Für die Wiener Börse ist Christian Kern ein echter Glücksbringer. Wenige Wochen nachdem der Sozialdemokrat am 17. Mai 2016 als österreichischer Bundeskanzler vereidigt wurde, drehte der ATX nach oben. Die anschließende Rally führte den "Austrian Traded Index" aus einer jahrelangen Lethargie. Das Comeback geht mit starken Wirtschaftsdaten einher: Im laufenden Jahr könnte die Alpenrepublik das stärkste Wachstum seit 2011 erreichen (siehe Seite 3 "Auf einen Blick").
Gleichwohl muss Kern um die Macht fürchten. Die Große Koalition zwischen seiner SPÖ und der ÖVP ist geplatzt - am 15. Oktober stehen Neuwahlen an. Umfragen lassen auf einen klaren Vorsprung für die von Außenminister Sebastian Kurz geführten Konservativen schließen. So wie es aussieht, kann nur eine Koalition mit der FPÖ verhindern, dass Christian Kern sein Büro im Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz räumen muss.
Anders als noch vor wenigen Monaten bei den Wahlen in Frankreich und den Niederlanden verschreckt die mögliche Regierungsbeteiligung einer rechtspopulistischen Partei die Investoren nicht. Vielmehr ist der ATX vor Kurzem auf das höchste Niveau seit annähernd neun Jahren geklettert.
Einen gehörigen Anteil am Höhenflug hat die Erste Group Bank. Das Indexschwergewicht legte 2017 bis dato um 27 Prozent zu. Der Gewinn des Geldhauses brach zwar im ersten Halbjahr um mehr als ein Viertel auf 624,7 Millionen Euro ein, allerdings hatten Analysten vor dem Hintergrund notorisch niedriger Zinsen einen noch stärkeren Rückgang erwartet. In die Hände spielt der Gruppe der wirtschaftliche Aufschwung in Zentral- und Osteuropa. "Der Anteil notleidender Kredite ist das 14. Quartal in Folge auf nunmehr 4,7 Prozent gesunken", erklärt Vorstandschef Andreas Treichl. Den Aktionären stellt er eine Dividendenerhöhung in Aussicht. Hält Treichl Wort, würde der Large Cap eine Dividendenrendite von 3,1 Prozent abwerfen. Wegen der im Branchenvergleich hohen Bewertung wäre Erste Group dennoch erst nach einem stärkeren Rücksetzer interessant.
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Korrektur als Einstiegschance
Wie schnell die Stimmung kippen kann, zeigt sich bei Lenzing. Gegenüber dem im Mai markierten Allzeithoch gab der Spezialist für Textilfasern um bis zu 22 Prozent nach. Auslöser der Korrektur war eine Anteilsreduzierung durch Mehrheitsaktionär B & C. Operativ schreibt der auf hochwertige Nischenprodukte fokussierte Zulieferer der Textilindustrie weiter an seiner Wachstumsstory. Im ersten Quartal verbuchte Lenzing Rekordzahlen. Insofern könnte die am 23. August anstehende Halbjahresbilanz dafür sorgen, dass die Aktie nach oben dreht.
Für deutlich übertrieben halten wir auch den jüngsten Rücksetzer von Andritz. Der Anlagenbauer notiert ein Fünftel unter dem 52-Wochen-Hoch. Nach einem Erlösrückgang im zweiten Quartal mussten die Grazer ihre 2017er-Prognose kappen. Hatte Vorstandschef Wolfgang Leitner bisher einen "zumindest gleichbleibenden Umsatz" erwartet, rechnet er nun mit einem leichten Rückgang. Bei der operativen Marge soll weiterhin das Vorjahresniveau von neun Prozent erreicht werden.
Thomas Neuhold, Analyst bei Kepler Cheuvreux, macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über den Zwischenbericht. "Allerdings glauben wir, dass die strukturell positive, langfristige Wachstumsstory durchaus intakt ist", schreibt der Experte in einem Kommentar. Bereits in den kommenden Monaten könnte sich das Momentum bei den Auftragseingängen, insbesondere bei der Ausrüstung von Wasserkraftwerken, verbessern.
Schon jetzt lässt Voestalpine aufhorchen. Der Stahlkonzern ist dabei, aus einer langfristigen Seitwärtsbewegung nach oben auszubrechen. Aus gutem Grund: In den ersten drei Monaten der Geschäftsperiode 2017/18 (per 31. März) konnten die Linzer ihren operativen Gewinn nahezu verdoppeln. "Wir haben eines der besten Quartale seit dem Bestehen des Voestalpine-Konzerns hinter uns", erklärt Vorstandschef Wolfgang Eder. Neben deutlich gestiegenen Stahlpreisen spielt dem Unternehmen die hohe Nachfrage aus der Luftfahrt- sowie der Automobilindustrie in die Hände.
Die auf hochwertige Stahlprodukte fokussierte Voestalpine beliefert unter anderem die deutschen Premiumautohersteller mit Blechen und Karosserieteilen. Laut Eder hat die Geschäftsbeziehung zu dieser wichtigen Kundengruppe bis dato "in keinster Weise" unter den gegen BMW & Co erhobenen Kartellvorwürfen gelitten. Vielmehr sieht er die Vollauslastung der Werke bis Ende des Jahres gesichert. Da vorerst kein Ende des Stahlbooms in Sicht ist, bleiben wir bei unserer Kaufempfehlung.
Gleiches gilt für Palfinger. Der Kranhersteller aus Salzburg scheiterte vor Kurzem knapp daran, das Mitte 2007 markierte Allzeithoch einzustellen. Die Aktie setzte zwar anschließend etwas zurück, doch die Chance auf eine historische Bestmarke ist intakt. Palfinger hat gerade starke Halbjahreszahlen vorgelegt und strebt nun für 2017 ein weiteres Rekordergebnis an. Wir erhöhen das Kursziel und ziehen den Stopp nach.