Als erste Konsequenz will die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) kündigen, die trotz vieler Medienberichte über mögliche Unregelmäßigkeiten bei Wirecard nicht aktiv wurde. Das sei nur ein erster Schritt, sagte eine Sprecherin des Finanzministeriums am Montag. Der Fall Wirecard müsse umfassend aufgeklärt werden.

Der Zahlungsabwickler hatte vergangene Woche Insolvenz beantragt, weil in der Bilanz 1,9 Milliarden Euro fehlen. Vorläufiger Insolvenzverwalter ist der Münchener Anwalt Michael Jaffe, der schon Pleiten wie etwa die der Kirch-Gruppe betreute.

Der FDP-Politiker Schäffler kritisierte auch die Aufsichtsbehörde Bafin, die dem Finanzministerium unterstellt ist. "Es gibt offenbar persönliche und strukturelle Defizite bei der Bafin." Der CSU-Finanzpolitiker Alexander Radwan sagte, der Fall "wirft die Frage auf, ob die Finanzaufseher wieder einmal an der Komplexität der Finanz- sowie IT-Welt und ihrer Produkte gescheitert sind". Offenbar sei es auch zwölf Jahre nach der Finanzkrise nicht gelungen, "solche Exzesse zu verhindern". Schäffler und Radwan sitzen im BaFin-Verwaltungsrat, der sich am Montag mit Wirecard befasste. Am Mittwoch soll BaFin-Chef Felix Hufeld dem Bundestag-Finanzausschuss Rede und Antwort stehen.

Dort geht es auch um Rolle der DPR. Die BaFin hatte die auch als auch "Bilanzpolizei" bekannte DPR Anfang 2019 beauftragt, den Wirecard-Abschluss für das erste Halbjahr 2018 näher zu prüfen. Bis zur Wirecard-Pleite gab es noch kein Ergebnis. DPR-Präsident Edgar Ernst sagte der "FAZ", es sei im Wesentli­chen nur ein Mitarbei­ter damit beauftragt gewesen.

"ICH BIN EIN OPFER"


Auch auf den Philippinen, wo die fehlenden 1,9 Milliarden Euro angeblich liegen sollten, wurde Aufklärung zugesagt. Man werde eine "schnelle und gründliche" Untersuchung starten, erklärte die Anti-Geldwäsche-Behörde. Der von Wirecard offenbar als Treuhänder eingesetzte philippinische Anwalt Mark Tolentino wies eine Verantwortung für die Pleite von sich. Er habe sechs Bankkonten für eine in Singapur ansässige Firma eröffnet, aber bis zum Bekanntwerden des Skandals nicht gewusst, dass sie für Wirecard waren, sagte er Reuters. Auf den Konten seien nie mehr als ein paar hundert Euro gewesen. "Jeder zeigt mit dem Finger auf mich, und stellt mich als Dieb des fehlenden Geldes dar", sagte er. "Ich möchte meinen Namen reinwaschen. Ich bin ein Opfer von Identitätsdiebstahl und gefälschten Nachrichten."

Der entlassene Wirecard-Vorstand Jan Marsalek wird laut "Handelsblatt" inzwischen per internationalem Haftbefehl gesucht. Die Staatsanwaltschaft München wollte sich dazu nicht äußern. Der Österreicher war nach seinem Rauswurf auf die Philippinen geflogen. Unklar ist, wo er derzeit ist. Insidern zufolge hält sein Anwalt Kontakt zu den Münchener Ermittlern.

KEIN ZUGRIFF AUF KONTEN


In Deutschland könnte die Finanzaufsicht nach der Insolvenz der Mutter ein Moratorium über die Wirecard Bank verhängen. Dann dürfte das Geldhaus weder Zahlungen leisten, Gelder entgegen nehmen noch Vermögensgegenstände veräußern - die Kunden kämen nicht an ihr Geld. Bislang hat die Bafin bei der Bank nur einen Sonderbeauftragten eingesetzt, der die Zahlungsströme überwacht und sie zum Teil auch unterbunden hat. Wirecard wickelt für viele Konzerne Kreditkartenzahlungen ab. Ein Wechsel zu einem anderen Anbieter dürfte Wochen dauern. Solange könnten Kunden beim Händler erst einmal nicht mehr mit Kreditkarte zahlen - außer, der Händler nutzt auch andere Dienstleister. Zudem sind einige Start-Ups auf die Wirecard Bank angewiesen, um ihre Dienstleistungen erbringen zu können.

In Großbritannien hat die Finanzaufsicht FCA der dortigen Wirecard-Tochter die Geschäfte untersagt. Hundertausende Konten sind gesperrt. Der Branchenverband forderte ein schnelles Ende der Beschränkungen. Sonst drohten Dutzende Insolvenzen, Hunderte Arbeitsplatzverluste und deutlich sinkende Steuereinnahmen.

Trotz des Bilanzskandals und des Kurssturzes der Wirecard-Aktie bleibt der Konzern nach den aktuellen Regeln wohl bis September im Leitindex Dax. Die Börse will deshalb die Regeln für die Dax-Mitgliedschaft überarbeiten. Das dürfte allerdings einige Monate dauern.

rtr