BÖRSE-ONLINE.de: Wie haben Sie das abgelaufene Jahr erlebt?
Robert Halver: Man fühlte sich wie in einer Show, bei der ein Act dem nächsten folgt. Und wann hat es das jemals gegeben, dass sich Aktien trotz vieler gleichzeitig auftretender fundamentaler und geopolitischer Probleme sowie massiven Inflationsschüben nicht nur stabil halten, sondern sogar noch kräftig zulegen konnten? "Schuld" daran ist vor allem ein festes Glaubensbekenntnis: Wo die Not am größten, ist die Geldpolitik am nächsten. Die Notenbanker sind die Schutzpatrone der Aktienmärkte.

Welche Auswirkungen hat die Zuspitzung der Pandemie für die deutsche Wirtschaft und wie stark schlägt das weiter auf die Preise durch?
In Deutschland, den USA und China wird es nur zu regionalen und zielgerichteten Lockdowns gegen neue Virus-Varianten kommen. Die Politik müsste mit der Muffe gepufft sein, wenn sie wirtschaftliche Erholungsprozesse gefährden würde, was dann auch zu sozialen Problemen führt. Zwar könnten zwischenzeitliche Corona-bedingte Transportbeschränkungen für Preisdruck sorgen. Doch ist nach der fast panischen Rohstoffnachfrage 2021 im nächsten Jahr mit einer weitgehend abgeschlossenen Lagerwiederauffüllung und insofern einer allmählichen Normalisierung der Preise für Vorprodukte und damit der Inflation zu rechnen.

Ist der gegenwärtige Inflationsschub vorübergehend oder länger andauernd?
Die Inflationsspitzen werden getrimmt. In Amerika und Europa wird Anfang 2022 der Preisgipfel überschritten. Zudem mildert der Zeitablauf den Inflationsdruck: Preissteigerungen sind ja relative Betrachtungen, denn man vergleicht das aktuelle Preisniveau mit dem vor zwölf Monaten. Selbst wenn Rohstoffpreise und Frachtraten auf ihren derzeit hohen Niveaus verharrten, würden sich 2022 deutliche Preisentspannungen zeigen. Grundsätzlich wird die Preissteigerung aber oberhalb jener von vor Corona verharren. Dafür sprechen potenzielle Steuererhöhungen, der Fokus der Politik auf höhere Löhne, der Fachkräftemangel und zunehmende Klimaschutzauflagen.

Droht der deutschen Wirtschaft im Winterhalbjahr erneut eine Rezession?
Im Winter kann es zu einer milden "technischen" Rezession kommen, weil einfach noch Vorprodukte wie beispielsweise Halbleiter fehlen. Der Mangel wird aber 2022 allmählich behoben. Zum Glück sind die Aufträge in der Industrie ja da. Und was aktuell nicht abgearbeitet werden kann, wird 2022 nachgeholt, wenn die Rohstoffknappheit abebbt.

Vor allem der Chipmangel und die allgemeinen Lieferengpässe haben das abgelaufene Jahr belastet. Welche Unsicherheiten erwarten die Aktienmärkte im neuen Jahr?
Auch wenn ich von einer Öffnung der engen Flaschenhälse ausgehe, ist die konkrete Entspannung und ihr Zeitpunkt noch nebulös. Als Exportnation schauen die Anleger natürlich ebenso auf die geopolitisch aufgeheizte Stimmung zwischen den Hegemonen USA, China und Russland. China ist unser größter Außenhandelspartner. Und wenn dort die chinesische Mauer wieder hochgezogen wird, wirkt das auf konjunktur- und exportlastige Unternehmen wie trockengelegte Sümpfe auf Frösche.

