Zurzeit stört der kalte russische Polit-Winter die freundliche Frühlingsstimmung: Statt Lösung ist eher eine Verschärfung der Krim-Krise zu beobachten. Der Westen ist bislang nicht bereit, die historisch gewachsenen Machtinteressen Russlands in Europa - neben einem eisfreien Hafen an der Ostsee der Zugang zum Schwarzen Meer über die Krim - anzuerkennen. So oder so wird die Krim der russischen Föderation beigetreten und die zukünftige Ukraine - sofern sie ein einheitliches Gebilde bleibt - keinen anti-russischen Kurs fahren. Dieses klinische Reinhalten des eigenen politischen Vorgartens wird übrigens auch von den USA praktiziert. So hat die Supermacht 1983 - man könnte noch weitere Beispiele nennen - über eine Invasion der Karibikinsel Grenada das dortige marxistische Regime entfernt. Wer machtpolitisch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.
Westliche Politiker leiden unter Realitätsverlust, wenn sie auch nur eine Sekunde annehmen, dass Putin in der Krim-Frage nachgeben wird. Ein Charakter wie der gute Vladimir - der umfragetechnisch auf Wolke sieben schwebt - verlöre dann nämlich sein glänzendes Profil. Will der Westen nicht Opfer seiner eigenen harten Sanktions-Rhetorik werden, muss er den gesichtswahrenden Rückzug antreten und Realitäten schlucken. Dann wäre die Krim-Krise bald beigelegt und es gäbe Krim-Sekt an den Aktienbörsen. Ansonsten muss der Westen Sanktionen umsetzen, um bei der tatsächlichen Annektion der Krim kein Glaubwürdigkeitsproblem zu bekommen.
Dann spielen wir Sanktions-Pingpong: Auf Ohrfeigen des Westens folgen Watschen durch Russland und umgekehrt. Spätestens bei einer rationierten russischen Gasversorgung würde uns die deutsche Energiewende doppelte Schmerzen verursachen. Und die immer wichtiger werdenden russischen Absatzmärkte entwickelten sich zu sibirischen Eiswüsten für exportlastige deutsche Unternehmen.
Auf Seite 2: Krim-Krise als Anlass für Kurskorrektur
Krim-Krise als Anlass für Kurskorrektur
Politische Börsen haben zwar kurze Beine. Doch in diesem Fall ist die Krim-Krise nicht die Ursache für die Aktienkurskorrektur, sondern eher der Anlass für viele Investoren, die eigene Strategie zu überdenken, Buchgewinne zu sichern und anschließend das Anlage-Pulver erst einmal trocken zu halten. Angesichts der dramatischen Entwicklung in der Ukraine könnten so manche, von den Marktteilnehmern lange Zeit eingeschläferten Unsicherheitsfaktoren wieder aufgeweckt werden.
Wird nicht selbst unsere strahlende deutsche Wirtschaftssonderzone, die chinesische Wunderkonjunktur, mittlerweile von enttäuschenden Wirtschaftsdaten gebeutelt? Haben die in China nicht ohnehin die Mutter aller Kredit- und Immobilienblasen? Laut Schätzungen sollen im Reich der Mitte ca. 64 Mio. Wohneinheiten leer stehen. Und wenn schon China schwächelt, wie muss es erst in anderen Schwellenländern aussehen, die bis dato ebenso auf deutsche Autos, deutsche Maschinen und deutsche Chemieprodukte standen?
Und wenn das realwirtschaftliche Umfeld nicht mehr tadellos ist, wie ist dann eine sportliche Aktienbewertung des DAX von derzeit etwa dem 13,3-fachen des Gewinns (KGV-Methode) noch zu halten? Und dann noch ein Aktienzweifel: In der Historie hielten Aktienaufschwünge im Durchschnitt ca. viereinhalb Jahre. Da unser jetziger seit Frühjahr 2009 läuft, hatte er historisch betrachtet doch kaum mehr Restlaufzeit. Noch Fragen über die Rechtfertigung aktuell sinkender Kurse?
