DAS IST LOS IM UNTERNEHMEN:
Klein will zeigen, dass er mit dem nochmals verschärften Kurs beim Umstieg auf Cloudsoftware die richtige Entscheidung getroffen hat. Das bedeutet für die Anleger nach der kassierten Mittelfristprognose aus dem vergangenen Herbst erst einmal, dass eine spürbare Steigerung der viel beachteten operativen Marge noch mindestens bis übernächstes Jahr warten muss: Vorerst will SAP weiter investieren.
Zunächst musste Klein sich nach dem Abtritt von Vorgänger Bill McDermott mit Aufräumarbeiten beschäftigen - das zusammengekaufte Sammelsurium an Cloud-Produkten war aus Kundensicht nicht richtig verzahnt und musste erst einmal integriert werden. Das ist nach Angaben Kleins mittlerweile so gut wie erledigt. Der US-Zukauf Qualtrics ist von den Walldorfern an die Börse gebracht worden, weil Klein für den Marktforscher so größere Chancen sieht als unter dem Konzerndach.
Der Fokus des jüngsten Dax-Chefs liegt nun wieder auf der Cloud - und darauf, die Kunden dazu zu bewegen, auch tatsächlich auf die im Netz nutzbaren Produkte umzusteigen. Dazu hat SAP Anfang des Jahres ein neues Produktbündel namens "Rise with SAP" geschnürt, das den Umstieg spürbar erleichtern soll, unter anderem mit einer einheitlichen Datenbasis für alle Softwarepakete.
Zudem hat SAP den Berliner Softwarespezialisten Signavio übernommen, mit dem die Kunden ihre Geschäftsprozesse besser durchleuchten und verbessern können sollen. Der Münchener Rivale Celonis drohten dem SAP-Konzern in diesem Bereich das Wasser abzugraben. Auch die US-Erzrivalen Salesforce und Oracle rücken SAP verstärkt auf die Pelle. Oracle baut seine Softwaresuite zur Unternehmenssteuerung aus - eine Domäne der Walldorfer. Und Salesforce schlägt mit der geplanten Übernahme des Büro-Messengers Slack nochmal höhere Wachstumsziele an.
Klein sieht jetzt die Chance und die Notwendigkeit, massiv in Technik und Marketing zu investieren, um neue Kundschaft anzulocken und die bestehende an sich zu binden. Das kostet Geld, auch weil Cloudverträge wegen der geringeren Abo-Zahlungen erst nach einigen Jahren bei Umsatz und Gewinn mit Lizenzverkäufen gleichziehen. Dieses Jahr geht SAP beim bereinigten operativen Ergebnis (Ebit) von einem währungsbereinigten Rückgang zwischen einem und sechs Prozent aus, während die Cloud- und Softwareerlöse um ein bis zwei Prozent zulegen sollen.
Weil sich die Wechselkurse aber mitunter deutlich bewegt haben, ging Finanzchef Luka Mucic Mitte Juni davon aus, dass der starke Euro noch einmal zwei bis vier Prozentpunkte beim operativen Ergebnis zusätzlich kosten dürfte. Im schlechtesten Fall würde es damit um zehn Prozent auf rund 7,5 Milliarden Euro sinken (VJ: 8,28 Mrd). Zu konstanten Wechselkursen - also mit den Währungskursen vom vergangenen Jahr - veranschlagt Mucic 7,8 bis 8,2 Milliarden Euro.
Das Wachstum bei den Erlösen soll aus dem Cloudgeschäft kommen. SAP taxiert die Cloudsparte auf ein währungsbereinigtes Wachstum von 14 bis 18 Prozent - mit Luft nach oben, falls der Reisekostenabrechner Concur mit anziehenden Geschäftsreisen wieder Fuß fassen sollte. Auch hier schlägt allerdings wohl der starke Euro zu Buche und kostet 5 bis 3 Prozentpunkte Wachstum. In konstanten Wechselkursen zum Vorjahr kalkuliert SAP mit 9,2 bis 9,5 Milliarden Euro Cloud-Umsatz (VJ: 8,1 Mrd).
Kleins übergeordnetes Ziel: Für 2025 peilt der Konzern einen Gesamtumsatz von 36 Milliarden Euro an (VJ: 27,3 Mrd), wovon die Cloudsparte mit 22 Milliarden den Löwenanteil beitragen soll. Vor allem ab 2023 soll das Wachstum bei Umsatz und Ergebnis anziehen.