Welche Themen dürften die Börsen 2022 außerdem beschäftigen?
Ein ganz großes Thema ist die Modernisierung Deutschlands, die sich die Ampel ja fett auf ihre Fahnen geschrieben hat. Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung: Wenn hierbei die Standortbedingungen nicht stimmen, wird Deutschland nach untern durchgereicht. Wirtschaft ist eben nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles andere nichts. Womit will Deutschland denn seinen zukünftigen Wohlstand sichern? Wer z.B. Verbrennungsmotoren abschafft, ohne ernsthaft die Möglichkeiten synthetischer Brennstoffe zu prüfen, muss auch Alternativen liefern. Exportweltmeister bei Bio-Kartoffeln zu werden, ist da viel zu wenig. Wir brauchen knallharte Reformen auf allen Ebenen.
Nicht zuletzt geht es um sichere deutsche Energieversorgung zu vernünftigen Preisen. Stromverfügbarkeit und Stromkosten, nie waren sie so wichtig wie heute. Längerfristig werden E-Mobilität, klimaneutrale Industrieproduktion, Digitalisierung und Wasserstoffgewinnung ein Mehrfaches des heutigen Stroms verbrauchen. Seine jederzeitige Verfügbarkeit zu günstigen Preisen wird zu einem immer entscheidenderen Wettbewerbsfaktor. Oder wollen wir Strom in knappen Zeiten aus französischen Atomkraftwerken beziehen? Das wäre die pure klimapolitische Heuchelei.
Grundsätzlich braucht Deutschland einen Masterplan für die Klimapolitik, der dem zukünftigen Wirtschaftswachstum und den Jobs auf die Sprünge hilft. Tatsächlich haben deutsche Unternehmen reihenweise Klima-Know-How und nehmen bei Technologien für CO2-Reduktion, für die Anpassung an Klimaerwärmung und generell beim grünen Umbau der Volkswirtschaft weltweit Spitzenplätze ein. Diese Talente müssen jedoch kräftig gefördert werden.
Nachdem Deutschland den High-Tech-Boom großzügig anderen überlassen hat, sollte es das Megathema Klimaschutz wirtschaftlich für sich selbst nutzen, sozusagen ausnehmen wie eine Gans an Weihnachten. Bloß nicht wieder abwarten, bis andere Länder das große Fressen anfangen. Wer in der Klimafrage nur ideologisch denkt, den bestraft das Wirtschafts-Leben. Und dann wird die Akzeptanz für Klimaschutz schwinden.

Lieferengpässe waren 2021 ein allgegenwärtiges Thema. In ersten Bereichen ist eine leichte Erholung zu spüren. Wie geht es weiter?
Wo Geld verdient werden kann, wird es früher oder später auch wieder mehr Angebot geben. Man sieht ja bereits, dass die Produktion bei vielen Rohstoffen wieder deutlich angezogen ist. Und die Logistik wird auch laufend verbessert. Der sogenannte Baltic Dry Index, ein Maßstab für Transportkosten, ist bereits deutlich von seinen Spitzen zurückgefallen. Es geht also wieder rund auf den Weltmeeren.

Die US-Notenbank Fed hat bereits seit längerem eine Zinswende auf ihrer Agenda stehen. Welche Schritte erwarten Sie als nächstes?
Die Fed lässt die Katze aus dem Sack. Wegen Inflationsdruck erhöht die Fed zwar das Tempo der Liquiditätsdrosselung und mehrfache Zinserhöhungen sind kein Tabu mehr. Doch findet sie damit einen smarten Mittelweg zwischen Preis-, Konjunktur- und Finanzstabilität. Nicht zuletzt legt sie den Börsen einen überraschungsfreien geldpolitischen Fahrplan vor. Tatsächlich zeigen sich die Zinsmärkte nicht erschreckt. Denn die Überschussreserven bei der Fed sind gewaltig: Die Wirtschaft und die Finanzmärkte sind mit Liquidität überversorgt. Also, selbst wenn die neuen Geld-Geschenke 2022 kleiner ausfallen, ist keine dramatische Liquiditäts-Zäsur am Aktienmarkt zu befürchten. Übrigens, wenn die Fed ihre Zinswende früher beginnt, ist sie auch früher durch. Und mit Blick auf Konjunkturrisiken durch Corona ist ohnehin nichts in Stein gemeißelt. Auch der zu erwartende Inflationsrückgang könnte die angepeilten Zinsanhebungen zu Eventualgrößen machen. Insgesamt kommt es in den USA zu einem Zinswendchen.

