Endlich wieder shoppen! Nach drei Monaten öffneten in der Londoner Innenstadt auch jene Läden, die keine lebensnotwendigen Produkte verkaufen. Rund 400 Kunden drängelten sich allein vor der Tür des Sportartikelriesen Nike. Weil nur zehn Personen gleichzeitig reindurften, musste draußen die Polizei für Ordnung sorgen.

In Deutschland hält sich der Enthusiasmus der Konsumenten dagegen in Grenzen. Das Konsumentenklima hat sich im Juni zwar leicht verbessert, liegt aber weiterhin deutlich unter Normalniveau. Das hat Folgen: Über ein Drittel der Nichtlebensmittelhändler sieht wegen der durch die Corona-Krise massiv gesunkenen Umsätze seine Existenz bedroht, ermittelte eine Umfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE).

Schwung soll das Konjunkturpaket der Bundesregierung bringen. Ein zentraler Punkt ist die Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozentpunkte. Sechs Monate soll der Abschlag gelten, ab Juli geht es los. Zusätzlich kassieren Eltern einmalig ein Extra von 300 Euro für jedes Kind. Auf einen "positiven Impuls" hofft der HDE.

Volkswirte sind verhalten optimistisch: "Die Mehrwertsteuersenkung wird voraussichtlich bewirken, dass Käufe langlebiger Konsumgüter wie Autos oder Haushaltsgeräte vorgezogen werden. Studien zu temporären Mehrwertsteuersenkungen in der Vergangenheit sprechen dafür, dass die Steuersenkung allenfalls teilweise an die Konsumenten weitergegeben wird", erklärt Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts. Die Deutsche Bank kalkuliert, dass Mehrwertsteuersenkung plus Kinderbonus die Kaufkraft der privaten Haushalte um bis zu 25 Milliarden Euro erhöht. Insbesondere Unternehmen aus zyklischen Sektoren würden davon profitieren.

Zusätzliche Anreize

Wie groß die Wirkung wird, hängt stark davon ab, was die Unternehmen daraus machen: "Drei Prozent weniger klingt nicht spektakulär. Konsumenten sind höhere Rabatte gewohnt. Die Erwartung ist, dass Händler die Senkung für zusätzliche Anreize nutzen. Wer große Warenmengen loswerden muss, könnte beispielsweise mit Rabatten in Höhe der kompletten Mehrwertsteuer werben", erwartet Volker Bosse, Handelsexperte der Baader Bank. Für die meisten DAX-Konzerne ist das Thema nur einen Nebenschauplatz, weil sie den größten Teil ihrer Geschäfte im Ausland machen. Adidas beispielsweise spielte zuletzt nur etwa sechs Prozent seines Umsatzes in Deutschland ein. China und die USA sind für Konzern und Aktie deutlich wichtiger.

Mehr steht für die Autobauer auf dem Spiel: BMW fuhr im vergangenen Jahr immerhin 13 Prozent des Umsatzes im Heimatmarkt ein, Daimler 15 Prozent. Autos sind zudem deutlich teurer als Turnschuhe, der Steuernachlass ist darum größer.

Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des CAR-Center, ist dennoch skeptisch: "In der Zeit hoher wirtschaftlicher Unsicherheit halten sich Käufer mit Ausgaben für höherwertige Produkte zurück. Diese Zurückhaltung kann man nur dann auflösen, wenn man echte Anreize im Markt platziert." Dudenhöffers Forderung: Auf alle Produkte, die mehr als 10.000 Euro kosten, die Mehrwertsteuer komplett aussetzen! Das allerdings würde ein tiefes Loch in die Staatskasse reißen, schließlich flossen über die Abgabe im vergangenen Jahr 183 Milliarden Euro in die Kasse.


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Die stärksten Auswirkungen dürfte die Steuersenkung bei Aktien aus den Nebenwerteindizes haben, weil viele der dortigen Unternehmen stärker auf den Binnenmarkt fokussiert sind als die DAX-Riesen. Das größte Potenzial dürfte Ceconomy haben. Der Handelskonzern ist mit seinen Elektromärkten Media Markt und Saturn ein Spezialist für knallige Rabattaktionen. Zugleich ist Deutschland mit einem Umsatzanteil von rund 50 Prozent ein für die Konzernbilanz wichtiger Posten.

Bei etwas mehr als der Hälfte liegt der Deutschland-Anteil der Baumarktkette Hornbach. Dort hat die Marketingabteilung besonders schnell gearbeitet: Bereits für den Juni, also einen Monat vorab, wird die Steuersenkung in den Preisen berücksichtigt. Der Andrang in den Baumärkten ist seit Wochen groß, weil Heimwerker in der Krise die eigene Wohnung und den Garten verschönern. Hornbach-Chef Erich Harsch: "Jeder Mensch reagiert anders. Drei Prozent sind für einige Menschen relevant, für andere nicht."

Der große Trend

Handelsexperte Bosse geht davon aus, dass der Effekt der Mehrwertsteuersenkung durch einen langfristigen Trend überlagert wird: "Die Zahl der Kunden liegt in vielen Läden noch immer 50 Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Wir gehen nicht davon aus, dass das alte Niveau kurzfristig wieder erreicht werden wird. Viele Konsumenten haben sich an den Einkauf im Internet gewöhnt. Darum wird ein starkes Onlinegeschäft für die Unternehmen immer wichtiger."

Dudenhöffer rechnet derweil schon mit dem nächsten Eingreifen der Bundesregierung: "Da die Mehrwertsteuerreduktion wenig Impulse bei Konsumenten auslöst, gehen wir davon aus, dass zu Ende des Jahres ein zweites, richtiges Konjunkturprogramm für Deutschland notwendig wird."
 


INVESTOR-INFO

Ceconomy

Comeback-Aktie

Die Handelskette gehörte zu den größten Verlierern des Lockdown. Nun sind die meisten Läden von Media Markt und Saturn wieder geöffnet. Die Nachfrage nach Elektrogeräten dürfte durch die Steuersenkung anziehen. Auch das Onlinegeschäft wächst, es machte zuletzt knapp ein Fünftel des Gesamtumsatzes aus. Analysten erwarten für das bis September laufende Geschäftsjahr rote Zahlen, dann eine Erholung. Die Aktie bleibt riskant, aber als Trade interessant.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 4,00 Euro
Stoppkurs: 2,45 Euro

Hornbach

Krisenfestung

Baumärkte gehören zu den Gewinnern der Corona-Krise. Denn: Wer viel Zeit in der eigenen Wohnung oder dem Garten verbringt, möchte es dort schön haben. Aggressive Rabattaktionen gehören in der Branche zum Handwerk. Hornbach kalkuliert, dass der bereinigte operative Gewinn in dem bis Ende Februar laufenden Geschäftsjahr leicht sinken wird. Das dürfte eine vorsichtige Prognose sein. Die Aktie hat weiterhin Potenzial.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 80,00 Euro
Stoppkurs: 49,00 Euro

Zalando

Onlinegewinner

Die schwedische Investmentfirma Kinnevik hat ihre Beteiligung am Berliner Modehändler um 4,4 Prozent reduziert, bleibt mit 21 Prozent jedoch Großaktionär. Das hat den Kurs etwas belastet, die Story aber ist intakt: Zalando ist klarer Profiteur der Digitalisierung des Handels. Für das laufende Quartal rechnet der Vorstand mit einer "signifikanten" Umsatz- und Ergebnissteigerung, die über den Markterwartungen liegt. Langfristanlage.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 75,00 Euro
Stoppkurs: 43,00 Euro