Der Tagungsraum eines Berliner Hotels ist voll besetzt, gut 200 Experten konferieren über die Zukunft der Altersvorsorge. Andrea Nahles, der Stargast, ist leicht erkältet und spricht mit rauer Stimme. Doch was die Bundessozialministerin zu sagen hat, lässt das Auditorium aufhorchen.

Deutlich wie wohl nie zuvor in ihrer halbjährigen Amtszeit bekennt sie sich zur betrieblichen Altersvorsorge. Was einen Ausbau der Förderung angehe, "ist grundsätzlich nichts tabu", sagt sie. Immerhin hätten Union und SPD im Koalitionsvertrag offiziell festgeschrieben, dass sie die betriebliche Altersvorsorge stärken wollen. Eine Studie solle bis Ende 2014 feststellen, wie das am besten geschehen könne.

Eine der Ideen, die Nahles angesprochen hat, ist das sogenannte Opting- out (englisch für: die Zustimmung verweigern). Wenn dies gälte, hätte jeder Arbeitnehmer automatisch eine Betriebsrente - es sei denn, er widerspricht ausdrücklich.

Derzeit müssen die meisten Arbeitnehmer die betriebliche Altersvorsorge aktiv beim Arbeitgeber einfordern, nur im öffentlichen Dienst darf jeder eine Betriebsrente erwarten. In der Privatwirtschaft liegt die Beteiligung im Moment bei etwa 50 Prozent. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass ein Opting-out die Verbreitung erheblich erhöht.

Doch lohnt es sich überhaupt, solch einen Vertrag zu schließen? Kurze Antwort: Es kommt auf die Umstände an (siehe Kasten). Jedes Pflichtmitglied der gesetzlichen Rentenversicherung, also Angestellte und eine Reihe von Selbstständigen, darf Bestandteile des Gehalts in Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung umwandeln.

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Steuern und Sozialbeiträge runter

Häufigster Weg bei Neuverträgen ist die Entgeltumwandlung via Direktversicherung (derselbe Begriff gilt für Versicherungen ohne Außendienst, was mit der hier gemeinten Bedeutung nichts zu tun hat). Der Arbeitgeber schließt für den Arbeitnehmer eine Police ab, in die ein Teil des Gehalts einfließt (siehe Grafik). Es handelt sich um Altersrenten mit oder ohne Leistungen für Hinterbliebene oder bei Berufsunfähigkeit. Fondssparpläne sind bei der Entgeltumwandlung nicht erlaubt.

Der Clou: Einzahlungen sind bis maximal 2856 Euro pro Jahr frei von Steuern und Sozialabgaben. Für Kontrakte, die seit Anfang 2005 abgeschlossen wurden, sind jährliche Einzahlungen von weiteren 1800 Euro steuerfrei, aber sozialabgabepflichtig. Dieser zusätzliche Freibetrag gilt aber nur, wenn der Arbeitnehmer nicht schon einen anderen Vertrag laufen hat, der vor 2005 geschlossen wurde. Grundidee hinter der staatlichen Förderung: Im Ruhestand zahlen die meisten Arbeitnehmer geringere Steuern als während der Berufstätigkeit, außerdem können Sozialabgaben sinken oder komplett wegfallen. All dies führt unter bestimmten Voraussetzungen zu erheblichen finanziellen Vorteilen.

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Renditen schrumpfen

Direktversicherungen gibt es in zwei Varianten: Am weitesten verbreitet ist die klassische Form, bei der eine Mindestverzinsung garantiert ist. Diese macht bei Neuverträgen zurzeit 1,75 Prozent aus. Allerdings wird nicht die gesamte Einzahlung verzinst, sondern nur der Teil, der nach Abzug der Kosten für die Geldanlage übrig bleibt. Mögliche Überschüsse kommen hinzu, deren Höhe ist allerdings nicht garantiert. Zweite Möglichkeit sind fondsgebundene Policen, die höhere Chancen bieten, aber Risiken bergen.

Die Eigenschaften von Direktversicherungen sind meist dieselben wie bei ungeförderten Policen. Vorteile: Je nach Variante und Anbieter waren zumindest in der Vergangenheit gute Renditen bei hoher Sicherheit zu erzielen. Außerdem winken Steuervorteile beispielsweise gegenüber Fondssparplänen.

