Als Überraschung kann das Ergebnis des Verfassungsreferendums kaum bezeichnet werden: 77,9 Prozent der abgegebenen Stimmen votierten zu Monatsbeginn für die geplante Gesetzesänderung, mit der Wladimir Putin zwei weitere Amtszeiten bis zum Jahr 2036 Präsident bleiben und die Geschicke Russlands lenken kann. Internationale Beobachter zweifeln diese Zahlen allerdings an.
So dürfte der Kreml nicht nur Einfluss auf große Wählergruppen genommen, sondern Daten auch geschönt haben. Gleiches dürfte auch für die Daten gelten, die das Land seit Monaten in Bezug auf die CoronaPandemie veröffentlicht. Offiziell haben sich bis zur vergangenen Woche mehr als 700 000 Menschen in Russland mit Covid19 angesteckt. Anfang Juli war die Zahl der Toten über die Marke von 10 000 gestiegen. Nur die USA, Brasilien und Indien verzeichnen bislang mehr Fälle. Allerdings dürfte die Zahl der tatsächlich Erkrankten im gemessen an der Bevölkerung neuntgrößten Land der Erde weitaus höher liegen. Doch zu hohe Infektionszahlen würden den Kreml unter Druck setzen, wieder umfangreichere Einschränkungen des öffentlichen Lebens anzuordnen. Schon Ende März, als auch Russland eine rasche Verbreitung des Virus nicht mehr leugnen konnte, tat sich die Regierung mit konsequenten Maßnahmen schwer. Weder Notstand noch landesweite Ausgangsbeschränkungen wurden ausgerufen. Vielmehr schickte Putin alle Arbeitnehmer bei vollem Lohn in den Zwangsurlaub - auf Kosten der Arbeitgeber. Seit Mitte Mai ist die "arbeitsfreie Zeit" in Russland offiziell beendet, die Verantwortung für regionale Maßnahmen liegt seither bei den Gouverneuren.
Niedriger Ölpreis bereitet Sorgen
Der frühere Ministerpräsident Dmitri Medwedew, heute stellvertretender Leiter des Sicherheitsrats, spricht von gleich drei Wirtschaftsschocks, die das Land derzeit zu verkraften habe. Neben den inneren Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der gesunkenen Nachfrage nach russischen Gütern aus dem Ausland leidet Russland vor allem unter den niedrigen Preisen für Öl und Gas. Mit deren Verkäufen finanziert sich ein großer Teil des Staatshaushalts. Zwar betonte Finanzminister Anton Siluanow zuletzt, Russland könne über einen Zeitraum von sechs bis zehn Jahren selbst mit einem Ölpreis von 25 bis 30 US-Dollar je Barrel leben. Den Gürtel nochmals deutlich enger schnallen müssten Staat und Unternehmen aber in jedem Fall. Noch schütten russische Ölund Gaskonzerne wie Lukoil hohe Dividenden an die Aktionäre aus. Für das erste Quartal meldete das Unternehmen einen Umsatzrückgang um 6,4 Prozent, der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen brach sogar um knapp die Hälfte ein. Dennoch zählt die Aktie zu den Lieblingen der Analysten.
IT-Branche im Fokus
Zusammen mit der Lockerung der Corona-Einschränkungen und einer Absenkung der Leitzinsen um 100 Basispunkte auf 4,5 Prozent durch die Notenbank nährt die Stabilisierung der Ölpreise die Hoffnung auf eine Erholung der Wirtschaft. Volkswirten zufolge muss diese in diesem Jahr einen BIP-Rückgang zwischen sechs und zehn Prozent verkraften. Für die kommenden drei Jahre rechnet man zwar wieder mit einem Wachstum von jeweils mehr als drei Prozent. Das Vorkrisenniveau würde in diesem Szenario aber erst 2023 wieder erreicht. Während Regierungschef Michail Mischustin ein 64 Milliarden US-Dollar schweres Konjunkturpaket zur Ankurbelung der Wirtschaft ankündigte, plant Präsident Putin Steuererleichterungen für IT-Firmen, die einen Großteil ihrer Erlöse mit Software und Dienstleistungen erwirtschaften. Sektor die Steuern auf Unternehmensgewinne von 20 auf drei Prozent, die Sozialabgaben von 14 auf 7,6 Prozent sinken.
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Bei Yandex und Mail.ru dürften die Pläne des Kremls mit Freude zur Kenntnis genommen worden sein, auch wenn beide Unternehmen 65 Prozent bzw. 40 Prozent der Umsätze heute mit Werbung erzielen. Zumindest einige Teilbereiche dürften die Kriterien erfüllen - etwa die Spieleentwicklungssparte von Mail.ru, deren Umsätze im zweiten Quartal um mehr als ein Viertel im Vorjahresvergleich zugelegt haben sollen. Zur Internetplattform gehört mit VKontakte unter anderem das größte soziale Netzwerk in Russland. Zusammen mit der Sberbank gründete das Unternehmen ein 50/50-Joint-Venture im Bereich Mobilität und Online-Essenslieferdienste. Wie in weiten Teilen der Welt sind auch in Russland die Internet- und Online-Aktivitäten in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Und so zählen auch russische Internetwerte zu den Gewinnern der Corona-Krise. Yandex betreibt die populärste Suchmaschine Russlands und ist auch in den Segmenten Online-Essenslieferungen, autonomes Fahren und Taxi-Dienstleistungen führend. Mit dem Erwerb des 45-Prozent-Anteils an Yandex.Market Group von der Sberbank hat Yandex jetzt auch noch die voll ständige Kontrolle am Internet-Marktplatz übernommen und setzt noch stärker auf den eCommerce-Sektor, der Studien zufolge in den kommenden fünf Jahren ein Marktvolumen von 70 Milliarden US-Dollar erreichen wird. Researchhäuser haben in den vergangenen Wochen die Kursziele für die Aktie erhöht. Darunter die Deutsche Bank, nach deren Einschätzung Yandex die Geschäftsmodelle von Technologiekonzernen wie Google, Uber, Amazon und Spotify in einem Unternehmen vereint.
Vom Internetsektor profitiert auch der Zahlungsabwickler Qiwi, der sich nach dem jüngsten Verkauf der Konsumentenkreditsparte Sovest wieder auf das Kerngeschäft konzentrieren wird. Mit dem Deal hat sich die Gesellschaft nicht nur von Kreditausfallrisiken getrennt, sondern auch noch Liquidität gesichert. JP Morgan rechnet für das kommende Geschäftsjahr mit einem Gewinnsprung um fast 45 Prozent. Die Analysten des britischen Researchhauses Wood & Company bezeichnen Qiwi als einen der am meisten missverstandenen und unterbewerteten Titel des Sektors.