Die Erwartungen an Joe Biden sind hoch: Schafft es der US-Präsident im März, sein geplantes Konjunkturprogramm von 1,9 Billionen US-Dollar trotz der sehr knappen Mehrheit im Senat im Kongress durchzusetzen? Zuletzt haben seine Demokraten angekündigt, dass nicht nur Erwachsene, sondern plötzlich auch Kinder Stimulus-Schecks von jeweils 1400 Dollar bekommen sollen. Mit den Ausgaben würde die Wirtschaft kräftig angekurbelt, was die Inflation weiter anheizen würde und Inflationssorgen schürt.
Die Inflationsrate betrug im Januar zwar "nur" 1,4 Prozent, allerdings lag der Verbraucherpreisindex nach der Klettertour der vergangenen Monate zuletzt bei 262,2 Punkten und damit um 2,5 Prozent über dem Niveau vom Mai 2020 (siehe Chart Seite 42). Kein Wunder, dass viele Experten warnen, die Inflation könnte sich in den nächsten Monaten auf drei Prozent und mehr beschleunigen, zumal die Preise für viele Rohstoffe, darunter Öl, kräftig steigen. Über diesen "vorübergehenden Inflationsanstieg" will Fed-Chef Jay Powell allerdings hinwegsehen und weiterhin für 120 Milliarden Dollar netto pro Monat Staats- und Hypothekenanleihen kaufen.
Ein Umfeld steigender Inflationsraten bezeichnen Experten als Reflation. Gleichzeitig lässt Biden an einem Infrastrukturprogramm und an einem Programm zum Umbau der Energieversorgung arbeiten, die insgesamt mindestens drei Billionen Dollar kosten dürften. Das heizt die Inflationserwartungen kräftig an. Sie sind zuletzt auf mehr als zwei Prozent gestiegen, das höchste Niveau seit Dezember 2018. Daher sind die Zinsen für zehnjährige US-Anleihen auf 1,3 Prozent nach oben geschossen - der höchste Stand seit Ende Februar 2020 - und signalisieren damit eine Beschleunigung des Wachstums der US-Wirtschaft. Das würde auch die Weltwirtschaft ankurbeln. In einem Umfeld steigender Inflationsraten und steigender US-Zinsen setzen institutionelle Investoren auf den "Reflation Trade", seit einigen Monaten eines der Topthemen an der Börse: Sie setzen weltweit auf Value-Aktien und Zykliker, weshalb sich diese besser entwickeln als Growth-Aktien und Papiere aus defensiven Sektoren.
"Der Reflation Trade sollte mit den Impfkampagnen und dem massiven Fiskalprogramm der Biden-Regierung weiter Fahrt aufnehmen", sagte Esty Dwek, Chefstrategin bei Natixis. "Die Zinsen dürften weiter steigen, und die Aufholjagd zyklischer Sektoren sollte anhalten." Zykliker sind Unternehmen aus konjunkturabhängigen Sektoren wie Auto, Chemie, Halbleiter und Banken. Sie sind beispielsweise im MSCI USA Cyclical Sectors Index enthalten. Value-Aktien, wie jene aus dem S & P 500 Value Index, sind niedrig bewertete Papiere, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) oder Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV).
Beim KUV wird der Börsenwert durch den Umsatz dividiert, beim KBV durch das Eigenkapital. Der Gedanke dahinter: Value-Aktien bieten das größte Nachholpotenzial gegenüber anderen Titeln, insbesondere den hoch bewerteten. Hingegen hinken die Gegenspieler der Value-Aktien und Zykliker, also die Growth-Aktien und Titel aus defensiven Sektoren wie Gesundheit, Telekom, Konsumgüter oder Nahrungsmittel, hinterher.
JP Morgan profitiert vom Zinsanstieg
Umso größeren Rückenwind haben Aktien, wenn sie sowohl Value-Aktien als auch Zykliker sind. Das trifft auf die größte US-Bank, JP Morgan Chase, zu. Sie ist nicht nur eines der Schwergewichte im S & P 500 Value Index, sondern auch im MSCI USA Cyclical Sectors Index. So liegt das 2021er-KGV von JP Morgan bei 14, gegenüber 22,5 für den S & P 500. Zudem sollte das Institut von einer deutlichen Belebung der US-Wirtschaft und speziell vom Zinsanstieg profitieren.
Bei der Präsentation der 2020er-Rekordzahlen hat Vorstandschef Jamie Dimon - trotz des zeitweiligen Zinstiefs in vielen Bereichen - die Prognose für den Zinsüberschuss für 2021 auf 55,5 Milliarden Dollar angehoben, was einem Zuwachs um 500 Millionen gegenüber dem Vorjahr entspricht. Bei weiter steigenden Zinsen dürfte sich das allerdings als zu konservativ herausstellen, zumal das Hypothekengeschäft wegen der rekordniedrigen Zinsen weiter brummen dürfte. Zudem sollte das Investmentbanking florieren. Außerdem will der Konzern allein im laufenden Quartal 4,5 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe ausgeben. Wir stufen die Aktie hoch.
