BOERSE-ONLINE.de: Automobilkonzerne und -zulieferer leiden unter der schwächelnden Konjunktur der Branche. Der Dax-Konzern Continental erwartet beispielsweise für das nächste Jahr im besten Fall eine Seitwärtsbewegung, äußerte Finanzvorstand Wolfgang Schäfer, gegenüber dem "Spiegel". Wie schätzen Sie die Lage für 2020 ein?
Ferdinand Dudenhöffer: Weltweit rechnen wir für das Jahr 2020 mit einem weiteren, wenn auch leichten Rückgang der Pkw-Nachfrage um 1,1 Prozent auf 78 Millionen Fahrzeuge gegenüber erwarteten 78,8 Millionen im Jahr 2019. Die positive Botschaft lautet, dass wir die Talsohle in 2020 erreichen und ab Mitte des Jahres wieder "besseres" Wetter aufzieht. Die Zollkriege des US-Präsidenten Donald Trump waren einer der wichtigsten Ursachen, warum der weltgrößte Automarkt China tief in die Rezession rutschte. Die Stimmung im Jahr 2020 bleibt sehr angespannt bei Autobauern und Zulieferer, auch weil die ersten Umrüstungen in die Elektromobilität erfolgen … und auch das wird erheblich Investitionen und Jobabbau bedeuten.

Auch in der Produktion stehen die Zeichen schwächer. Stefan Hartung, Chef der Mobilitätssparte von Deutschlands größtem Automobilzulieferer Bosch, hat Zweifel, dass sich der Automarkt in den kommenden Jahren bessern könnte. Er gab an, dass das Unternehmen eher davon ausgeht, dass die Automobilproduktion bis 2025 nicht wächst. Wo sehen Sie die Produktion in fünf Jahren?
Das sehen wir anders als Herr Hartung. Nachdem im Jahr 2020 die Talsohle erreicht ist, gehen wir vom neuen Wachstum in Asien und China aus, so dass um das Jahr 2025 zehn Millionen Pkw-Neuwagen weltweit mehr verkauft werden als im Jahr 2020, sprich dann 88,1 Millionen Pkw wie die Abbildung unten zeigt.

Welche Chancen haben Automobilkonzerne und -Zulieferer, darauf zu reagieren?
Flexibilität ist einer der ganz wichtigen Key Success Factors. Unternehmen wie BMW haben das in ihrer DNA. Viel wichtiger wie die konjunkturelle Anpassung ist die strukturelle, sprich der Umstieg auf Elektromobilität. Da werden einige auf der Strecke bleiben. Auch bei den Beschäftigten wird das einen großen Einbruch geben. Wir gehen davon aus, dass in Deutschland bis zum Jahr 2030 von den mehr als 800.000 gut 250.000 wegfallen. Davon werden 125.000 durch neue Aufgaben wieder beschäftigt werden können, aber 125.000 fallen ganz raus.

Im September 2015 nahm der Dieselskandal im VW-Konzern seinen Anfang. Die Branche leidet weiterhin darunter und auch der Imageschaden ist noch immer immens. Wie können Automobilkonzerne das Vertrauen der Kunden zurückbekommen?
Vertrauen verlieren kann man in Sekunden. Vertrauen gewinnen dauert Jahre. Dazu braucht es Offenheit, Ehrlichkeit, den Neuanfang und keine Marketing-Sprüche. Ich denke, der VW-Weg unter seinem neuen Chef Herbert Diess ist richtig. Er steigt aus dem Verbrennungsmotor aus und geht zielstrebig in die vollelektrischen Fahrzeuge. Das sind nicht nur irgendwelche seichten Worte, sondern nachprüfbar und äußerst konsequente Maßnahmen, die zeigen, dass man nach dem größten Betrugs-Skandal in der Autogeschichte einen Neuanfang macht.

Beschleunigt die angekündigte Fusion von FiatChrysler und Peugeot den Konsolidierungsprozess unter den großen Autobauern?
Die Geschichte von der Konsolidierung erzählen die Unternehmensberater schon seit 50 Jahren. Und dann kam plötzlich China. Es sind wieder mehr Autobauer geworden als etwa 1990 oder 2000 im Markt waren. Damals sind schon die Sprüche gemacht worden, es bleiben 5 oder 8 übrig. Klar wird es immer wieder Zusammenschlüsse und Kooperationen geben. Die hohen Investitionen in die Elektromobilität brauchen Scales und da ist man schnell bei Fusionen. Aber dran denken, Ferrari ist der profitabelste Autobauer und hat keine Fusion hinter sich, Tesla ist völlig neu gekommen und wird eine der wichtigen Premiummarken weltweit, BMW wurde in den 80-iger Jahren immer als zu klein eingestuft, dann hat man Rover übernommen und ist fast daran zugrunde gegangen…. Und heute: BMW ist profitabler denn je.
Also Kooperationen sind sicher wichtig, Fusionen können erfolgreich sein, aber viele sind gescheitert. Lassen Sie die Berater die Geschichten von der Konzentration weiter erzählen und schauen Sie sich in Ruhe die erfolgreichen Unternehmen an. Ich bin überzeugt, dass es nicht nur Scales sind, die das Geschäft treiben. Flexibilität, Innovationskraft, emotionale Produkte sind oft wichtiger.

