BÖRSE-ONLINE.de: Nach ersten Hochrechnungen liegt noch kein Kandidat klar vorn. Vor Arizona und Pennsylvania nicht ausgezählt sind, wird auch kein klares Ergebnis erwartet. Was bedeutet das für die Börsen?
Robert Halver: Wir haben jetzt die befürchtete Unsicherheit, zumal Trump vor den Obersten Gerichtshof ziehen will, um aus seiner Sicht gefälschte oder falsch ausgezählte Briefwahlunterlagen neu zu untersuchen. Unsicherheit ist Gift für die Börse, weil ja an den Kandidaten auch teilweise diametrale Visionen stehen wie Handelskrieg.
Auf Basis vorangegangener Umfragen hätte man von einem klaren Sieg Bidens ausgehen können. Eindeutig ist bis jetzt allerdings nichts. War Biden nicht einnehmend genug, sondern am Ende doch nur "nicht Trump"?
Viele Wähler haben mit Trump durchaus persönliche Probleme. Seine rüden Umgangsformen sind eines Präsidenten mehr als unwürdig. Aber sie sagen sich auch, in vier Jahren ist er weg und bis dahin gibt es, wenn Trump gewinnt, keine Steuererhöhungen. Amerika wählt gerne mit dem Portemonnaie. Und die Demokraten haben eher eine Anti-Trump-Wahlkampf gemacht, aber zu wenig ausgedrückt, was sie wollen. Das liegt auch daran, dass die Demokraten gespalten sind. Es gibt die gemäßigten, aber auch die "Neo-Sozialisten". Und Sozialisten und Amerika ist wie Teufel und Weihwasser.
In Großstädten entscheiden sich die Wähler überwiegend für Biden, auch in den Vorstädten hat Biden leicht die Nase vorn. In Kleinstädten gehen die Stimmen eher an Trump. Wie wirkt sich diese Tendenz auf die Chancen der Kandidaten aus?
Das lässt sich kaum sagen. Auch Hispanics oder Farbige wählen teilweise Trump, weil sie keinen Lockdown haben wollen, der ihnen Einkommen wegnimmt. Und viele Städter haben Angst vor Unruhen. Sie wollen "law and order".
Ändern sich Trumps Chancen mit der Neubesetzung im Supreme Court durch die konservative Richterin Amy Coney Barrett, falls das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vor Gericht gehen sollte?
Man muss ja den Richtern nichts unterstellen. Aber sicher hat Trump besonders linientreue ausgesucht. Ein Schelm, wer Böses davon denkt.
Präsident Trump zweifelt an der Sicherheit der Briefwahl und befürchtet Wahlfälschung durch die Demokraten. Wie sieht das Worst-Case-Szenario aus, falls Trump die Wahl nicht gewinnt?
Dann wird prozessiert und prozessiert und am Ende entscheiden im Extremfall Gerichte und nicht die Wähler. Das hinterlässt ein Geschmäckle, dass Amerika keine lupenreine Demokratie ist. Sollte Biden gewinnen, wird man vielfach sagen, dass er durch Betrug gewonnen hat. Und wir wissen alle, dass sich Klischees halten wie Kaugummi am Schuh. Die Legendenbildung läuft.
Bis auch die Briefwahlstimmen ausgezählt sind, können noch einige Tage vergehen. Was bedeutet diese Unsicherheit für die Börsen?
Unsicherheit ist Gift angesichts der großen Probleme Corona und Konjunkturförderung. Amerika ist zeitweilen eine "lame duck", also eine lahme Ente.
Im Senat liegen die Republikaner vorn. Was bedeutet das für die Regierung, sollte Biden das Rennen machen?
Es gibt ein parlamentarisches Patt, dass verhindert, dass die Demokraten mit einem Triple (Weißes Haus, Repräsentantenhaus und Senat) nicht zu marktunfreundliche Wirtschaftspolitik betreiben können.
Falls Biden gewinnt: Wie würden Sie sich wünschen, dass seine erste Amtshandlung in Bezug auf Europa aussehen würde?
Eine Wiederbelebung der transatlantischen Wertegemeinschaft. Denn Europa ist ohne Amerika wie ein Hühnerhof ohne Hahn.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte, dass Deutschland nicht auf einen erneuten Wahlsieg von Präsident Donald Trump eingestellt ist. "Man muss es ehrlich sagen - nein", sagt er im ZDF auf eine entsprechende Frage. "Wenn die Nato nicht vier, sondern acht Jahre infrage gestellt würde, wäre dies etwas ganz anderes." Deutschland müsse dann sehr viel mehr auch in seine Sicherheit investieren. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Europa muss seine Hausaufgaben machen, sich organisieren. Denn auch unter Biden wird es nicht die alte Liebe geben. Auch Biden will "Buy american". Wir müssen mehr eigene Wehrkraft hinbekommen. Der Weltpolizist USA ist müde geworden. Es geht darum, erwachsen zu werden. Die Hoffnung dazu stirbt zuletzt.
Wie schätzen Sie die möglichen negativen Folgen für die europäischen und deutschen Exportunternehmen ein?
Bei Wiederwahl Trumps werden sich die deutschen und europäischen Aktien warm anziehen müssen. Der Handelskrieg geht in die Verlängerung.
Was würde es für Europa bedeuten, wenn sich die Wahl noch Monate hinzieht und sich die USA praktisch nur mit sich selbst beschäftigen?
Unsicherheit will niemand. Amerika ist keine Bananenrepublik, sondern geopolitisch wichtig.
Was bedeuten die Verzögerungen für die milliardenschweren Corona-Konjunkturprogramme in den USA, die eigentlich so rasch wie möglich gestartet werden müssten?
Ohne neues Konjunkturpaket wird die US-Wirtschaft Schaden nehmen. Von daher wären klare, entscheidungsstarke politische Verhältnisse wichtig.
Die amerikanische Gesellschaft gilt als gespalten. Kann eine neue Präsidentschaft das ändern?
Trump wird nicht versöhnen, sondern spalten. Das wird der Demokratie schaden. Biden würde es zumindest versuchen.