Das Übernahmeangebot von 15,03 Euro, das ihnen Centrotec-Gründer und Mehrheitsaktionär Guido Krass unterbreitet hat, halten sie für eine Frechheit. Es soll zwar dem gesetzlichen Mindestpreis entsprechen, also dem Durchschnittskurs der zurückliegenden sechs Monate, es liegt aber deutlich unter den Aktienkursen vor Bekanntgabe der Delisting-Pläne von rund 18 Euro. Von den Centrotec-Aktionären hagelt es deshalb Kritik, auch die Redaktion von BÖRSE ONLINE erhielt dazu zahlreiche Zuschriften von verärgerten Anteilseignern, die sich vom Unternehmen betrogen fühlen.

Krass begründet den Rückzug unter anderem damit, dass "die Komplexität einer Börsennotiz für ein Unternehmen unserer Größe nicht mehr tragbar ist". Eine ganze Rechtsabteilung müsse beschäftigt werden, um keine Fehler zu machen. Und zur Finanzierung brauche Centrotec den Kapitalmarkt sowieso nicht mehr, so Krass.

"Das ist wie Pest oder Cholera"


Nach Einschätzung von Jürgen Kurz von der Aktionärsvereinigung DSW gibt die derzeitige Rechtslage Aktionären wenig Handhabe, gegen ein Delisting beziehungsweise Abfindungsangebot vorzugehen. "Sie können das Angebot annehmen oder ablehnen, das ist wie Pest oder Cholera", sagt Kurz. Wer Aktionär bleibe, behalte eine kaum noch handelbare Aktie und sei auf Gedeih und Verderb dem Großaktionär ausgeliefert.

Ähnlich wie Corporate-Governance-Experte Christian Strenger (siehe Interview rechts) spricht sich auch Jürgen Kurz für Gesetzesänderungen aus. So sollte für ein Delisting anders als bisher ein Beschluss der Hauptversammlung zwingend sein. "Vor allem aber sollte das Übernahmeangebot über ein Spruchverfahren von einem unabhängigen Gutachter gerichtlich überprüft werden können." Aussichten auf eine rasche Neuregelung bestehen Kurz zufolge allerdings nicht. Machen Fälle wie Rocket Internet und Centrotec jedoch Schule, könnte sich das ändern.


Interview mit Ex-DWS-Chef Christian Strenger: "Faktische Enteignung"


Delisting-Fälle wie Rocket Internet und Centrotec könnten Schule machen, warnt Christian Strenger (77). Der Corporate-Governance-Experte erläutert, wie dreist die Aktionäre dabei mitunter abgezockt werden und welche Möglichkeiten er sieht, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Strenger war von 1991 bis 1999 Chef der Fondsgesellschaft DWS, später Aufsichtsrat bei Evonik, Fraport, Metro und TUI. Der gebürtige Baden-Badener ist Gründungsmitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex und leitet das Corporate Governance Institut an der Frankfurt School.


BÖRSE ONLINE: Centrotec hält sich bei seinem Delisting augenscheinlich an die Regeln. Wie beurteilen Sie den Fall?
Christian Strenger: Nach Rocket Internet ist Centrotec ein weiteres Beispiel dafür, wie eine - isoliert betrachtet - legale Maßnahme aktionärsfeindlich ausgenutzt wird. Denn der auch von Centrotec herangezogene Sechsmonatsdurchschnittspreis entspricht zwar den gesetzlichen Vorgaben, er bildet aber den wahren Wert der Aktie bei Weitem nicht ab und errechnet sich nur durch den Corona-Crash so niedrig.

Wie groß ist der Schaden der Aktionäre?
Das Unternehmen musste für das Delisting eigentlich nur abwarten, bis der Aktienkurs entsprechend niedrig war. Im Fall von Rocket Internet kamen die dominierenden Samwer-Brüder an die Aktien der Minderheitsaktionäre zu einem Preis, der mindestens ein Drittel unter dem wahren Wert lag. Dadurch erzielten sie ohne eigenes Zutun einen Mehrwert von über 200 Millionen Euro.

Sind diese Delisting-Maßnahmen aus Ihrer Sicht juristisch anfechtbar?
Ich halte Anfechtungen für sehr wahrscheinlich. Die Dominanz des Großaktionärs hat die faktische Enteignung der Minderheitsaktionäre erst ermöglicht. Juristisch wird es darauf ankommen, dass das Gericht die - gemessen am tatsächlichen Unternehmenswert - unzureichende Gegenleistung als eine von Interessenkollisionen geprägte und damit unzulässige Konstellation beurteilt.

Sollte es auch strengere Regeln geben, also zum Beispiel beim Delisting eine unabhängige Unternehmensbewertung Pflicht sein?
Der Gesetzgeber hat bei der Verabschiedung der Delisting-Regeln 2015 solche Effekte sicher nicht gewollt. Ich halte sie auch für verfassungsmäßig bedenklich. Die krasse Benachteiligung von Minderheitsaktionären sollte schnellstens geändert und eine Bewertung etwa wie bei Gewinnabführungsverträgen eingeführt werden, damit sich vor allem bei deutlichen Kursrückgängen derartige Fälle nicht wiederholen.