Welche Automobilkonzerne sind als nächstes dran?
Ford hat bereits eine Kooperation mit VW, Mazda und Honda sind Kandidaten für neue Allianzen oder Mergers, BMW könnte sich stärker mit dem Chinesen Great Wall zusammentun, Daimler dürfte mit Geely und BAIC weiter zusammengehen. Ob jetzt wirklich noch die großen Mergers kommen? Warten wir mal ab. Die Geschichte Autoindustrie ist voll mit Mergers und Übernahmen, die sich als wenig erfolgreich gezeigt haben. Beispiele sind etwa Daimler-Chrysler, Ford-Volvo-JaguarLandrover-Aston Martin, GM-Saab-Daewoo, VW-Suzuki und die früheren Versuche von GM-Fiat. Also Übernahmen oder Aufkäufe müssen nicht zum Erfolgsmodell werden. Daher sollte man vorsichtig sein, jetzt die große Übernahmewelle vorherzusagen. Das hatten wurde in der Vergangenheit, etwa um die Zeit der Daimler-Chrysler Fusion schon öfter orakelt.
Also es gibt die Veränderungen in der Branche. Aber Fusionen sind nicht das Allheilmittel.

Was bedeutet das für die großen deutschen Autohersteller wie BMW, Daimler oder Volkswagen?
Volkswagen hat beste Chance Weltmarktführer in E-Autos zu werden und seine Marktführerschaft auszubauen. Toyota hat das E-Auto verschlafen und wird nach meiner Einschätzung in den nächsten Jahren eher hinterherlaufen. Daimler wird mit der Zusammenarbeit mit Geely und BAIC seine Stärken ausbauen und bei BMW müssen wir schauen wie es in der Zusammenarbeit mit Great Wall weitergeht. In China findet das Rennen statt. China entscheidet über den Erfolg der Autobauer,… und um China entstehen neue, wichtige Märkte. Einer davon ist Vietnam.
Die deutschen Autobauer sind heute besser positioniert als es mancher Analyst sieht.

In Zeiten der Fridays for Future-Bewegung scheinen immer mehr Deutsche auf das private Auto verzichten zu wollen. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Das Gegenteil ist der Fall. Schauen Sie die beiden Charts aus unserem Institut an. Noch nie gab es eine so große Vorliebe der Deutschen für Autos.

Auf 1000 Deutsche - einschließlich Babys und alte Menschen - kommen 56.7 Pkw. Greta hilft uns zum Nachdenken. Das ist gut, aber Greta wird weder die Flieger vom Himmel kriegen noch die Autos von den Leuten. Wichtig ist mit moderner Technologie den "neuen" Flieger, das "neue" Auto zu machen. Und unsere Ingenieure - mit Hilfe von Elon Musk - können das.

Wie kann die Automobilindustrie dem gegensteuern?
Wir müssen das "neue" Auto auf die Straße bringen. Je schneller wir in den vollelektrischen Autos unterwegs sind, umso besser ist unsere Klimabilanz - vorausgesetzt unser Strom ist sauber.

Elektromobilität sollte eine mögliche Lösung sein. Bisher werden die Fahrzeuge jedoch nicht so gut angenommen, wie erhofft. Woran liegt das?
Wenn man in Berlin beabsichtigt, die Tonne CO2 in zwei Jahren mit zehn Euro zu besteuern, bleibt alles wie es ist. Wenn wir wirklich umsteuern wollen, brauchen wir eine echte CO2-Steuer. Wenn man dann noch die Pendlerpauschale erhöht, ist das fast schon schizophren. Wasser predigen und Wein trinken ist unehrlich. Immer nur von der Industrie Anstrengungen einfordern und in der Politik versagen, löst halt die Probleme nicht. Wenn man Dieselpreis und Benzinpreis so lässt wie er ist, muss sich nicht wundern, wenn die Menschen das E-Auto in der Ecke stehen lassen.

Aufgrund der aufwändigen Herstellung und der umstrittenen Batterien werden Elektro-Autos oft als größere Umweltsünde als herkömmliche Autos beschrieben. Was entgegnen Sie dieser Aussage?
Das war in der Vergangenheit so. Die deutschen Autobauer haben sich verpflichtet ausschließlich Batteriezellen zu kaufen, die CO2-neutral sind, also nicht mit Kohlestrom in Polen produziert werden. Zusätzlich gibt es klare Zertifizierungen für den Abbau der Rohstoffe wie Lithium, Kobalt, Nickel. Außerdem werden die seltenen Erden ersetzt, zusätzlich gehen wir langsam in das Recycling. Also die Batterie-Welt bleibt nicht stehen. Sie wurde erst aus der Taufe gehoben und fängt jetzt langsam an zu laufen.