Herr Halver, die EZB hat heute den Aufkauf von Staatsanleihen angekündigt. Nach den Plänen will die EZB bis September 2015 pro Monat 60 Milliarden Euro dafür ausgeben. Über die gesamte Laufzeit liegt das Volumen damit insgesamt bei rund 1140 Milliarden Euro. Beobachter hatten zuvor ein deutlich geringeres Wachstum erwartet. Wie überrascht sind Sie?
Die EZB hat die an sie gerichteten Erwartungen sogar etwas übererfüllt. Dennoch ist dieses Aufkaufprogramm keine ganz große Überraschung, nach dem Phantomzahlen von monatlich 50 Milliarden Euro bis Ende 2016 schon die Runde gemacht haben. Dennoch sollte man sich als Anleger vor Augen führen, dass die EZB jetzt den stabilitätspolitischen Rubikon überschritten hat. Sie hat ihre letzten Stabilitätshüllen verloren und steht jetzt in ihrer nackten prallen Schönheit vor uns. Schämen wird sie sich nicht, denn immerhin betreiben auch die anderen Notenbanken schon lange stabilitätspolitische Freikörperkultur.

Als Begründung für Ihren radikalen Schritt verweist die EZB auf Deflationsgefahren. Halten Sie diese Begründung für stichhaltig?
Man braucht für alles ein Alibi. Und hier kamen die aktuell drastisch fallenden Energiepreise der EZB sehr entgegen. Wer will schon etwas dagegen haben, wenn eine Notenbank Deflation, dass das Grundübel einer Volkswirtschaft gilt, bekämpft, dass in Japan schlimm gewütet hat. Auf dieser Klaviatur konnte die EZB jetzt virtuos spielen. Ich glaube nicht an ein langfristiges Deflationsszenario. Also musste die EZB die Gunst der Stunde jetzt nutzen.

Auf Seite 2: Was die Entscheidung für die Aktienmärkte bedeutet



Was bedeutet die Entscheidung für die Aktienmärkte: Wird die jüngste Rallye weiter gehen?
Zunächst ist die Katze aus dem Sack. Denn man kennt jetzt die Fakten des Aufkaufprogramms. Das lädt zu Gewinnmitnahmen ein und wird damit auch zu zwischenzeitlich anfälligen Aktienbörsen führen. Grundsätzlich ist aber die Liquiditätshausse nicht beendet. Im Gegenteil, denn die EZB will aufkaufen bis die Inflation wieder zurückkommt. Tut sie das nicht, wird die EZB - wie früher auch die US-Notenbank - auch mehrfach verlängern. Aber die Liquiditätsschwemme bringt auch fundamentale Vorteile für den Aktienmarkt. Der Euro wird sich im Trend weiter abschwächen. Damit bekommen die konjunktur-orientierten Exportwerte Deutschlands die höheren Weihen. Außerdem werden über die günstigen Staatsanleiherenditen neue staatliche Konjunkturpakete finanziert, die der Euro-Wirtschaft auf die Beine helfen und die deutsche Exportkonjunktur weiter stützen. Insgesamt ist Deutschland der größte Nutznießer des Aufkaufprogramms der EZB.

Wo sehen Sie den Dax zum Jahresende?
Ich halte an meiner Einschätzung von etwa 11.000 Punkten bis Jahresende fest.


Auf Seite 3: Wie lange die Talfahrt des Euro noch weitergeht




Der Euro hat seine Talfahrt gegenüber dem Dollar heute beschleunigt. Wie tief kann der Euro gegenüber dem Dollar noch fallen? (Goldman Sachs erwartet sieht den Dollar im laufenden Jahr bei 90 Cent je Euro).
Die Parität, also 1 : 1, ist bis Anfang 2016 erreichbar. Denn die USA haben ihr Anleiheaufkaufprogramm im letzten Jahr eingestellt und die Fed denkt über die Leitzinswende nach.