Wegen der Inflation müsste die EZB eigentlich eine restriktivere Geldpolitik fahren, will aber gleichzeitig die Konjunktur nicht ausbremsen. Wie wird die EZB weiter vorgehen?
Auch die EZB leugnet die Inflation nicht mehr konsequent. Dennoch betrachtet die EZB ihr Inflationsziel von zwei Prozent als langfristig nicht erreichbar. Wegen sich im Zeitablauf beruhigender Rohstoffe und in Trippelschritten erholender Lieferketten unterstellt sie abnehmende Preisdynamik. Die nahezu Verdoppelung der Inflationsprognose wird insofern als vorübergehend eingeschätzt, auch wenn die EZB-Präsidentin dieses Wort nicht mehr in den Mund nimmt. Bedarf es weiterer Beweise, dass die EZB gar nicht an eine wirkliche geldpolitische Verschärfung denkt? Zudem sorgen die Konjunkturschwäche in der Eurozone und neue Corona-Varianten für weniger geldpolitische Restriktion.

Der Leitzins verharrt auf einem Rekordtief. Kann die EZB ihre lockere Geldpolitik überhaupt noch anziehen?
Vor dem Hintergrund dieser Argumentationsketten behält die EZB ihre ultralockere Liquiditätspolitik grundsätzlich bei. Zwar will auch sie ihr Anleiheaufkaufprogramm reduzieren. Um wie viel genau, lässt sie allerdings offen, um sich größtmögliche Beinfreiheit zu verschaffen. Ohnehin behält sie sich vor, die pandemischen Anleihenkäufe bei unerwünschten Nebenwirkungen wiedereinzusetzen.
Auch erteilt EZB-Präsidentin Lagarde auf der Pressekonferenz Leitzinserhöhungen 2022 eine klare Absage. Angesichts von Überschuldung und der Finanzierung des europäischen Zusammenhalts und der wirtschaftlichen Zukunftsthemen ist für die EZB System deutlich wichtiger als Preisstabilität. Denn solange die Inflation oberhalb der Leitzinsen beziehungsweise Anleiherenditen verbleibt, kommt es zu einem Entschuldungseffekt. Aus ihrer Rettungsnummer kommt die EZB nicht mehr heraus.

Die Fed startet die Zinswende und zieht die Geldpolitik an. Die EZB bleibt bei ihrem lockeren geldpolitischen Kurs. Die Notenbanken driften weiter auseinander - welche Folgen hat das?
Mutmaßungen über eine, wenn auch überschaubare Leitzinswende in den USA - von der die EZB sehr weit entfernt ist - stärken den Dollar. Dieser kommt der Fed angesichts steigender Importpreise durchaus zugute. Schließlich stärkt er die amerikanische Kaufkraft und dämpft den importierten Inflationsdruck.
Umgekehrt sorgt die Abwertung des Euros für Exportstützung in Europa. Tut man der EZB Unrecht, wenn man unterstellt, dass ihr auch angesichts der Strukturschwächen jede Art der Konjunkturstimulierung wichtiger ist als Inflationsbekämpfung? Wenn man ihre Renditedrückung über fortlaufende Anleiheaufkaufprogramme betrachtet, ist diese Frage klar beantwortet.
Tatsächlich sind Renditeunterschiede ein wesentliches Argument für Wechselkursbewegungen. Derzeit bieten 10-jährige US-Staatsanleihen rund 1,7 Prozentpunkte mehr Rendite als deutsche. Der Euro ist die weichste Hartwährung der Welt.

Mit den jüngsten Gesprächen zwischen US-Präsident Joe Biden und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping zeichnet sich eine erste Entspannung im Streit zwischen den beiden Handelsmächten ab. Welche Chancen sehen Sie für eine künftige Zusammenarbeit?
Es ist zu hoffen, dass es zu einer friedlichen Koexistenz wie damals zwischen Amerika und der Sowjetunion kommt. Doch hinter der "süß-sauren" freundlichen Fassade spielt sich ein erbitterter Wettstreit um die geostrategische Führungsposition ab. Vor allem geht es um wirtschaftstechnologische Führerschaft. Es ist wie in einer kaputten Beziehung. Nach außen ist man freundlich, doch zuhause fliegt das Porzellan. Aber Hauptsache, es kommt zu keiner militärischen Auseinandersetzung.