Das Zünglein an der Waage könnte im Zwischenbericht zum zweiten Quartal wiederum die Sparte mit der Lizenzsoftware sein, die in der Corona-Krise wechselhaft abschneidet. Vor Ort installierte Software liefert wegen der hohen Einmalpreise hohe Margen - ein etwas besseres Abschneiden kann schon spürbare Auswirkungen haben. Änderungen an den Jahresprognosen von SAP fielen zuletzt aber eher moderat aus.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Die im Auftrag des Unternehmens bis Mittwoch befragten Analysten rechnen im zweiten Quartal mit einem Umsatz von knapp 6,7 Milliarden Euro - was leicht unter dem Niveau des Vorjahresquartals wäre (VJ: 6,74). Das bereinigte operative Ergebnis würde demnach rund 1,87 Milliarden Euro erreichen, fünf Prozent weniger als vor einem Jahr.
Zwar würde die Cloudsparte ihren Erlös um rund zwölf Prozent auf 2,29 Milliarden Euro steigern. Bei den Lizenzen sieht es aber mit einem Rückgang von rund 20 Prozent auf 622 Millionen Euro weniger rosig aus. Dies würde wegen des schrumpfenden, aber lukrativen Lizenzgeschäfts auch auf die operative Marge durchschlagen: Die Analysten erwarten 28,2 Prozent und damit knapp einen Prozentpunkt weniger als ein Jahr zuvor.
Im Gesamtjahr schätzen die Experten den Umsatz auf 27,4 Milliarden Euro und damit knapp über 2020, als es wegen der Corona-Krise erstmals seit vielen Jahren einen Umsatzrückgang gegeben hatte. Die Cloudsparte sollte davon gut 9,2 Milliarden Euro beitragen und damit um mehr als 14 Prozent wachsen. Das bereinigte operative Ergebnis dürfte allerdings wie in Aussicht gestellt sinken, und zwar um 2,7 Prozent auf 8,06 Milliarden Euro.
Jüngst hat Bank-of-America-Analyst Frederic Boulan seine Erwartungen an das Papier der Walldorfer deutlich nach oben geschraubt. Aus wechselhaften Lizenzerlösen würden mit dem schnelleren Umstieg auf die Cloud beständigere und auch höhere Umsatzströme je Kunde.
Laut Baader-Bank-Analyst Knut Woller hat SAP in den vergangenen Quartalen vor allem deswegen die Erwartungen geschlagen, weil die Lizenzverkäufe besser als erwartet ausfielen. Das könne angesichts niedriger Erwartungen auch diesmal wieder der Fall sein. Im Vergleich zum Vorquartal sollte zudem das Cloudgeschäft einen Zahn zulegen.
Neun der 13 Experten, die seit der Vorlage der Quartalszahlen im dpa-AFX Analyser erfasst wurden, empfehlen das Papier zum Kauf. Vier Analysten haben eine neutrale Einstufung; keiner eine Verkaufsempfehlung. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 134 Euro und damit rund neun Prozent über dem aktuellen Niveau.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Nach dem Schock der aufgeschobenen Mittelfristziele im Herbst hat sich das Papier wieder deutlich erholt. Damals verlor der Kurs an einem einzigen Tag fast 22 Prozent an Wert - das gibt es üblicherweise sonst nur bei kleineren Titeln. Erst im Juli wurde wieder das Niveau von mehr als 120 Euro erreicht, was die Aktie vor dem Absturz im Oktober hatte. Derzeit liegt der Börsenwert von SAP wieder bei 150 Milliarden Euro. Damit sind die Walldorfer wieder deutlicher Dax-Spitzenreiter, nachdem Volkswagen (Volkswagen (VW) vz) im März nach einer Kursrally zwischenzeitlich die Pole Position übernommen hatte.
Bis zum Rekordhoch aus dem vergangenen September bei über 143 Euro ist aber noch viel Luft nach oben. Zu den großen US-Konkurrenten Oracle (243 Mrd US-Dollar, umgerechnet 206 Mrd Euro) und Salesforce (220 Mrd Dollar) klafft eh noch eine größere Lücke, von Softwaregigant Microsoft mit gut 2,1 Billionen Dollar ganz zu schweigen. Allerdings ist Microsoft auch vorwiegend in anderen Märkten unterwegs als SAP.
Klein muss erst noch beweisen, dass sich sein Investitionskurs auch in deutlich steigenden Kursen auszahlt. Als er SAP im Oktober 2019 übernahm, war das Papier rund 115 Euro wert. McDermott hatte in seiner Amtszeit von Februar 2010 bis Oktober 2019 (bis Mai 2014 als Co-Chef, danach allein) den Aktienkurs von knapp über 30 Euro auf dieses Niveau nach oben gebracht und noch deutlich mehr in Aussicht gestellt.
Größte Aktionäre von SAP sind noch immer die Mitgründer, Aufsichtsratschef Hasso Plattner und der als Biotech-Investor und Fußball-Mäzen bekannte Dietmar Hopp. Plattner hält rund sechs Prozent der Anteile und Hopp rund fünf Prozent. Beide zählen wegen des Erfolgs des 1972 gegründeten Unternehmens zu den reichsten Deutschen.
dpa-AFX