Dennoch greifen Privatanleger nur vereinzelt bei Börsengängen zu. Das hat nicht nur mit mangelndem Interesse oder Risikoscheu zu tun. Vielfach bekommen Privatanleger gar keine Chance zuzuschlagen.
Mit Siltronic hat an diesem Donnerstag das zehnte Unternehmen im laufenden Jahr den Schritt aufs Parkett der Deutschen Börse gewagt. Bei der Tochter von Wacker Chemie, die sogenannte Wafer für die Halbleiter-Industrie herstellt, dürften wohl erneut fast nur institutionelle Anleger zugegriffen haben. Sie konnten sich gleich zu Handelsbeginn über ein Kursplus von 5 Prozent freuen.
"Die Ampel für Börsengänge steht auf grün und das Interesse der Unternehmen oder Finanzinvestoren hat zugenommen, aber Privatanleger spielen dabei leider nur eine verschwindend geringe Rolle", sagt Martin Steinbach, Leiter des Bereichs IPO und Listing Services bei Ernst & Young.
Ein Blick in die Statistik der Deutschen Börse zeigt etwa, dass viele Unternehmen ihre Aktien lieber in einem Block an institutionelle Investoren verkaufen statt sie in einem aufwendigen Verfahren unter den Anlegern zu verteilen - das sorgt für mehr Planungssicherheit beim Börsengang. Kleinanleger bleiben hier von vornherein außen vor.
Den Weg einer solchen Privatplatzierung sind etwa der Autoscheinwerfer-Hersteller Hella oder der Spezialchemie-Konzern Evonic gegangen. "Privatanleger werden kaum noch angesprochen", sagt Norbert Kuhn, Leiter Unternehmensfinanzierung beim Deutschen Aktieninstitut (DAI).
Zu Zeiten des Neuen Markts um die Jahrtausendwende hatten Firmen sich noch explizit an Privatanleger gewandt. Wer erinnert sich nicht an die Fernsehspots mit Manfred Krug und seiner T-Aktie? Die herbe Ernüchterung kam, als die Dotcom-Blase platzte und Otto Normalbürger ein Vermögen verlor. "Die Risikoscheu in Deutschland ist insgesamt schon ausgeprägt, aber die Erfahrungen aus dem Neuen Markt haben das noch verfestigt", sagt Kuhn. Die Finanzmarktkrise im Jahr 2007/08 trug ihr Übriges dazu bei.
Seither ging es am Aktienmarkt zwar wieder steil bergauf, doch die wenigen Kleinanleger, die sich noch für Börsengänge interessieren, sind zunehmend auf sich allein gestellt. "Privatanleger sind gezwungen, sich selbst zu informieren", sagt Experte Steinbach von Ernst & Young. Da Banken ihre Kunden nicht mehr darauf aufmerksam machten und in den Zeitungen über einen Börsengang oft erst zum Zeitpunkt des Ereignisses berichtet werde, "erfahren sie meist nicht rechtzeitig von den Zeichnungsfristen". Anders ausgedrückt: Privatanleger verschlafen Börsengänge.
Eine Hauptursache dafür sind laut Steinbach und Kuhn die deutlich gestiegenen regulatorischen Anforderungen an die Aktienberatung von Banken, die sich daher zunehmend aus diesem Bereich zurückgezogen hätten. "Das Geld ist zwar da, aber da die Beraterhaftung am Bankschalter immer umfangreicher geworden ist und für Börsengänge auch keine Werbung mehr gemacht wird, bleibt der Normalbürger außen vor", sagt Steinbach.
Hinzu komme, dass die Leserfreundlichkeit der Wertpapierprospekte zu wünschen übrig lasse. "Früher gab es wenigstens noch eine Art Beipackzettel dazu, der in allgemeinverständlicher Sprache verfasst war. Nun gibt es nur noch den Wertpapierprospekt, und das ist reine Fachsprache."
Deutsche Privatanleger sind laut der Deutschen Börse in der Regel mit weniger als einem Prozent an Börsengängen beteiligt. Das dürfte auch beim Börsengang von Siltronic kaum anders sein. "Dabei könnte die Siltronic-Aktie durchaus auch interessant für den einen oder anderen Privatanleger sein", glaubt Portfoliomanager Stefan de Schutter von Alpha Wertpapierhandel. "Allerdings ist so eine Aktie nichts, was man sich über Jahre ins Depot legen sollte, denn das Geschäft mit Wafern für Mobiltelefon-und Tabletchips ist extrem zyklisch."
dpa