Könnten deutsche Exportfirmen von einer Entschärfung des Konflikts profitieren?
Jede Entschärfung ist gut, damit sich Import-China nicht immer weiter zurückzieht und die Mauer wiederaufbaut. Grundsätzlich wird China unabhängiger von europäischen Industrieimporten. Vieles können sie immer mehr selbst. Die Absatzmärkte in China werden also immer weniger üppig sein. Insofern muss Europa muss seine eigenen Hausaufgaben machen, eigene politische und (binnen-)wirtschaftliche Stärke aufbauen. Denn die USA zeigen uns ja auch immer mehr die kalte Schulter. America First ist auch eine klar erkennbare Strategie von Joe Biden. Allerdings wissen wir alle, wie schwer sich Europa mit einem eigenen Auftritt tut.

Kürzlich wurde das 550 Milliarden US-Dollar schwere Infrastrukturprogramm von Präsident Biden durch den Kongress genehmigt. Was bedeutet das für die USA und auch weltweit?
Die USA wollen die Zukunft gewinnen. Von den wirtschaftlichen Revolutionen Digitalisierung und Dekarbonisierung wollen sie sich große Stücke sichern. Das bedeutet einerseits, dass High-Tech und Klimaschutz global richtig Wumms bekommen, auch als Anlagethemen an der Börse. Andererseits muss Europa aufpassen, nicht den Anschluss zu verpassen. Denn die klassische alte Industrie allein wird den zukünftigen Wohlstand nicht sichern.

Das Vereinigte Königreich ist Anfang 2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. In den vergangenen zwei Jahren hat sich viel getan. Wie schätzen Sie die aktuelle Beziehung ein und wie geht es weiter?
Der Brexit war ein wirtschaftlicher Fehler. Aus meiner Betrachtung geht es den britischen Bürgern wirklich nicht gut. Daher bin ich allgemein kein großer Freund britischer Aktien. Allerdings scheint die Empire-Romantik so wichtig zu sein, dass man Wohlfahrtsverluste in Kauf nimmt. Die Beziehungen zwischen EU und UK sind abgekühlt wie bei einem alten Ehepaar. Aber Reisende soll man nicht aufhalten. Die EU muss ihren eigenen Weg beschreiten und sollte den Briten nicht zu sehr entgegenkommen. Sie muss markt-, und nicht staatswirtschaftliche Reformen durchführen, sich nicht immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen und sich nicht nur auf die EZB verlassen. Ansonsten geht es dem alten Kontinent in einer brutal wettbewerbsfähigen Welt auch an der Börse immer schlechter.

