Schrumpft 2023 die Wirtschaft in Deutschland? Trotz positiver Signale korrigieren Volkswirte ihre Prognosen nach unten. Dem DAX drohen nach dem Rekordhoch turbulente Zeiten

Eigentlich sind das Nachrichten zum Durchatmen: In den USA nähert sich der wochenlange Schuldenstreit seinem Ende. In Deutschland zeigt sich der Arbeitsmarkt erstaunlich robust. Trotz der Winterrezession fällt die Arbeitslosenquote im Mai auf 5,5 (Vormonat: 5,7) Prozent. Und auch von der Inflationsfront werden wichtige Erfolge gemeldet, auf die die Notenbanker der EZB mit Spannung warten: Europaweit gehen die Teurungsraten deutlich zurück, in Deutschland im Mai sogar um über einen Prozentpunkt auf 6,1 (April: 7,2) Prozent.

Dass sich die Euphorie an den Börsen dennoch in Grenzen hält, hängt mit der ökonomischen Gesamtwetterlage zusammen. Statt eines Aufschwungs braut sich dort gerade ein Herbststurm zusammen, zumindest wenn man den reihenweise herunterkorrigierten Prognosen der Forschungsinstitute und Experten Glauben schenkt. Während die Bundesregierung noch an 0,4 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland im Jahr 2023 glaubt, senken immer mehr Banken-Volkswirte den Daumen über die deutsche Wirtschaft. Auslöser war die Nachricht, dass es bereits im Winterhalbjahr 2022/23 zu zwei Quartalen mit Minuswachstum gekommen ist — und damit die Definition einer, wenn auch milden Rezession erfüllt ist.


Dämpfer für Auto- und Chemieaktien

So sagen die Volkswirte von Deutsche Bank, Commerzbank und KfW nun auch für das Gesamtjahr eine schrumpfende Wirtschaft voraus. Am pessimistischsten ist die Berenberg Bank, die mit 0,4 Prozent Rückgang rechnet. Belastend wirken sich vor allem die inflationsbedingten Kaufkraftverluste der Verbraucher aus. Das dämpft die Konsumnachfrage.

Auch aus dem Ausland gab es zuletzt immer wieder Dämpfer. So ging die Industrienachfrage für deutsche und europäische Exporteure im wichtigen chinesischen Markt zuletzt schneller zurück als erwartet. Der dortige Einkaufsmanagerindex des verarbeitenden Gewerbes (PMI) fiel im Mai auf 48,8 (April: 49,2). Das sind schlechte Nachrichten vor allem für Auto- und Chemieunternehmen sowie Luxusgüterhersteller, für die China ein wichtiger Absatzmarkt ist. Nach der Aufhebung der strikten Pandemiebeschränkungen hatten Experten eigentlich ein starkes Comeback der chinesischen Wirtschaft erwartet. Doch die wachsenden Sorgen über die Konjunktur im Reich der Mitte trüben inzwischen auch die Aussichten für den europäischen Aktienmarkt ein.

Gefährliche Ungleichgewichte

Wegen dieser komplexen Gesamtwetterlage halten Börsianer weitere Turbulenzen an den Aktienmärkten für möglich, auch wenn der DAX erst Mitte Mai ein neues Rekordhoch aufgestellt hat und gegenüber dem vergangenen Herbst um rund ein Drittel geklettert ist. Skeptiker warnen davor, dass es bei einer Rezession in Europa und den USA auch wieder schnell in die andere Richtung gehen könnte — hinab bis auf 12 000 Punkte, wie beispielsweise der Vermögensverwalter Jens Ehrhardt befürchtet.

Kernargument der Skeptiker: Es gebe immer mehr Ungleichgewichte im Markt, die ein Eskalationsrisiko durch Einzelereignisse bergen. Zudem würden die zurückliegenden Kursgewinne insbesondere in den USA nur von wenigen Unternehmen getragen. Die größten Risiken für die Aktienkurse gingen jedoch von einem Konjunkturabschwung aus.„Obgleich sich die Börsen in den vergangenen Wochen erholt haben, bleiben sie anfällig“, sagte EZB-Vize Luis de Guindos diese Woche bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts. „Überzogene Bewertungen, schärfere Finanzierungsbedingungen und eine geringere Marktliquidität erhöhen das Risiko, dass Kurskorrekturen ausufern könnten.“ Dies gelte insbesondere, falls neue Rezessionsängste aufkämen.

Damit rücken die nächsten Notenbanksitzungen wieder ins Blickfeld, von denen neue Impulse für die Märkte ausgehen könnten. Die Fed tagt am 14. Juni, die EZB folgt am 15. Juni.

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