Rudolf Münemann kam 1908 in Berlin zur Welt. Eigentlich hatte er davon geträumt, Rechtsanwalt zu werden. Aber der Konkurs seines Vaters zerstörte seine Pläne: Vater Münemann, ein ehemaliger Einkäufer bei Karstadt, hatte eine Textilgroßhandlung mit 56 Filialen gegründet, die aufgrund einer Fehlspekulation im Baumwollgeschäft pleitegegangen war. Daraufhin ließ er seinen 18-jährigen Sohn Rudolf für mündig erklären, sodass der Junior bei einem Hamburger Geschäftsmann 50 000 Mark Kredit aufnehmen und die kleinste Filiale aus der väterlichen Konkursmasse erwerben konnte, ein Textilgeschäft in der Kleinstadt Alfeld bei Hannover. Aber die Umsätze waren mager. 1928, nach nur zwei Jahren, gab er das Geschäft auf und zog mit der Familie nach München.
Rudolf Münemann, dessen Markenzeichen ein schmaler Oberlippenbart war, schaffte es, sein kümmerliches Kleinkontor innerhalb weniger Jahre zu einem dynamischen Unternehmen mit 800 Millionen Mark Bilanzsumme hochzuziehen. Sein Erfolgsrezept: Er bot den Versicherungsunternehmen einen Weg an, ihre Geldreserven in die Industrie einzuschleusen, indem erstrangigen Industriefirmen langfristige Darlehen gegen Schuldscheine und angemessene Sicherheiten zur Verfügung stellte. Die Versicherungsunternehmen durften nämlich mit den Geldern der Versicherten nicht an der Börse spekulieren, sondern mussten die Millionen mündelsicher anlegen - beispielsweise in Immobilien, Hypotheken oder Pfandbriefen.
Münemann legte sich nun den anspruchs vollen Titel "Industriefinanzier" zu. Seiner Frau, der Münchner Arzttochter Lucia Minck, versprach er vor den Flitterwochen, das schönste Auto, das schönste Haus in München und den schönsten Schmuck zu kaufen. Das Versprechen konnte er dann erst viel später einlösen. Er musste damals sogar häufig auf die Mitgift der Arzttochter zurückgreifen, um Verluste aus dem Maklergeschäft auszugleichen. "Eine andere Frau schlief damals jede Nacht in meinem Bett - Frau Sorge. Ich bin gehämmert und gehärtet worden", erklärte Münemann einst.
1938 machte er seine erste Million, die sich dann während des Krieges vervielfachte. Er hatte ein Finanzierungssystem erfunden, das bei den Banken massive Kritik hervorrief. Er ging dazu über, aus "heißem Geld" langfristige Industriekredite zu produzieren. Als "heißes Geld" bezeichnen die Banken jene Gelder, die ihnen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden. Außenseiter Münemann, der keine reguläre Bankausbildung hatte, transformierte das zinsbillige Geld mit dem sogenannten "Revolving-System" durch ständiges Revolvieren (Erneuern) der kurzfristigen Kredite in langfristige Kredite. "Er vermittelte beispielsweise einem Industrieunternehmen wie Mannesmann einen Kredit von 40 Millionen Mark auf die Dauer von zehn Jahren", schrieb der "Spiegel".
"Den Betrag schuldete die Gesellschaft einer großen Zahl von Geldgebern, etwa 60 Versicherungsgesellschaften, und zwar jeweils auf die Dauer von einem Monat bis zu einem halben Jahr. Wird ein Einzelkredit fällig, so muss er, durch Vermittlung des Maklers, entweder verlängert oder durch den Kredit eines anderen Geldgebers ersetzt werden. Der Makler verpflichtet sich, ‚mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes‘ dafür einzustehen, dass im Falle der Kündigung stets ein anderer Kredit nachgeschoben wird, sodass der vereinbarte Gesamtbetrag immer verfügbar bleibt."
Münemanns Ruf hing davon ab, dass die Kette der Geldgeber nicht abriss. Er musste also stets rechtzeitig neue Kredite nachschieben können, was ihm anfänglich auch problemlos gelang. Das "Revolving-System" brachte sowohl dem Kreditgeber als auch dem Kreditnehmer Vorteile. Die Geldgeber erhielten für das kurzfristig zur Verfügung gestellte Geld etwa das Doppelte der banküblichen Zinsen. Und der Kreditnehmer musste für das Schuldscheindarlehen fünf bis sechs Prozent Zinsen bezahlen - ein normaler Kontokorrentkredit würden den Schuldner jedoch 8,5 Prozent kosten. Münemann profitierte vorwiegend von der Zinsdifferenz, die er offiziell als Vermittlungsgebühr deklarierte. Während des Zweiten Weltkriegs beschaffte er mit seinen Revolving-Krediten Kapital für die deutsche Rüstungsindustrie.
Bis das Geld in der deutschen Wirtschaft mit dem steigenden Sozialprodukt tatsächlich verdient wurde, vergingen noch Jahre. Die zerstörte deutsche Industrie aber brauchte dringend Kapital, Münemann beschaffte dieses Geld.
Er warb damit, seinen Kunden besser als jede Bank "Kreditsysteme nach Maß" zu beschaffen. "Ich bin der Mann, der die Maßanzüge macht. Man braucht mir nur zu sagen, welches Modell. Ich mache Einreiher, Zweireiher und, wenn es sein muss, auch Fräcke. Bitte sehr, meine Herren." Die Banken bemühten sich jahrelang, Münemanns Finanzierungsmethoden als "Hasardspiel" zu entlarven. Vor allem der Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs behandelte Münemann wie einen Parvenü. Der reagierte sarkastisch und kokettierte mit seiner Tüchtigkeit: "Ich bin ja nur der kleine Mann von der Straße, der Makler, und nicht der großmächtige Herr Abs, der Pastorensohn. Ich habe nicht einmal Abitur."
Rudolf Münemann machte es seinen Gegnern allerdings oft leicht, weil sein gesellschaftliches Verhalten so gar nicht dem Bild entsprach, das man sich von einem seriösen Bankier machte. Er fuhr grundsätzlich nur Cadillacs, beschäftigte Angehörige des Hochadels als Gehilfen und gehörte zu den ersten Mitgliedern von Münchens ältestem Strip-Lokal, dem "Madam Club". Am Starnberger See ankerte seine Motoryacht.
Münemann musste im Januar 1970 wegen Zahlungsunfähigkeit aufgeben, denn als die Zinsen Ende der 60er-Jahre zu steigen begannen, wurde seine Refinanzierung von Mal zu Mal teurer. Die Rechnung ging am Schluss nicht mehr auf. "Ironie des Schicksals: Genau die gleiche Klippe, an der Münemann gescheitert ist, war bei den meisten Banken in der Zeit steigender Zinsen der Jahre 1979 und 1980 die heimtückischste Verlustquelle: das Zinsänderungsrisiko", schrieb die "Zeit" - "als ob Rudolf Münemann, der sich zeitlebens von den Banken verfolgt fühlte, späte Rache genommen hätte".