Auf Seite 3: Die ordinären Aktien-Probleme sind zu lösen
Die ordinären Aktien-Probleme sind zu lösen
Bei aller negativen Anlegerpsychologie sollte man dennoch ein zweites Mal hinschauen. Weil China grundsätzliche Probleme im Immobiliensektor hat, baut es - andere Emerging Markets übrigens auch - stabile Binnenkonjunkturen auf, die ein nachhaltiges, aber gesundes Wirtschaftswachstum ermöglichen, wenn auch nicht mehr so dramatisch hoch, dafür aber auch nicht mehr so überhitzt und platzanfällig.
Jetzt zur Bewertung: Ja, DAX und MDAX sind nicht mehr billig. Aber was ist denn mit der anderen großen Anlageklasse, dem Rentenmarkt? Fünfjährige deutsche Staatspapiere haben momentan ein KGV von ca. 150! Niemand sollte von Aktien-, sondern Rentenblase sprechen.
Meiner Meinung nach werden die Wertpapierbewertungen unisono auch zukünftig üppig bleiben, weil auch die Geldpolitik üppig bleibt. Und wenn die Anleger kein Problem mit KGV’s von 150 am Rentenmarkt haben, braucht sich niemand über ein Aktien-KGV von 13,3 zu beschweren. Man sollte nicht mit zweierlei Maß messen.
Immerhin können die Aktien noch mit dem Pfund Dividende wuchern. Sie verfügen über Dividendenrenditen, denen gegenüber sich die mickrigen nach Inflation Nullkommanix-Zinsen eigentlich verneigen müssten. Aber selbst wenn alle Hörhilfen auf volle Leistung gestellt würden, werden Sie nie von deutschen Finanzpolitikern die folgenden Worte hören "Liebe Anleger, gehen Sie raus aus Staatspapieren und rein in Aktien". Warum auch, der rasante Absatz von Bundeswertpapieren, der dem Bund über günstige Zinsen 2015 einen ausgeglichenen Haushalt beschert, soll ja bloß nicht stocken.
Mit der üppigen Geldpolitik lässt sich übrigens auch das Argument eines vermeintlich zu langen Aktienaufschwungs entkräften. Aktienhaussen werden durch lockere Geldpolitik geboren und wachsen durch sie auf. Später sterben sie durch Zinserhöhungen, nämlich wenn die Konjunktur ausreichend genug Tritt gefasst hat. Es wird aber immer später später, weil wir die Happy Hour der Konjunktur noch längst nicht erreicht haben. Außerdem, haben Sie etwa den Eindruck, dass die Finanzwelt grundsätzlich ohne geldpolitischen Schutz auskommt? Die im Trend lange Aktienaufwärtsbewegung seit 2009 wird jedenfalls nicht durch eine restriktive Notenbankpolitik das Zeitliche segnen.
Auf Seite 4: Trotz Krim-Krise regelmäßige Aktiensparpläne unbedingt weiterführen
Trotz Krim-Krise regelmäßige Aktiensparpläne unbedingt weiterführen
Das sind alles gute Argumente für Aktien. Dennoch brauchen wir zur Beruhigung der Anlegerpsychologie eine diplomatische Lösung der Krim-Krise. Einstweilen sollten wir unsere regelmäßigen Aktiensparpläne weiterführen. Nennen wir es die kontrollierte Aktien-Offensive. Bei schwächeren Kursen können wir uns immerhin damit trösten, dass es mehr Aktienanteile für das gleiche Geld gibt.
Gerade schaue ich aus dem Fenster heraus. Der Frühling lässt sich nicht mehr aufhalten. Auf einen langen russischen Wintereinbruch an den Aktienmärkten im Frühling kann ich gerne verzichten.
Rotes Telefon, versage bloß nicht!
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.