Die Schweiz gilt als sicherer Hafen für Anleger. Der stabile Schweizer Franken, international ausgerichtete Banken, klare Eigentumsrechte und ein schlanker Staat sprechen für den Anlagestandort. Lange war die Schweiz aber auch ein Hort für Steuersünder, die dort ihr Schwarzgeld bunkerten. Schweizer Banken versprachen Diskretion, das Bankgeheimnis galt lange Zeit als eines der sichersten weltweit und wurde auch nicht für ausländische Steuerfahnder bei Verdacht der Steuerhinterziehung aufgehoben.
Ausländische Anleger, darunter viele Deutsche, schauten deshalb nicht allzu genau auf die Höhe der Kosten der angebotenen Anlageprodukte. Um in den Genuss des Bankgeheimnisses zu kommen, waren Steuersünder bereit, die hohen Kosten der eidgenössischen Banken und Vermögensverwalter zu bezahlen. Die machten dann auch mit ihren ausländischen Kunden oft glänzende Geschäfte.
Beliebt war - wie damals übrigens auch in Deutschland - die Kick-back-Methode: Dabei kassierten die Vermittler nicht nur die offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen ein. Ihnen flossen zudem in der Regel auch sogenannte Kick-backs (auch Rückvergütungen oder Retrozessionen genannt) zu, die die Produktanbieter aus den von den Anlegern abgezwackten überhöhten Verwaltungskosten finanzierten. "Üblich war es, dass Schweizer Banken und Vermögensverwalter für die Vermittlung von Fonds, strukturierten Produkten, Obligationen Kick-back-Provisionen in der Höhe von 0,5 bis zwei Prozent von den Produktanbietern kassierten", erklärt Klaus Rotter von der auf Anlegerschutz spezialisierten Münchner Kanzlei Rotter Rechtsanwälte. Eine Vorstellung über die Höhe der Retrozessionen gibt die Beispielrechnung unten in der Tabelle.
Viele deutsche Steuersünder haben mittlerweile ihr Schwarzgeld von der Schweiz abgezogen und nachversteuert. Denn am 6. Mai 2014 trat die Schweiz der Erklärung der OECD über den künftigen automatischen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten bei. Seither leisten die Eidgenossen Amtshilfe bei allen Steuerdelikten, also auch im Fall des zuvor ausgenommenen Tatbestands der Steuerhinterziehung.
Enorme Summen
Dass es sich dabei um erhebliche Summen handelt, legt die Schätzung des Genfer Brokers Helvea nahe: 2010 lagen demnach auf Schweizer Konten Schwarzgelder von Bürgern der Europäischen Union in Höhe von 880 Milliarden Schweizer Franken (830 Milliarden Euro), davon rund 220 Milliarden Franken von Anlegern aus Deutschland.
Durchaus viel Geld, das sich der ausländische Fiskus wenigstens zum Teil zurückholen wollte. Durch den spektakulären Geheimnisverrat ehemaliger Mitarbeiter von Schweizer Banken wie Bradley Birkenfeld und Hervé Falciani (im Zuge des sogenannten Swiss-Leaks-Skandal) gelangten Kontodaten von Steuerhinterziehern an deren Heimatfinanzämter in den USA und Frankreich.
2010 kauften zudem Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen auf Anweisung des damaligen Finanzministers ihres Bundeslandes, Norbert Walter-Borjans (SPD) - heute SPD-Bundesvorsitzender -, eine CD mit gestohlenen Kundendaten der Credit Suisse. Schließlich beugte sich die Schweiz dem internationalen Druck der Hochsteuerländer und gewährte die erwähnte Amtshilfe.
Die deutschen Steuerbetrüger sahen sich in ihrem Vertrauen zur Schweizer Bankenwelt getäuscht und doppelt bestraft: Sie mussten nicht nur dem deutschen Fiskus die vorenthaltenen Steuern und Strafzahlungen leisten, sondern waren zudem noch durch die Kick-back-Masche von vielen Schweizer Banken abgezockt worden. Betroffen sind aber auch steuerehrliche Anleger, deren Bedürfnis nach einem sicheren Anlageort des stabilen Schweizer Franken von den Anlagevermittlern in der Schweiz ausgenutzt wurde.
Immerhin besteht eine gute Chance, die an die Vermittler gezahlten Kick-backs zurückzubekommen. Denn wie in Deutschland wurden auch in der Schweiz höchstrichterliche Urteile gefällt, die sich gegen die Vertuschung von Kick-backs richten und zur Rückzahlung dieser an die Anleger verpflichten.