Ebenso wie JP Morgan hat auch der französische Ölmulti Total Investoren mit seinen Ergebnissen überzeugt. Die Aktie ist ein Zykliker par excellence, dem außerdem weiter steigende Ölpreise zugutekommen sollten. Nachdem die Notierung des Rohstoffs in den Tagen vor der Zahlenvorlage von Total am 9. Februar auf rund 60 Dollar je Barrel gestiegen war, gab sich Vorstandschef Patrick Pouyanné zuversichtlich. Bei diesen Preisen "erwirtschaften wir ausreichend Cashflow, um unsere Investitionen und die Dividende zu decken", sagte Pouyanné. Er treibt den Konzernumbau in Richtung erneuerbare Energien voran. 2021 sollen die Investitionen in erneuerbare Energien und Strom um rund 20 Prozent auf 2,4 Milliarden Dollar gesteigert werden.
Rio Tinto zahlt Sonderdividende
Ein Schwergewicht im europäischen Value-Index ist auch Rio Tinto, das KGV liegt bei lediglich 9,2. Der weltweit zweitgrößte Bergbaukonzern hat 2020 davon profitiert, dass die Eisenerzpreise um 70 Prozent nach oben geschossen sind, nachdem China die Wirtschaft kräftig angekurbelt hatte. Die Sparte steuert rund 80 Prozent zum operativen Gewinn von Rio bei. Der neue Vorstandschef Jakob Stausholm will die Anteilseigner an den guten Geschäften teilhaben lassen und im April neben der regulären Abschlussdividende von 3,09 Dollar je Aktie auch eine Sonderdividende von 0,93 Dollar zahlen. Trotz der soliden Bilanz will er sich von der Euphorie in dem Sektor nicht anstecken lassen, sondern sich auf den Ausbau der eigenen Aktivitäten, etwa das Simandou-Eisenerzprojekt in Guinea, konzentrieren. Die Rekordfahrt der Aktie sollte weitergehen, wir erhöhen daher das Kursziel und den Stoppkurs kräftig.
Unter den deutschen Werten favorisieren wir Daimler, zumal das KGV mit 9,2 deutlich unter dem des DAX von 15,4 liegt. Das Geschäft des weltgrößten Premiumherstellers ist im vierten Quartal gut gelaufen. Vorstandschef Ola Källenius will die Dividende für 2020 auf 1,35 Euro aufstocken, gegenüber 0,90 Euro für 2019. Källenius drückt zudem weiter auf die Kostenbremse und hat Investoren mit dem Ausblick überzeugt. So soll die Pkw- und Van-Sparte im laufenden Jahr eine bereinigte Umsatzrendite von acht bis zehn Prozent erwirtschaften, nach 6,9 Prozent für 2020. Für das schwer gebeutelte Geschäft mit Lastwagen und Bussen peilt der Firmenlenker sechs bis sieben Prozent an, was nach den zwei Prozent für 2020 eine enorme Verbesserung wäre. Gleichzeitig treibt der Chef die Aufspaltung in zwei unabhängige Unternehmen voran, auf der einen Seite Mercedes-Benz für Autos und Vans und auf der anderen Daimler Truck für Lastwagen und Busse. Das sorgt für zusätzliche Fantasie bei der Aktie, wir erhöhen das Kursziel deutlich.
Infineon erhöht Prognose
Von der starken Nachfrage nicht nur aus der Autoindustrie, sondern auch aus anderen Bereichen profitiert Infineon. Wenn die Kunden eine stärkere Nachfrage verspüren, stocken sie ihre Bestellungen bei den Halbleiterfirmen zügig auf, weshalb sie astreine Zykliker sind. Infineon ist gut in das neue Geschäftsjahr 2020/21, das im September endet, gestartet und hat die Prognose für das laufende Fiskaljahr leicht angehoben. So soll der Umsatz um mehr als zwei Milliarden auf 10,8 Milliarden Euro steigen. Zudem soll die operative Marge rund 17,5 Prozent erreichen und damit einen Prozentpunkt mehr als ursprünglich geplant. "Halbleiter werden mehr denn je gebraucht", sagte Vorstandschef Reinhard Ploss. Er stockt die Investitionen auf 1,6 Milliarden Euro auf. Trotz der hohen Bewertung sollte die Klettertour der Aktie weitergehen. Wir heben das Kursziel leicht an.
Der Chemieriese BASF legt am 26. Februar die Ergebnisse für 2020 vor. Laut vorläufigen Zahlen hat der Konzern im vierten Quartal besser abgeschnitten als erwartet und sollte von der Belebung der Weltwirtschaft profitieren. Trotz der sich aufhellenden Geschäftsaussichten hat Vorstandschef Martin Brudermüller den Sparkurs verschärft. Bis Ende 2022 sollen bis zu 2000 Arbeitsplätze in der Dienstleistungseinheit "Global Business Services" abgebaut werden. Dadurch sollen die Kosten ab 2023 um mehr als 200 Millionen Euro gesenkt werden. Zudem werden im Zuge der Restrukturierung insgesamt 6000 Stellen wegfallen, was ab 2021 zu einer Verbesserung des operativen Gewinns um zwei Milliarden Euro jährlich führen soll.