropfen ist die Abwertung des US-Dollars, der den Preis der in der US-Währung notierten Rohstoffe drückt. Für Anleger heißt das aber auch: Sollte es künftig mit dem Greenback wieder nach oben gehen, könnte dies die Aktie des polnischen Minenkonzerns beflügeln.

Nicht nur Finanzen und Versorger

Für Marktbeobachter steht außerdem immer mehr die wachsende polnische IT-Industrie im Fokus. Die Unternehmensgruppe Asseco Poland zählt zu den größten Software-Unternehmen des Landes. Sie entwickelte IT-Lösungen für Unternehmen, speziell für die Finanzbranche. Etwa die Hälfte aller Banken in Polen verwendet die Software. Auch Unternehmen aus der Versicherungsbranche und Verkehrsgesellschaften sowie Regierungsbehörden greifen auf die IT-Produkte von Asseco zurück. Im Gegensatz zu den Topbranchen des Landes gab es zuletzt am Aktienmarkt allerdings keine klare Aufwärtstendenz. Der Aktienkurs des Papiers befand sich in den jüngsten Monaten auf einer Seitwärtsbewegung.





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