Nachteile: Lebensversicherungen gelten generell als intransparent. Die gesunkenen Zinsen an den Kapitalmärkten zehren an den Renditen, weil die Unternehmen die Prämien größtenteils an den Anleihemärkten investieren.

Außerdem werden die Abschlusskosten üblicherweise auf die Anfangszeit des Vertrags verteilt. Diese sogenannte Zillmerung bewirkt, dass in vielen Fällen auch nach Jahren weniger im Topf ist als eingezahlt wurde - und der Zinseszinseffekt bei der Rendite stark verzögert zum Tragen kommt. Auch kann die Auszahlung je nach Versicherer sehr unterschiedlich ausfallen. Das Magazin €uro hat kürzlich solche Direktversicherungen getestet. Ganz vorn landeten die Anbieter Europa, Interrisk, R + V, HUK-Coburg, Hannoversche und CosmosDirekt.

Sehr wichtig für die Rendite ist auch das Verhalten des Arbeitgebers. Er kann etwas zuzahlen, ist aber nicht dazu verpflichtet. Für eine positive Entscheidung gäbe es gute Gründe: Immerhin spart der Arbeitgeber Geld, wenn der Angestellte eine Entgeltumwandlung vornimmt, nämlich den Arbeitgeberanteil an den Beiträgen zur Sozialversicherung. Dieser kann knapp 20 Prozent betragen, was teilweise mehr als 500 Euro im Jahr ausmacht. Wenn davon etwas in den Vertrag fließt, "kann dies die Rendite deutlich verbessern", sagt der Münchner Versicherungs- und Anlageberater Rolf Schulte.

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Arbeitgeber entscheidet

In anderer Hinsicht kommt dem Chef ebenso große Bedeutung zu: Er bestimmt den Versicherer. Wenn der Arbeitgeber Zugriff auf einen Gruppenvertrag hat, kann das wegen der Kostenersparnis äußerst vorteilhaft sein. Falls der angebotene Kontrakt dennoch wenig attraktiv ist, kann der Arbeitnehmer versuchen, auf eigene Faust eine Alternative aufzutun und den Arbeitgeber davon zu überzeugen. "Man sollte darauf achten, dass der Anbieter finanzstark ist und geringe Abschluss-, Vertriebs- und Verwaltungskosten hat", empfiehlt Berater Schulte. Egal wo man abschließt - das Geld ist sicher. Denn der Versicherer haftet bei klassischen Policen für das sogenannte Deckungskapital.

Allerdings gibt es eine Reihe von Nachteilen: Erstens bindet man sich ein Arbeitsleben lang, denn eine vorzeitige Auszahlung ist laut Gesetz ausgeschlossen. Zweitens kann ein Jobwechsel zu Problemen führen. Wenn der neue Arbeitgeber einen anderen Versicherer favorisiert und der Arbeitnehmer die öffentliche Förderung weiterhin einstreichen will, muss er sein Guthaben in einen neuen Vertrag überführen. Der kostet zwar keine neuen Abschlussgebühren, hat aber unter Umständen einen niedrigeren Garantiezins. Drittens kann die gesetzliche Altersrente niedriger ausfallen als ohne Entgeltumwandlung, weil weniger Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung fließen.

Besonders unangenehm: Wer über eine gesetzliche Kasse kranken- und pflegeversichert ist, muss bei Auszahlung die vollen Beiträge bezahlen. Bei Kinderlosen sind sage und schreibe 17,8 Prozent des Bruttoeinkommens fällig, bei Rentnern mit Kindern immerhin 17,55 Prozent. Nur wenn die Betriebsrente maximal 138,25 Euro pro Monat beträgt, verlangen die Kassen nichts.

Auch hier könnte sich politisch etwas zum Positiven wenden. Man werde überprüfen, ob Arbeitnehmern "durch die Verbeitragung der Betriebsrente Nachteile entstehen", sagte Peter Weiß, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe in der Union, der Zeitung "Tagesspiegel".

Von Ministerin Nahles war zu diesem Thema bei ihrem Auftritt in Berlin nichts zu hören. Gut möglich, dass Arbeitnehmern hier etwas als Allheilmittel verkauft werden soll, was nicht für alle vorteilhaft ist.