Wie sollten sich Anleger in einem inflationären Umfeld positionieren?
Die ausbleibende Renaissance attraktiver Zinsen unter anderem wegen Überschuldung und Verhinderung einer Euro-Sklerose hält den Anlagenotstand pro Aktien aufrecht. Übrigens sollte man Anleihen erst dann kaufen, wenn die Zinsen den Gipfel erreicht haben. Denn dann kommt man neben dem soliden Kupon auch noch in den Genuss von Kursgewinnen. Erschwerend für Zinstitel kommt die Inflation hinzu, die geldpolitisch nicht kompensiert wird.
Für Aktien als Sachkapital hingegen ist die nicht bekämpfte Inflation wie beim Bobfahren ein starker Anschieber. Wenn Inflation nicht bekämpft wird, ist sie kein Feind des Aktienmarkts, sondern ihr bester Freund.
Ohnehin sind die langfristigen Fundamentalaussichten vielversprechend. Mit der industriellen Revolution 4.0 und der Dekarbonisierung erleben wir gleich zwei dramatische Strukturbrüche, die der Weltwirtschaft noch lange reichlich Nahrung geben. Insofern kommen auch High-Tech- sowie Klimaschutz-Aktien in den Genuss einer langanhaltenden Sonderkonjunktur.
Um Gold muss man sich keine Sorgen machen. Zwar hält ein gewisser Inflationsdruck Ängste vor Liquiditätsdrosselungen und Leitzinserhöhungen aufrecht. Doch bleiben negative Realzinsen und die weiter steigende Überschuldung nachhaltige Preistreiber. Zudem hält die Diversifizierungspolitik der Notenbanken aus beispielsweise Indien, Brasilien oder Russland in das sachkapitalistischste aller Anlagegüter unvermindert an, um die Abhängigkeit von US-Staatspapieren zu mildern.
Offensichtlich werden auch Krypto-Anlagen als nicht beliebig vermehrbare Güter immer mehr als Stabilitätsanlage eingeschätzt. Ebenso scheinen sie operativ eine Aufwertung zu erfahren. So könnte die offizielle Anerkennung von Bitcoin als Zahlungsmittel in einem strukturschwachen Land wie El Salvador Nachahmer finden. Ein vom US-Dollar unabhängiges Zahlungssystem für Entwicklungsländer würde überlebenswichtige Überweisungen von im Ausland Arbeitenden an ihre Familien deutlich vereinfachen und dramatisch vergünstigen.
Währenddessen liefert Ethereum als Nummer zwei unter den Kryptos die Grundlage für neue und innovative Technologien, die klassische Geschäftsmodelle verdrängen. So könnte Ethereum zur Standardplattform für Anwendungen in den Bereichen dezentraler Buchungsportale oder Finanzdienstleistungen mit weitgehender Ausschaltung von Zwischeninstanzen werden. Vorteile wären geringere Fixkosten, eine bessere Markttransparenz durch eine bessere Erfassung von Handelsströmen und eine wesentlich höhere Abwicklungsgeschwindigkeit.
Neue Allzeithochs sind damit 2022 zwar möglich, auch weil die allgemeine Liquiditätsausstattung hoch bleibt. Doch zeigt 2021 erneut, dass aus Krypto-Bullen auch schnell wieder -Bären werden. Nicht zuletzt wird die zunehmende Regulierung gewissen Stilblüten das Wasser abgraben. Damit wird die Krypto-Welt zwar hoffähiger, doch werden ebenso die Pioniergewinne seltener. Grundsätzlich sind Krypto-Anlagen kein Ersatz für klassische Anlageformen wie Aktien. Aber wer die enorme Volatilität aushält, kann mit ihnen spekulieren.

Der DAX wurde im September von 30 auf 40 Werte aufgestockt. Das bedeutete auch im MDAX und SDAX massive Veränderungen. Wie bewerten Sie diese Neuerungen in den ersten Monaten seit Umstellung?
Mit seinen nun 40 statt 30 Werten ist der deutsche Leitindex DAX zeitgemäßer geworden. Die Bedeutung der klassischen Old Economy nimmt ab, die in den letzten Jahren ohnehin Handicaps aufwies: Banken (Finanzkrise), Automobile (Dieselskandal) und die Versorger (fossile Energieträger). Jetzt kommen neue Wachstumssektoren wie e-Commerce oder Biotechnologie hinzu. Insofern erhält der DAX eine Frischblutzufuhr. Aber auch mit 40 Werten ist der Leitindex kein Eins-zu-Eins-Abbild der deutschen Wirtschaft. Es fehlt eine echte, auch politisch gewollte Aktienkultur wie in den USA oder der Schweiz. So lässt BioNTech die Finger vom deutschen Kapitalmarkt und zieht es vor, in Amerika notiert zu sein. Und auch viele deutsche Weltmarktführer mit ihren großartigen Geschäftsmodellen denken gar nicht daran, aktiennotiert zu sein.
Auf den ersten Blick ist der DAX der große Gewinner gegenüber dem MDAX. Schließlich hat er jene Unternehmen aufgenommen, die den MDAX gegenüber dem DAX lange Zeit outperformen ließen. Tatsächlich liegt der DAX in puncto Wertentwicklung seit Indexumstellung klar vorne.
Zukünftig jedoch wird sich der Fokus auf (Mittelstands-)Werte mit größerem zyklischem Wachstumspotenzial verschieben, um die uns die Welt immer noch beneidet. Denn der absehbare wirtschaftliche Aufschwung wird die konjunktur- und exportsensiblen Aktien begünstigen. Gemeinsam mit einer steigenden Gewichtung von IT- und Kommunikationsdienstleistern sind die längerfristigen Aussichten des MDAX daher vielversprechend.

Mit welchem DAX-Stand rechnen Sie Ende 2022?
Auch 2022 führt an Aktien kein Weg vorbei. Es spricht nichts dagegen, dass der DAX die 17.000-Punkte-Marke knackt. Glück auf!