Aber das käme den traditionell exportstarken deutschen Unternehmen ja zugute. Sind die Pläne der EZB also indirekt ein Konjunkturprogramm für Deutschland?
Ich behaupte, dass in vielen Vorstandsetagen von Exportunternehmen spätestens ab heute Mario Draghi als Heiligenbild hängt. Hinter vorgehaltener Hand geht es der EZB natürlich auch um eine weitere Schwächung des Euro zur Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone, wohl wissend, dass auch andere Notenbanken bei der Schwächung ihrer jeweiligen Währungen nicht untätig sind. Alleine den DAX-Konzernen würde eine weitere Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar von 10 Prozent in diesem Jahr einen Gewinnanstieg von schätzungsweise 8 Prozent ermöglichen.
Und dennoch: Auf einem Bein steht man nicht gut. Geld ist gut, Reformen sind besser. Man darf nicht vergessen, dass der Aufkauf von US-Staatsanleihen seitens der Fed deshalb erfolgreich war, weil sie durch Strukturreformen der amerikanischen Wirtschaftspolitik begleitet wurden, die die Verbesserung der industriellen Infrastruktur und die Wiederbelebung der Wettbewerbsfähigkeit Amerikas zum Ziel hatten. Dagegen ist nun bei uns die Gefahr groß, dass die Möglichkeit, zinsgünstig an neue Staatsschulden zu kommen, die Bemühungen der Euro-Staaten, dringend erforderliche Strukturreformen zu ergreifen, noch weiter schwächt. Dann wäre deutlich mehr Wirtschaftswachstum drin.
Und dann ist die Frage zu stellen, warum Banken denn die günstigsten Zinsen für deutlich mehr Kredite an Unternehmen ausleihen sollen, wenn ihre Aussichten konjunkturell begrenzt ist. In Ermangelung von attraktiven Standortbedingungen wird die Privatwirtschaft - gemäß aktuellem Status Quo - kaum nennenswert zu Wachstumsimpulsen beitragen. Bei insofern ausbleibendem Wachstum wird die EZB mit immer umfangreicheren Staatspapierankäufen liquiditätsseitig nachhelfen müssen.
Immerhin wird dadurch der Euro weiter geschwächt. Aber der Preis ist, dass wir uns als von einer Starkwährung - die DM haben wir immer aufgrund ihre Stärke geliebt - verabschieden müssen.


Auf Seite 4: Warum die Sparer die Verlierer der EZB-Entscheidung sind



Umgekehrt sind die Sparer die Gekniffenen?
Sparbücher, Festgelder, Staatspapiere bleiben auf unabsehbare Zeit Anlageformen mit erbärmlichen Renditen, von denen nach Inflation nichts übrig bleibt. Wirklich ansteigende Zinsen und Renditen sind so wahrscheinlich wie unkrautfreie Streuobstwiesen. Die deutschen Anleger, die ihr Geld gerne zu 80 Prozent in Zinsvermögen anlegen, betreiben alles andere als Altersvorsorge, im Gegenteil, sie betreiben Altersentsorge.

Für Banken und Versicherer ist das ja ebenfalls keine gute Botschaft: Das Zinsniveau bleibt auf absehbare Zeit auf einem Rekordtief - und der Anlagenotstand wächst?
Der Anlagenotstand wächst. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass die Finanzindustrie stärker auf Aktien, speziell auf Dividendenpapiere setzen wird. Dividendenrenditen schlagen Zinsen um Längen. Überhaupt, in diesem Jahr werden die höchsten Dividenden aller Zeiten von den Dax-Konzernen an die Aktionäre ausgezahlt. Diese hohe Dividendenrendite verhindert übrigens auch, dass diese Substanztitel allzu stark schwanken.


Auf Seite 5: Was Anleger jetzt sollten



Was sollten Anleger jetzt also tun: Weiter Aktien kaufen und den Aktienanteil in ihren Depots erhöhen?
Der Aktienanteil ist insbesondere für die Zins-Gläubigen zu erhöhen. Da es aufgrund der niedrigen Zinsen keinen vernünftigen Zinseszinseffekt mehr gibt, sollten die Anleger auf den "Dividendendividendeneffekt" setzen. Bei regelmäßiger Wiederanlage der Dividenden vermehrt man sein Anlagevermögen kontinuierlich.
Überhaupt sind regelmäßige Ansparpläne eine zwar banale, aber ebenso geniale Anlagestrategie. Geht es an den Märkten nach oben, ist man ohnehin vermögender. Geht es an den Märkten nach unten, bekommen die Anleger für ihren gleichbleibenden Euro-Beitrag mehr Aktienanteile. Längerfristig macht sich das in ansehnlicher Altersvorsorge bezahlt.