So entschied das Schweizer Bundesgericht im Jahr 2006, dass die von den Vermittlern der Banken und Vermögensverwalter von konzernfremden Produktanbietern erhaltenen Retrozessionen den Kunden zustehen. 2012 stellte das Gericht zudem klar, dass auch Kick-backs von konzerninternen Produktanbietern an die Anleger zurückgezahlt werden müssen.
Informationen für betroffene Anleger und einen Musterbrief zur Herausgabe der Retrozessionen stellt beispielsweise die Stiftung Konsumentenschutz in Bern auf ihrer Internetseite zur Verfügung (www.konsumentenschutz.ch/wie-kann-ich-retrozessionen-zurueckfordern). Dennoch mauern viele Schweizer Banken und Vermögensverwalter, wenn ihre Kunden die Herausgabe der Kick-backs fordern. Oft bluffen sie, um die Geschädigten abzuwimmeln, oder sie setzen auf eine Verschleppungstaktik, in der Hoffnung, dass die gerechtfertigten Forderungen sich durch Verjährung erledigen werden.
Zudem werden weiterhin Retrozessionen von Banken und Vermögensverwaltern einbehalten. Denn auch unter der neuen Regulation Fidleg können diese einkassiert werden, wenn transparent informiert sowie die Zustimmung des Kunden zum Verzicht eingeholt wird. Dafür muss die Bank zuvor lediglich informieren, wie viele Retrozessionen bei jeder Anlageklasse, etwa Derivate, Optionen oder Fonds, anfallen.
Gemäß dem Urteil des Schweizer Bundesgerichts ist der Anspruch auf eine Rückerstattung von Retrozessionen nach zehn Jahren verjährt. Maßgebend für die Berechnung der Frist ist der Zeitpunkt, zu dem die Bank oder der Vermögensverwalter die Retrozession selbst erhalten hat. Liegt dieser Zeitpunkt mehr als zehn Jahre zurück, ist der Anspruch verjährt.
Verweigerungshaltung der Banken
Etliche Banken lassen es mit ihrer Verweigerungshaltung auf eine Klage ankommen, da viele Betroffene vor dem Prozessrisiko zurückscheuen und dann auf ihre Forderung verzichten. "Ein Prozess in der Schweiz kann zu hohen Kosten führen, zudem ist der Gegenseite eine Aufwandsentschädigung zu bezahlen", erläutert Rechtsanwalt Rotter. Außerdem könne das Gericht vom Kläger einen Vorschuss für die Gerichtskosten verlangen.
Dieser Vorschuss würde selbst im Fall des Obsiegens nicht zurückerstattet, sondern müsse zusammen mit der Parteientschädigung bei der unterlegenen Gegenpartei eingefordert werden. "Aktuell ist die Rückforderung daher für Anleger im Alleingang nur schwer möglich, sodass es sinnvoll ist, mit spezialisierten Dienstleistern zusammenzuarbeiten", empfiehlt Experte Rotter.
Solche auf die Rückforderung von Retrozessionen spezialisierte Dienstleister sind zum Beispiel die De Jure AG oder die Liti-Link AG. Sie fordern für Kunden oder ehemalige Kunden der Schweizer Banken die rechtswidrig einbehaltenen Gelder zurück. "Ab einen Anlagebetrag von 150 000 Schweizer Franken nehmen wir die Aufträge von Kunden an, sofern ihre Ansprüche nicht verjährt sind - also ihr Vermögen während der letzten zehn Jahre bei einer Schweizer Bank oder einem Schweizer Vermögensverwalter angelegt war", erläutert Liti-Link-Chef Hubert Schwärzler.
Für die effiziente Abwicklung und die Übernahme des Prozessrisikos erhebt das Unternehmen eine Erfolgsbeteiligung von 40 Prozent am Nettoerlös der zurückgeforderten Retrozessionen. Haben die Anleger im ersten Schritt ihre Ansprüche an Liti-Link abgetreten, stoppt diese durch einen formalen Ablauf zunächst die Verjährung und prüft die Höhe der Ansprüche, um sie dann durchzusetzen. Der Kunde bekommt im Erfolgsfall dann 60 Prozent der Ansprüche ausgezahlt.
Ist keine Rückforderung möglich, trägt Liti-Link das Risiko und für die Mandanten entstehen keine Kosten. "Wir haben bislang rund 900 Aufträge von privaten und institutionellen Anlegern erhalten, wovon ein Drittel abgeschlossen und zwei Drittel noch in Bearbeitung sind", erläutert Schwärzler. Von den 300 abgeschlossenen Fällen endeten rund 90 Prozent mit einer Rückforderung für die Kunden.
ulrich lohrer